Dr. Peter Bleutge
Die Ortsbesichtigung durch den vom Gericht beauftragten Sachverständigen ist in der ZPO nicht besonders geregelt. Lediglich in § 371 ZPO wird der Beweis durch Augenschein angesprochen, aber es werden dazu vom Gesetzgeber keine Leitlinien vorgegeben. Dennoch unterliegen Einleitung, Durchführung und Auswertung einer Ortsbesichtigung bestimmten Regeln, die von der Rechtsprechung und Literatur entwickelt worden sind und sich insbesondere an den allgemeinen Pflichtenkatalogen des § 407a ZPO orientieren. Diese Verfahrensregeln muss ein Sachverständiger kennen, weil er andernfalls gem. § 406 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann und bei schuldhafter Pflichtverletzung gem. § 8a JVEG seinen Vergütungsanspruch verliert. Führen Fehler oder Pflichtverletzungen bei der Ortsbesichtigung zu unrichtigen Gutachten, kann als Rechtsfolge auch eine Haftung nach § 839a BGB oder, bei Privatgutachten, eine Haftung nach § 280 BGB in Betracht kommen. Der nachstehende Beitrag erläutert die wichtigsten Regeln und Pflichten, die ein Sachverständiger bei der Einleitung, Durchführung und Verwertung der Ortsbesichtigung im Zivilgerichtsverfahren zu beachten hat. Aufgrund der beschränkten Seitenzahl werden Grundsätze und Empfehlungen an Stelle eines in sich geschlossenen Fließtextes in einer aufzählenden Form dargestellt. Ergänzend wird auf die Broschüre des Instituts für Sachverständigenwesen „Die Ortsbesichtigung durch Sachverständige“ (7. Aufl. 2011) verwiesen; sie enthält für den Sachverständigen weitere Arbeitshilfen wie Handlungsempfehlungen, Musterschreiben und Checklisten.
Jede Ortsbesichtigung setzt einen entsprechenden Auftrag durch das Gericht voraus. Dieser ergibt sich entweder ausdrücklich oder konkludent aus dem Inhalt des Beweisbeschlusses. Wenn sich die Beweisfrage ohne eine Besichtung des streitigen Objekts fachlich nicht beantworten lässt, kann der Sachverständige davon ausgehen, dass sein Auftrag auch eine Ortsbesichtigung (Augenscheinnahme) umfasst. In Zweifelsfällen ist der Sachverständige allerdings nach § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO verpflichtet, eine gerichtliche Klärung über den Inhalt und Umfang seines Auftrags herbeizuführen, wozu naturgemäß auch die Ortsbesichtigung gehört. Das Gericht hat nach § 404a ZPO den Sachverständigen zu leiten, kann ihm Weisungen erteilen und bestimmt, in welchem Umfang der Sachverständige zur Aufklärung der Beweisfrage befugt ist. Dabei entscheidet das Gericht im Zweifelsfall darüber inwieweit der Sachverständige mit den Parteien in Verbindung treten darf und wann er ihnen die Teilnahme an seinen Ermittlungen zu gestatten hat.
Bevor der Sachverständige mit den notwendigen Vorbereitungen zur Durchführung der Ortsbesichtigung beginnt, sollte er sich folgende unabdingbaren Vorgaben in Erinnerung rufen, die von der Rechtsprechung1Zusammenstellung der einschlägigenRechtsprechung in: IfS-Broschüre „Die Ortsbesichtigung durch Sachverständige“, 7. Aufl. 2011, S. 46 ̶ 65. und Literatur2Grossam, DS 2013, 214; Bleutge, DS 2011, 342; Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 4. Aufl. 2008, § 15; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. 2007, Rdnr. 386 ̶ 412. entwickelt worden sind.
