In Sachen
pp.
wegen Vergabe Rahmenvertragsvereinbarung über die Belieferung mit Schutzwesten, die über einen Stichschutz verfügen für die Justizbediensteten in Sachsen hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht P., Richter am Oberlandesgericht A. und Richterin am Oberlandesgericht J. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.02.2020 beschlossen:
1. Die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und des Antragsgegners gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 29.11.2019 (1/SVK/032-19) werden zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen die Beigeladene und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Beigeladene und der Antragsgegner jeweils selbst. Der Antragsgegner ist von der Zahlung von Gerichtskosten befreit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GKG).
3. Streitwert des Beschwerdeverfahrens: 35.272,00 €
Gründe:
I.
Gegenstand des Vergabeverfahrens ist ein Rahmenvertrag für die Lieferung von mindestens 820 und - vorbehaltlich ausreichender Haushaltsmittel - bis zu 1.560 Schutzwesten mit Stichschutz für die Justizbediensteten in Sachsen innerhalb eines Zeitraumes vom 19.08.2019 bis zum 18.08.2022.
Die EU-Bekanntmachung für das Vergabeverfahren durch den Antragsgegner erfolgte am 21.05.2019. Danach sollte ein offenes Verfahren durchgeführt werden, und der Schlusstermin für den Eingang der Angebote wurde auf den 24.06.2019 um 23:59 Uhr festgesetzt. Zuschlagskriterien waren der Preis mit einer Gewichtung von 30 %, der Tragekomfort der Schutzwesten mit einer Gewichtung von 60 % und deren physikalischer Schutzfaktor mit einer Gewichtung von 10 %.
In der Auftragsbekanntmachung hieß es, die Angebote seien einzureichen „elektronisch via: www……….“. In der „Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes“ (im Folgenden: AzA) hieß es auf Seite 2, bei Bereitschaft zur Leistungsübernahme werde gebeten, „anliegendes Angebotsschreiben nebst Anlagen auszufüllen und bis zum o.g. Zeitpunkt des Ablaufs der Angebotsfrist elektronisch über das AI-Bietercockpit zurück zu senden.“. Weiterhin enthielt Seite 2 der AzA die Angabe, dem Angebot seien 5 verbindliche Muster der angebotenen Schutzwesten zur Ermöglichung der Durchführung des Praxistestes beizufügen. Am Ende der AzA wurden auf Seite 5 unter der Überschrift „Anlagen“ die mit dem Angebot einzureichenden Vergabeunterlagen aufgelistet und dabei u.a. genannt „Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm“ und „Angebots-Kennzettel“. Ein Muster des Angebots-Kennzettels fand sich in Anlage 2 der AzA mit dem Symbol einer Schere zum Zeichen, welcher Teil der Seite ausgeschnitten werden sollte.
Unterhalb der Auflistung der mit dem Angebot einzureichenden Vergabeunterlagen befand sich eine weitere Auflistung mit der (Zwischen-)Überschrift „Bewerbungsbedingungen und sonstige Unterlagen“, unter welcher „Checkliste“ und „Muster mit separater Post“ aufgeführt wurde. In der separaten „Checkliste für die Vollständigkeit Ihrer Angebotsunterlagen“ befand sich eine Rubrik mit der fettgedruckten Überschrift „Kennzeichnung Ihres Versandmaterials“, unter welcher sich die Angabe befand: „Angebotskennzettel, ausgefüllt und auf den verschlossenen Umschlag geklebt, in dem sich Ihre vollständigen Angebotsunterlagen befinden“.
Die Antragstellerin gab am 19.06.2019 ein ausschließlich postalisches Angebot ab, welchem die Muster der Schutzwesten beigefügt waren. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin daraufhin mit der Information nach § 134 GWB vom 08.08.2019 mit, dass ihre Bewerbung abgelehnt worden sei, weil die nach § 53 VgV geforderte elektronische Angebotsübermittlung nicht gegeben sei.
Diesen Angebotsausschluss rügte die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 13.08.2019 mit der Begründung, die elektronische Übermittlung der Angebote sei in der Ausschreibung nicht eindeutig vorgegeben worden.