Der Sachverständige ist bei der Vorbereitung und Durchführung „Herr des Verfahrens“. Er bestimmt Termin und Ablauf der Ortsbesichtigung. Dabei hat er jedoch in allen Phasen der Ortsbesichtigung die Gebote der Neutralität und Gleichbehandlung der Beteiligten zu beachten. Grundsätzlich muss beiden Parteien, ihren Anwälten und eventuell vorhandenen Streithelfern (sog. Nebenintervenienten) Gelegenheit gegeben werden, an der Ortsbesichtigung teilzunehmen. Sie haben nach § 357 Abs. 1 ZPO ein Recht, an der Beweisaufnahme und damit auch an der Ortsbesichtigung des Sachverständigten teilzunehmen. Dieses Recht leitet sich auch aus der Pflicht der Gewährung rechtlichen Gehörs ab. Der Sachverständige darf also nicht alleine das Objekt besichtigen oder nur zusammen mit derjenigen Partei, die ihm als Eigentümer den Zugang zum Objekt verschafft. Auch zu einer nachfolgenden zweiten Ortsbesichtigung, die in einigen Fällen notwendig ist, müssen wiederum beide Parteien und ihre Prozessvertreter geladen werden. Eine Pflicht zur Teilnahme der Parteien an der Ortsbesichtigung besteht nicht.
Der Sachverständige hat keine Befugnisse zu Zwangsmaßnahmen oder die Rechte einer Sitzungspolizei. Mithin kann er die Ortsbesichtigung nicht erzwingen, wenn eine Prozesspartei von ihrem Hausrecht Gebrauch macht und den Zutritt zum Grundstück verweigert. Schon gar nicht kann er die Parteien und deren Anwälte dazu zwingen, an der Ortsbesichtigung teilzunehmen; er muss ihnen allerdings die Möglichkeit eröffnen, an der Ortsbesichtigung teilzunehmen.
Inhalt und Umfang der Ortsbesichtigung haben sich an der Beweisfrage zu orientieren. Der Sachverständige darf mithin nur solche Mängel untersuchen und Tatsachen ermitteln, nach welchen im Beweisbeschluss gefragt wird und die er gutachterlich beurteilen soll. Mehrarbeit wird nicht bezahlt und kann sogar zur Unverwertbarkeit des Gutachtens insgesamt führen, beispielsweise weil es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handelt.
Wird beispielsweise im Beweisbeschluss nach der Feststellung und Beurteilung bestimmter Mängel gefragt, darf der Sachverständige anlässlich der Ortsbesichtigung nicht nach weiteren Mängeln suchen oder auf weitere offensichtliche Mängel hinweisen. Er darf auf solche weiteren Mängel selbst dann nicht im Gutachten hinweisen, wenn Gefahr für Leib und Leben dritter Personen besteht; insoweit besteht auch keine Rechtspflicht des Sachverständigen, Behörden oder die Polizei auf Gefahren für Leib und Leben Dritter aufmerksam zu machen; gegen eine Information an das Gericht bestehen jedoch keine Bedenken.
Bei der Immobilienbewertung muss der Sachverständige keine Baumängel ermitteln; der Immobiliensachverständige ist kein Bauschadenssachverständiger.3BGH, 10.10.2013, DS 2014, 47; vgl. dazu die Zusammenstellung der Rechtsprechung in den IfS-Informationen 3/2011, S. 14 ff. u.K. Bleutge/Netscher, Der Bausachverständige4/2012, S. 66. Im Übrigen haben Sachverständige bei der Grundstücksbewertung einen Beurteilungsspielraum und die Möglichkeit von Schätzungen.4OLG Köln, 20.12.2013, DS 2013, 233. Offensichtliche Mängel hat der Sachverständige jedoch in seinem Gutachten zu vermerken, soweit sie die Bewertung beeinflussen können.
Die Vorgabe, den Parteien und ihren Prozessvertretern Gelegenheit zur Teilnahme an der Ortsbesichtigung des Sachverständigen zu geben, besteht nicht, wenn der Sachverständige zur Vorbereitung des Gutachtens selbst Versuche durchführt. Gemeint sind beispielsweise Laboruntersuchungen, Materialprüfungen, Fahrversuche, Erprobung einer Schusswaffe auf dem Schießstand. Solche Versuche müssen ihrer Natur nach in Ruhe und unbeeinflusst von der Gegenwart der Parteien durchgeführt werden. Sie sind unter Umständen mit Gefahren für Leib und Leben verbunden, welchen man die Parteien nicht aussetzen darf. Auch bei medizinischen Untersuchungen von Personen darf es mit Rücksicht auf den Schutz der Persönlichkeit, insbesondere der Intimsphäre, kein Anwesenheitsrecht der Parteien geben.
Die Regeln über die Beteiligung der Prozessparteien und ihrer Anwälte finden weiter dann keine Anwendung, wenn die Befürchtung besteht, dass dabei die tatsächli chen Verhältnisse verändert werden (z.B. Lärmprüfung an einer Baustelle: hier wird beim Bekanntwerden des Ortstermins der Lärmpegel vorsorglich heruntergefahren. Gleiches gilt bei der beabsichtigen Messung des Schallpegels in einer Diskothek). Diese Ausnahme von der Pflicht zur Beteiligung der Parteien ist in der Literatur jedoch nicht unbestritten.5Vgl. Übersicht bei Ulrich, a.a.O., Rdnr. 390. Es empfiehlt sich daher, in solchen Fällen vorher das Einverständnis des Gerichts zu einer unangemeldeten Ortsbesichtigung einzuholen.
Jede Ortsbesichtigung ist parteiöffentlich (§ 357 ZPO). Das bedeutet, dass neben den Parteien und ihren Anwälten auch anderen Fachleuten, die die Parteien mitbringen, die Teilnahme ermöglicht werden muss. Der Sachverständige braucht sich aber nicht auf Diskussionen mit diesen Fachleuten einzulassen. Diese dürfen nur Hinweise geben, aber keine Fragen stellen. Fragen stellt nur der Sachverständige. Ein Sachverständigengutachten, das auf einer Ortsbesichtigung beruht, die unter Verstoß gegen die Vorschriften der Parteiöffentlichkeit durchgeführt wurde, ist regelmäßig nicht verwertbar.6BVerwG, 12.04.2006, JURIS VwGO§ 97 S.1.
Der Sachverständige sollte während des Ablaufs der Besichtigung Zurückhaltung, Verschlossenheit und kühle Distanz zeigen und sich wertender oder gar abwertender Bemerkungen enthalten. Seine Devise sollte sein, möglichst viele Fragen zu stellen, aber keine Fragen zu beantworten. Durch sicheres Auftreten sollte er Souveränität verkörpern. Ganz wichtig: Er sollte noch nicht erkennen lassen, zu welchen fachlichen Beurteilungen und Bewertungen er aufgrund der Besichtigung gekommen ist.
Der Sachverständige muss prüfen, ob der im Beweisbeschluss für seine Tätigkeit vorgesehene Vorschuss ausreicht, auch die vielleicht sehr aufwändige Ortsbesichtigung kostenmäßig abzudecken (§ 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO). Reicht der Betrag nicht aus, muss er vor Einleitung der Ortsbesichtigung das Gericht darauf aufmerksam machen und einen „Nachschlag“ beantragen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, wird seine Vergütung gem. § 8a Abs. 4 JVEG auf den Betrag gekürzt, der im Beweisbeschluss festgelegt ist. Die Gerichte gewähren zusätzlich einen Toleranzbetrag von 20 bis 25 %.
Sollte die Ortsbesichtigung sehr kostenintensiv sein, sollte sich der Sachverständige einen Kostenvorschuss nach § 3 JVEG vorab auszahlen lassen. Voraussetzungen dafür sind, dass erhebliche Fahrkosten entstehen oder dass erhebliche Aufwendungen entstehen oder dass für erbrachte Teilleistungen bereits ein Betrag von 2.000 € ausgegeben werden musste. Die Ortsbesichtigung stellt eine solche Teilleistung dar.