Der Antragsgegner half der Rüge mit seinem Schreiben vom 16.08.2019 nicht ab. Das Angebot der Antragstellerin sei wegen Nichteinhaltung der elektronischen Angebotsabgabe ausgeschlossen. Im Übrigen sei das Angebot formal auf Vollständigkeit und Richtigkeit der einzureichenden Unterlagen geprüft und dabei festgestellt worden, dass es unvollständig und deshalb auch aus diesem Grund auszuschließen sei. Es fehle nämlich das zwingend einzureichende und ausdrücklich geforderte vollständig ausgefüllte Leistungsverzeichnis mit dem darin verlangten Konzept zur Umsetzung für die individuelle Verpassung sowie der Bestätigung über die Verwendung nicht gesundheitsschädlicher Materialien in deutscher Sprache; überdies sei die Lieferzeit nach Auftragserteilung in § 4 der Rahmenvertragsvereinbarung nicht eingetragen.
Die Antragstellerin rügte die neue Begründung für den Ausschluss ihres Angebotes mit dem Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 19.08.2019 und stellte am 20.08.2019 einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer. Der Antragsgegner und die Beigeladene, welche nach dem Vergabevermerk des Antragsgegners den Zuschlag für ihr Hauptangebot 2 erhalten soll, traten dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der vor der Vergabekammer gestellten Anträge wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 29.11.2019 Bezug genommen.
Die Vergabekammer hat mit diesem Beschluss festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei, und den Antragsgegner verpflichtet, die Wertung der Angebote unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig, weil die Antragstellerin antragsbefugt und mit den geltend gemachten Vergaberechtsverstößen nicht präkludiert sei. Der Nachprüfungsantrag sei zudem begründet, denn das Angebot der Antragstellerin sei weder wegen nicht formgerechten Einganges nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV noch wegen Fehlens geforderter Unterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausgeschlossen. Der Antragsgegner habe in den Auftragsunterlagen nicht hinreichend deutlich gemacht, dass eine elektronische Einreichung des Angebotes gefordert sei.
Hinsichtlich der im Angebot der Antragstellerin fehlenden Unterlagen, des Konzeptes zur Umsetzung für die individuelle Verpassung und der Bestätigung über die Verwendung nicht gesundheitsschädlicher Materialien habe der Antragsgegner ermessensfehlerhaft von der Nachforderung dieser Unterlagen bei der Antragstellerin abgesehen. Durch die Nachforderung von Unterlagen von der Beigeladenen habe der Antragsgegner sein diesbezügliches Ermessen dahingehend auf Null reduziert, dass die Nachforderung bei der Antragstellerin hätte erfolgen müssen. Im Übrigen sei auch die Wertung der Angebote und deren Dokumentation durch den Antragsgegner nach § 8 Abs. 2 VgV fehlerhaft bzw. unzureichend erfolgt.
Gegen den ihnen jeweils am 29.11.2019 zugestellten Beschluss der Vergabekammer haben die Beigeladene mit dem am 10.12.2019 und der Antragsgegner mit dem am 13.12.2019 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten jeweils sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Beigeladene hat vorgetragen, der Beschluss der Vergabekammer sei jedenfalls in einer Hinsicht rechtsfehlerhaft. Nur diesen der Vergabekammer unterlaufenen Fehler greife die Beigeladene mit der sofortigen Beschwerde an und akzeptiere die übrigen Rechtsansichten, wenngleich auch diese anders hätten entschieden werden können. Im Ergebnis führe der allein angegriffene Fehler der Vergabekammer zur Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages und damit zum Erfolg der sofortigen Beschwerde.