Der Sachverständige unterliegt auch bei der Ortsbesichtigung einer strengen Schweigepflicht. Sie erstreckt sich auf alle Tatsachen, Informationen und Umstände, die er anlässlich der Ortsbesichtigung festgestellt hat, auch wenn er sie nicht im Gutachten verwertet. Der Immobilienbewerter darf mithin keine Anzeige erstatten, wenn er feststellt, dass die Prozesspartei „schwarz“ gebaut hat. Stellt er bei der Ortsbesichtigung einen Mangel fest, der eine Gefahr für Leib und Leben Dritter bedeutet, bezieht sich seine Schweigepflicht auch auf diesen Umstand; nach Rücksprache mit dem Richter wäre eine entsprechende Warnmitteilung an den zuständigen Eigentümer angebracht.
Der beauftragte Sachverständige muss die Ortsbesichtigung in eigener Person durchführen. Er darf nicht seinen Mitarbeiter, mag dieser auch noch so qualifiziert sein, zur Ortsbesichtigung schicken und dann auf dessen Feststellungen sein Gutachten aufbauen. Nach § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO darf der Sachverständige den Auftrag nicht auf andere Personen übertragen. Selbstverständlich darf der Sachverständige aber Mitarbeiter mitnehmen, die ihm bei der Durchführung der Ortsbesichtigung behilflich sind.
Muss der Sachverständige als Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Objektsbesichtigung Bauteile öffnen, kann damit ein besonderes Haftungsrisiko verbunden sein.7 Daher sollte er bei Gericht beantragen, dass diese Arbeiten durch die beweisbelastete Partei durchgeführt werden. Bei Ablehnung des Gerichts sollte sich der Sachverständige von dem jeweils Berechtigten nachweisbar die Einwilligung zu der erforderlichen zerstörenden Konstruktionsöffnung geben lassen, wobei dann auch eine Vereinbarung über das Ob und Wie der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands eine Vereinbarung getroffen werden muss.
Alle vorstehenden Grundsätze gelten auch für Ortsbesichtigungen im Selbstständigen Beweisverfahren und im Zwangsversteigerungsverfahren nach dem Zwangsversteigerungsgesetz (ZVG).8 Im ZVG-Verfahren müssen mithin Gläubiger und Schuldner zum Ortstermin geladen werden, weil auch sie einen Anspruch auf rechtliches Gehör haben. Die Grundsätze zur Gleichbehandlung und Neutralität gelten auch im privatrechtlichen Schiedsgutachtenverfahren.
Von Bedeutung kann bei einer Ortsbesichtigung auch das Thema „Vergleichsvorschläge des Sachverständigen“ werden. Die Kommentarliteratur hält solche Aktivitäten des Sachverständigen für zulässig, „wenn der Sachverständige die gebotenen Formen wahrt“. Vergleichsverhandlungen werden dann für zulässig gehalten, „wenn die am Rechtsstreit beteiligten Parteien ausdrücklich und klar übereinstimmend im Ortstermin eine Einigung anstreben und den Sachverständigen eindeutig um einen Vergleichsvorschlag bitten“. Ein darauf beruhender „gerichtlicher“ Vergleich kommt aber im Zweifel erst durch die verabredete förmliche Protokollierung mit Verlesung und Genehmigung im Gerichtstermin zustande. Vor eigenen unerbetenen Vergleichsbemühungen ist dem Sachverständigen jedoch dringend abzuraten, schon um sich nicht dem Verdacht der Befangenheit auszusetzen.
Den Zeitpunkt der Ortsbesichtigung legt der Sachverständige fest. Er hat dazu beide Prozessparteien und ihre Prozessvertreter einzuladen und ihnen Gelegenheit zur Teilnahme zu geben. Zusätzlich sind auch Streithelfer (sog. Nebenintervenienten) zum Ortstermin einzuladen. Im Zwangsversteigerungsverfahren muss Schuldnern
und Gläubigern Gelegenheit zur Teilnahme an der Objektsbesichtigung gegeben werden. Benötigt der Sachverständige zur Vorbereitung der Ortsbesichtigung Unterlagen von einer Partei (z.B. Grundbuchauszüge, Lagepläne u.Ä.) sollte er diese schriftlich mit Kopien an das Gericht und die Gegenpartei anfordern.