Der Fehler der Vergabekammer liege darin, dass sie zu Unrecht angenommen habe, der Antragsgegner hätte fehlende Unterlagen aus dem Angebot der Beigeladenen nachgefordert und infolgedessen sein Ermessen in Bezug auf die Nachforderung von Unterlagen von der Antragstellerin auf Null reduziert. Zwar befinde sich in der Vergabeakte auf Bl. 016834 ein Vermerk, wonach von der Beigeladenen die „Erklärung Einhaltung Kernarbeitsnorm ILO“ abgefordert und am 22.08.2019 eingegangen sei. Es habe sich dabei aber um eine Erklärung gehandelt, die nicht mit dem Angebot habe eingereicht werden müssen. Das Gleiche gelte für die ebenfalls nachträglich angeforderte deutsche Übersetzung eines Prüfzeugnisses.
Die Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm sei weder in der EU-Bekanntmachung noch in einem sonstigen Dokument als mit dem Angebot einzureichende Unterlage erwähnt worden. Insbesondere sei sie nicht in der „Checkliste für die Vollständigkeit Ihrer Angebotsunterlagen“ oder in der Leistungsbeschreibung aufgeführt. Zudem sei diese Erklärung auch nicht mit den Ausführungen auf Seite 5 der AzA angefordert worden, denn das vor dem Punkt „Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm“ befindliche Kästchen sei nicht angekreuzt gewesen. Auch habe sich für diesen Punkt kein Vordruck in der Anlage zum Aufforderungsschreiben befunden. Mindestens sei deswegen unklar gewesen, ob die „Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm“ dem Angebot beizufügen gewesen sei, so dass die Beigeladene als Bieterin so zu behandeln gewesen wäre, als wenn die genannte Erklärung nicht zu den von ihr mit dem Angebot vorzulegenden Unterlagen gehört habe.
Im Ergebnis habe es im nicht reduzierten Ermessen des Antragsgegners nach § 56 Abs. 2 VgV gelegen, ob er die dem Angebot der Antragstellerin fehlenden Unterlagen nachfordert. Aus dem Unterlassen der Nachforderung ergebe sich deshalb kein Verfahrensfehler des Antragsgegners, weshalb das Angebot der Antragstellerin wegen fehlender Unterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausgeschlossen sei.
Die Beigeladene beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer Sachsen vom 29.11.2019, 1/SVK/032-19 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor, die Vergabekammer habe den Nachprüfungsantrag zu Unrecht als begründet angesehen. Das Angebot der Antragstellerin sei sowohl wegen Formmangels nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV als auch wegen Unvollständigkeit nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausgeschlossen.
Die elektronische Einreichung des Angebotes sei in § 53 Abs. 1 VgV ohne Wahlmöglichkeit für den Auftraggeber vorgeschrieben. Zwar lasse § 53 Abs. 2 VgV Ausnahmen von der elektronischen Übermittlung zu, wenn zugleich physische oder maßstabsgetreue Modelle einzureichen seien, welche nicht elektronisch übersandt werden könnten. Dies führe aber im vorliegenden Vergabeverfahren nicht dazu, dass neben den Musterwesten auch das Angebot selbst postalisch habe eingereicht werden können. Vielmehr sei die Verwendung anderer als elektronischer Mittel auf die Angebotsbestandteile beschränkt, für welche die Verwendung elektronischer Mittel nicht verlangt werde. Zudem habe die Ausschreibung eindeutig bestimmt, dass nur die Musterwesten mit der Post zu übermitteln waren, was sich aus dem Hinweis auf Seite 5 des Aufforderungsschreibens ergebe, wonach das „Muster mit separater Post“ eingereicht werden sollte. Ginge man dennoch von einer widersprüchlichen Darstellung zur Übermittlung des Angebotes in den Auftragsunterlagen aus, treffe den Bieter eine Pflicht zur Sachaufklärung durch Nachfrage beim Auftraggeber, welche die Antragstellerin hier versäumt habe. Dementsprechend müsse die Antragstellerin die versäumte Sachaufklärung hier gegen sich gelten lassen.
Das Angebot der Antragstellerin sei auch aufgrund fehlender Unterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV auszuschließen gewesen. Eine Nachforderung gemäß § 56 Abs. 2 VgV sei von vornherein deshalb nicht in Betracht gekommen, weil das Angebot bereits nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV auszuschließen gewesen sei. Unabhängig davon liege eine Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV im Ermessen des Antragsgegners, welches er in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt habe. Nach Prüfung der Vollständigkeit der abgegebenen Angebote habe der Antragsgegner sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass insgesamt auf eine Nachforderung von fehlenden oder unvollständigen Unterlagen verzichtet wurde. Die Nachforderung von Unterlagen hätte die Angebotswertung unangemessen verzögert.
Im Übrigen habe der Antragsgegner in Reaktion auf die Rüge der Antragstellerin vom 13.08.2019 deren Angebot noch einmal auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der einzureichenden Unterlagen geprüft, wie sich aus einem Vermerk vom 14.08.2019 (Bl. 016672 der Vergabeakte) ergebe. Nach dieser Prüfung habe der Antragsgegner sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass auch weiterhin auf eine Nachforderung von fehlenden oder unvollständigen Unterlagen verzichtet werde. Soweit diesbezüglich ein Dokumentationsmangel vorliege, habe dieser im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens geheilt werden können. Zudem habe der Antragsgegner bei keinem der anderen Bieter Unterlagen i.S.d. § 56 VgV nachgefordert, so dass ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gegeben sei.
Der Antragsgegner beantragt,
die Entscheidung der Vergabekammer vom 29. November 2019 - Az.: 1/SVK/032-19 - aufzuheben und den Antrag auf Durchführung eines Nachprüfungsantrages abzuweisen, hilfsweise
die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichtes über die Sache erneut zu entscheiden.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Sachsen vom 29. November 2019 (Az.: 1/SVK/032-19) zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens. Darüber hinaus führt sie aus, dass die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und des Antragsgegners insoweit unvollständig seien, als sich beide nicht mit den Ausführungen der Vergabekammer auf Seite 22 bis 25 ihres Beschlusses zur fehlerhaften bzw. unzureichenden Wertung und Dokumentation der Angebote auseinandersetzten. Auch aus diesem Grunde sei das Verfahren in den Stand vor der Angebotswertung zurückzuversetzen.
II.
Die nach den §§ 171, 172 GWB form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und des Antragsgegners haben in der Sache keinen Erfolg. Denn der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 20.08.2019 ist in dem von der Vergabekammer im Beschluss vom 29.11.2019 tenorierten Umfang begründet, weil der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin wegen Formmangels nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV (dazu 1.) und wegen Unvollständigkeit nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV (dazu 2.) durch den Antragsgegner jeweils rechtswidrig ist.
1. Zu der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen nicht enthalten bzw. Formvorschriften missachten, korrespondiert die Verpflichtung der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen so eindeutig zu formulieren, dass die Bieter ihnen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen von ihnen in welcher Form und wann abzugeben sind (vgl. BGH, Urteil vom 03.04.2012, X ZR 130/10, NZBau 2012, 513 Rdn. 9; Urteil vom 18.06.2019, X ZR 86/17, NZBau 2019, 661 Rdn. 47; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.2017, VII-Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn. 32). Genügen die Vergabeunterlagen diesen Anforderungen nicht, darf die Vergabestelle ein Angebot, in dem eine bestimmte Erklärung fehlt oder welches eine bestimmte Form nicht einhält, nicht ohne weiteres ausschließen, sondern muss Gelegenheit geben, die Erklärung nachzureichen, bzw. kann sich auf den Formverstoß nicht berufen. Hingegen können solche erst nachträglich offenbar gewordenen Angebotsdefizite regelmäßig keinen Ausschluss des betroffenen Bieters rechtfertigen.
a) Nach diesen Kriterien hat der Antragsgegner im vorliegend zu beurteilenden Vergabeverfahren nicht hinreichend deutlich vorgegeben, dass das Angebot von den Bietern in elektronischer Form abzugeben war, so dass er das nicht elektronisch eingereichte Angebot der Antragstellerin vom 19.06.2019 nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV von der Antragsvergabe ausschließen durfte.