Die Einladung sollte in der Regel zwei Wochen vor dem Ortstermin den Beteiligten zugehen. Ganz wichtig: Ladungsnachweis schaffen! Zum Zwecke des Nachweises empfiehlt sich ein Einschreiben mit Rückschein oder ein Fax, das unterschrieben an den Sachverständigen zurückzusenden ist. Von einer telefonischen Einladung wird abgeraten, weil zum einen solche Kontakte von den Parteien erfahrungsgemäß zu Erörterungen der Streitfrage benutzt werden und weil man zum anderen die erfolgte Einladung bei späterem Bestreiten nicht nachweisen kann. In allen Fällen sollte das Gericht Durchschriften der Einladungsschreiben erhalten. Bei Eilbedürftigkeit (Objekt soll vernichtet oder Mängel sollen behoben werden) kann mit Einverständnis des Gerichts auch kurzfristig eingeladen werden.
In dem Einladungsschreiben müssen Ort und Zeit der beabsichtigten Ortsbesichtigung angegeben werden. Sofern eine Partei den Zugang zum Grundstück oder zum Objekt ermöglichen muss, sollte in Einladungsschreiben darum gebeten werden, diesen Zugang sowohl dem Sachverständigen als auch der Gegenpartei und deren Anwalt zu ermöglichen. Soweit vorbereitende Arbeiten durch die zuständige Prozesspartei erforderlich sind, wie beispielsweise das Aufstellen eines Gerüstes oder die Öffnung eines Bauteils, soll bereits im Ladungsschreiben um termingerechte Bereitstellung gebeten werden; Gleiches gilt für das Bereithalten von Unterlagen.
Beantragt eine Prozesspartei, ein Anwalt oder ein Streithelfer eine Terminverschiebung, sollte der Sachverständige diesem Antrag nach Möglichkeit entsprechen, wenn dafür eine plausible Begründung gegeben wird (z.B. Krankheit, Urlaub, anderer Termin). Wird jedoch von derselben Person ein zweites oder drittes Mal um eine Verlegung gebeten, ohne dafür einen triftigen Grund anzugeben und besteht der Eindruck der Prozessverschleppung, sollte der Sachverständige nach Rücksprache mit dem Gericht der Bitte nicht entsprechen.
Der Sachverständige selbst sollte sich rechtzeitig vor dem Termin in der erforderlichen Weise vorbereiten, beispielsweise durch Erstellung einer Checkliste, in der die Vorgehensweise, das Untersuchungskonzept und die zu stellenden Fragen aufgeführt werden. Messgerät, Taschenlampe, Leiter und Fotoapparat sind auf Funktionstüchtigkeit zu prüfen. Bauzeichnungen, Lagepläne, Detailzeichnungen, Leistungsverzeichnisse und andere Unterlagen sind auf Vollständigkeit prüfen.
Terminnachrichten sind auch erforderlich, wenn der Sachverständige – aus welchen Gründen auch immer – eine zweite oder dritte Ortsbesichtigung durchführen muss. Plant der Sachverständige nur noch einmal eine kurze Nachschau, weil er eine Kleinigkeit vergessen hat, sollte er sich durch eine kurze Information beider Parteien deren Verzicht an der Teilnahme schriftlich bestätigen lassen; der Kontakt mit einer Partei muss gerade in einem solchen Fall ausgeschlossen sein.
Der Sachverständige sollte sich vor Antritt der Fahrt zum Ort der Besichtigung vergewissern, dass er sämtliche Unterlagen und technischen Ausrüstungen (Maßband, Fotoapparat, Bauzeichnungen u.Ä.) an Bord hat. Er sollte niemals zusammen mit einer Prozesspartei oder mit deren Anwalt zum Ort der Besichtigung anreisen, auch wenn das, was die Kosten angeht, billiger wäre. Am Ort der Besichtigung sollte er erst dann mit seiner Tätigkeit beginnen, wenn alle eingeladenen Personen erschienen sind. Eine Wartezeit von 15 Minuten ist einzuräumen. Danach kann die Besichtigung auch ohne eine nachweisbar eingeladene, aber ̶ unentschuldigt ̶ nicht erschienene Person beginnen.
Verweigert eine Prozesspartei – aus welchen Gründen auch immer – dem Sachverständigen, dem Prozessgegner, dem Anwalt oder einem Streithelfer den Zutritt zu ihrem Grundstück oder zum Objekt der Besichtigung, so kann der Sachverständige den Zugang nicht erzwingen. Insbesondere kann er nicht die Polizei oder das Gericht um Amtshilfe bitten. Er muss vielmehr die Ortsbesichtigung abbrechen und das Gericht entsprechend informieren. Allenfalls kann er die ablehnende Partei, die von ihrem Hausrecht Gebrauch macht, zuvor darauf hinweisen, dass nach § 371 Abs. 3 ZPO die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit des Gegenstandes im Prozess als bewiesen angesehen werden können, wenn er die Ortsbesichtigung auf diese Weise vereitelt.
Verweigert bei einer Objektbesichtigung eines Hauses mit mehreren Mietern, ein Mieter den Zugang zu
seiner Wohnung, kann der Sachverständige auch in diesem Fall den Zugang nicht erzwingen. Er sollte diesen Sachverhalt aber unbedingt in das Besichtigungsprotokoll aufnehmen und bei seiner Bewertung der Immobilie die fehlende Zustandsbeschreibung der betreffenden Wohnung berücksichtigen.
Dann beginnt die Ortsbesichtigung. Der Sachverständige leitet den Termin und bestimmt die erforderlichen Abläufe. Er sollte Souveränität, Neutralität und Unparteilichkeit ausstrahlen, beide Prozessparteien in gleicher Weise zu Wort kommen lassen und den Anschein von Überheblichkeit und Besserwisserei vermeiden. Zunächst werden die anwesenden Personen mit Namen und Adresse festgestellt. Nicht geladene Personen kann der Sachverständige ausschließen, es sei denn, es handelt sich um Fachleute, die von den Parteien zu ihrer fachlichen Unterstützung mitgebracht worden sind. Der Ortstermin ist nicht öffentlich, sondern nur „parteiöffentlich“. Das bedeutet, dass nicht ein beliebiges Publikum daran teilnehmen darf, sondern nur Fachleute einer Prozesspartei. Lässt sich aber eine der Prozessparteien von ihrem Privatgutachter oder Architekten begleiten, muss diese Person zur Ortsbesichtigung zugelassen werden.
Die Durchführung und der Ablauf der Besichtigung ist allein Sache des Sachverständigen. Er bestimmt, was im Einzelnen in welcher Intensität wie zu untersuchen ist, wie zu vermessen ist und welche Fotos zu machen sind. Auf keinen Fall sollte sich der Sachverständige in fachliche Diskussionen verstricken lassen. Die anwesenden Personen können den Sachverständigen auf Umstände, die sie für bedeutsam halten, hinweisen, dürfen aber keine Fragen stellen. Die Ortsbesichtigung darf nicht zu einer Mediationsveranstaltung ausarten. Streitgespräche sind zu vermeiden. Wird der Sachverständige bei seinen Arbeiten gehindert, gestört oder sonst unzumutbar beeinträchtigt, kann er nach vorheriger Androhung die Ortsbesichtigung abbrechen.
Die auf den Fotos abgebildeten Gegenstände sollten zur Darstellung der Perspektiven und Proportionen mit einem Maßstab, beispielsweise mittels eines mit abgebildetem Zollstock versehen sein. Der Sachverständige sollte wissen, dass Fotos immer nur die Visualisierung des beschriebenen Mangels sein können; niemals kann ein Foto eine Beschreibung des Mangels im Gutachten ersetzen. Das Foto ist kein Beweismittel. Andernfalls könnte der Sachverständige im Gutachten einfach sagen: „Das Dach hat einen Mangel (siehe Fotos Anlage 1 bis 3)“.
Dem Sachverständigen ist es nicht gestattet, selbst Zeugen zu vernehmen. Andererseits bleibt es nicht aus, dass ihm sowohl von den Parteien als auch von den sonst an der Ortsbesichtigung teilnehmenden Personen Angaben gemacht oder auf Fragen Auskünfte erteilt werden, die über den bisherigen Akteninhalt hinausgehen. Es wäre unökonomisch, wenn der Sachverständige solche zusätzlichen Informationen unbeachtet ließe. Sind diese für die Begutachtung des Beweisthemas wesentlich und werden sie nicht von der Gegenseite sofort bestritten, kann der Sachverständige diese Auskünfte seinem Gutachten zugrunde legen. Er muss jedoch im Protokoll und im Gutachten kenntlich machen, wer ihm diese Auskünfte erteilt hat, damit auch das Gericht die Herkunft der tatsächlichen Basis des Gutachtens erfährt. Werden diese Auskünfte später doch noch von einer Partei bestritten, so muss das Gericht die Auskunftsperson oder den Sachverständigen auf Antrag einer Partei als Zeuge vernehmen, um in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise die richtige tatsächliche Grundlage für das Gutachten zu schaffen.
Der Sachverständige sollte sich wertender Äußerungen enthalten und die Ergebnisse seiner Untersuchungen während der Ortsbesichtigung den Parteien nicht bekannt geben. Auf keinen Fall sollte er in Anwesenheit der Parteien das Gutachten bereits seiner Schreikraft abdiktieren oder auf Band sprechen. In solchen Fällen muss er stets damit rechnen, dass die Partei, zu deren Nachteil das Gutachten ausfällt, ihn auf der Stelle umzustimmen und noch auf den Inhalt des Gutachtens Einfluss zu nehmen versucht. Die tatsächlichen Feststellungen kann er jedoch auf ein Diktiergerät oder durch Diktat in Anwesenheit der Parteien festhalten.
Nur wenn beide Parteien den Sachverständigen übereinstimmend darum bitten, ihnen das Ergebnis seiner Untersuchungen mitzuteilen oder Hilfen für das beabsichtigte Vergleichsgespräch zu geben, etwa die Kosten der Schadensbeseitigung zu schätzen, sollte sich der Sachverständige einer solchen Bitte nicht verschließen. Die Formulierung eines Vergleichs muss aber in jedem Fall dem Gericht überlassen werden. Unaufgefordert sollte sich der Sachverständige nicht um einen Vergleich zwischen den Prozessparteien bemühen. Ohne Auftrag erhält der Sachverständige für seine Vergleichsbemühungen keine Vergütung.
Die Parteien, deren Anwälte und deren Fachleute sind berechtigt, die Untersuchungsbefunde des Sachverständigen selbst zu notieren, sogar selbst nachzumessen oder das Objekt der Untersuchung zu fotografieren. Dagegen ist niemand der an der Ortsbesichtigung Beteiligten befugt, die Stimme oder das Bild des Sachverständigen ohne dessen ausdrückliche Zustimmung auf Tonbandgerät oder Videokamera aufzuzeichnen. Dieses Verbot ergibt sich aus dem Persönlichkeitsrecht des Sachverständigen. Es gilt in gleicher Weise für alle an der Ortsbesichtigung beteiligten Personen.
Wird während der Ortsbesichtigung ein Ablehnungsgesuch an den Sachverständigen selbst gerichtet, so sollte der Sachverständige wie folgt verfahren: Erfährt er von der Ablehnung vor Beginn oder in der Anfangsphase der Besichtigung, so sollte er den Termin abbrechen oder bei möglicher sofortiger telefonischer Rücksprache mit dem Richter dessen Rat einholen. Ist die Ortsbesichtigung aber bereits so weit fortgeschritten und sind die damit verbundenen Kosten im Wesentlichen schon entstanden, so sollte sie zu Ende geführt werden, auch auf die Gefahr hin, dass bei späterem Erfolg des Ablehnungsgesuchs das Ergebnis des Ortstermins insgesamt nicht verwertbar ist. Ein Vermerk im Protokoll und eine Mitteilung an das Gericht sind in einem solchen Falle geboten.
Der Sachverständige bestimmt das Ende der Ortsbesichtigung, gibt das Ende öffentlich bekannt und notiert es in seinem Protokoll. Die Heimfahrt sollte der Sachverständige nicht zusammen mit den Parteien und schon gar nicht mit einer Partei antreten.
Der Sachverständige sollte ein Protokoll über die Einleitung, den Ablauf und die tatsächlichen Feststellungen der Ortsbesichtigung fertigen. Ein solches Protokoll ist zwar nicht in der ZPO vorgeschrieben; es kann aber als Erinnerungsstütze und als Grundlage für den späteren Bericht im Gutachten gute Dienste leisten. Das Protokoll oder der Inhalt des Protokolls muss dem Gutachten als Anlage beigefügt oder – noch besser – in das Gutachten integriert werden.
Das Protokoll sollte möglichst nicht in Anwesenheit der Prozessparteien am Ende der Ortsbesichtigung abdiktiert werden. Unbedenklich ist jedoch, wenn der Sachverständige während der Ortsbesichtigung Stichworte auf seinen Tonträger spricht. Wenn kein Protokoll über die Durchführung, den Verlauf und das Ergebnis des Gutachtens gefertigt wird, ist ein entsprechender Bericht zumindest im Vorspann des Gutachtens aufzunehmen. Dabei sind die objektiven Feststellungen und subjektiven Wertungen voneinander zu trennen, soweit das von der Sache her möglich ist. Auch negative Befunde sind zu vermerken. So ist beispielsweise festzustellen, welche Spuren oder Merkmale, deren Vorhandensein nach Lage des Falles oder nach dem Parteivorbringen vermutet werden konnten, nicht vorgefunden wurden.
Folgende Angaben zur Ortsbesichtigung sollten im Gutachten bzw. Protokoll Eingang finden:
Wann und wie welche Prozessparteien, Streithelfer (Nebenintervenienten) und Anwälte eingeladen wurden (z.B. telefonisch, durch Einschreiben, per bestätigtem Fax).
Wann und wo die Ortsbesichtigung stattgefunden hat, wann sie begonnen hat und wann sie beendet wurde.
Wer zum Ortstermin wann erschienen ist und daran teilgenommen hat.
Ob es über die Teilnahmeberechtigung Auseinandersetzungen gegeben hat und ob es sonst zu besonderen Vorkommnissen gekommen ist.
Welche streitigen und unstreitigen Erklärungen von den Parteien oder ihren Anwälten abgegeben wurden.
Welche weitere wichtigen Erklärungen abgegeben wurden (z.B. Anregung zum Abschluss eines Vergleichs, Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit).
Welche Gegenstände und Sachverhalte in welcher Weise untersucht wurden.
Welche tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen wurden.
Welche Ergebnisse die Ortsbesichtigung gehabt hat.
Anzahl der erstellten Fotos.
Datum und Ort der Niederschrift.
Unterschrift des Sachverständigen.
Die Ergebnisse der Ortsbesichtigung müssen im Gutachten fachlich beurteilt, bewertet und gewichtet werden. Fotos müssen unbedingt erläutert werden, weil sie für sich allein keine Beweismittel sind, sondern nur die schriftlichen Feststellungen und Bewertungen illustrieren. Fotos können niemals schriftliche Ausführungen ersetzen. Auf den Fotos sollten, falls erforderlich, auch Messdaten erkennbar sein.