Im Grundsatz ergibt sich zwar die elektronische Form für die Einreichung der Angebote bereits aus § 53 Abs. 1 VgV, der seit dem 18.10.2018 verbindlich ist (vgl. Art. 90 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG; im Folgenden: Vergaberichtlinie). Im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 53 Abs. 2 VgV ist aber der Antragsgegner als öffentlicher Auftraggeber dann nicht verpflichtet, die Einreichung von Angeboten mit Hilfe elektronischer Mittel zu verlangen, wenn zugleich physische oder maßstabsgetreue Modelle einzureichen sind, die nicht elektronisch übermittelt werden können (§ 53 Abs. 2 Satz 1 VgV).
Diese Ausnahmevorschrift greift für das vorliegend zu beurteilende Vergabeverfahren ein, weil hier mit den Musterwesten, welche nach dem Inhalt der AzA dem Angebot beizufügen sind, physische Modelle i.S.v. § 53 Abs. 2 Satz 1 VgV von den Bietern einzureichen sind, welche nicht elektronisch übermittelt werden können. Der Antragsgegner konnte danach gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 VgV vom Prinzip der elektronischen Einreichung des Angebotes dahin abweichen, dass er eine postalische Angebotsabgabe zuließ. Der Senat teilt die Auffassung der Vergabekammer, dass die Ausschreibungsunterlagen in ihrer Gesamtheit von der Antragstellerin als Bieterin so verstanden werden konnten, dass die postalische Einreichung auch des Angebotes selbst (und nicht nur der Musterwesten) als formgerecht zugelassen war.
Zwar sprechen die Angaben in der Ausschreibung unter „Kommunikation“, wonach Angebote „elektronisch via: www………….“ einzureichen sind, zunächst für eine elektronische Angebotsabgabe, lassen diese aber gleichzeitig nicht zu, weil die genannte Internetadresse die Homepage der JVA … ist, über welche eine Angebotsabgabe nicht erfolgen konnte. Abweichend zur Information in der Ausschreibung wird auf Seite 2 der AzA die - inhaltlich korrekte - Information gegeben, dass das elektronische Angebot über das AI-Bietercockpit gesendet werden kann. Nicht vereinbar damit ist allerdings die auf derselben Seite der AzA befindliche Information, wonach dem Angebot 5 verbindliche Muster der Westen beizufügen sind, weil einem elektronischen Angebot die körperlichen Westen gerade nicht als (elektronische) Anlage beigefügt werden könnten. Für eine einheitliche Einreichung von Angebot und Musterwesten, welche allein postalisch erfolgen konnte, spricht auch die Information auf Seite 5 der AzA, wo unter den mit dem Angebot einzureichenden Vergabeunterlagen auch der Angebots-Kennzettel aufgelistet wurde, der zur Bezeichnung der körperlichen Muster der Schutzwesten gedacht war und auf das entsprechende Paket, das nicht elektronisch übermittelt werden konnte, geklebt werden sollte.
Richtig ist zwar auch, dass es auf Seite 5 der AzA unter der Unterüberschrift „Bewerbungsbedingungen und sonstige Unterlagen“ den Punkt „Muster mit separater Post“ gab, welcher für das vom Antragsgegner vertretene Verständnis der Ausschreibungsunterlagen spricht, wonach allein die Muster postalisch verschickt werden sollten, während das Angebot als solches elektronisch einzureichen war. Gegen dieses Verständnis und für eine gemeinsame Übersendung von Angebot und Muster auf postalischem Wege spricht aber wiederum der Punkt „Kennzeichnung Ihres Versandmaterials“ in der „Checkliste für die Vollständigkeit Ihrer Angebotsunterlagen“, unter dem es heißt: „Angebotskennzettel, ausgefüllt und auf den verschlossenen Umschlag geklebt, in dem sich Ihre vollständigen Angebotsunterlagen befinden“. Ein verschlossener Umschlag mit Angebotsunterlagen kann nur auf postalischem Wege versendet werden, nicht aber auf elektronischem Wege.
Betrachtet man diese verschiedenen Informationen in den Ausschreibungsunterlagen im Rahmen einer Gesamtschau, so konnte die Ausschreibung von der Antragstellerin als Bieterin jedenfalls dahin verstanden werden, dass auch eine postalische Einreichung des Angebotstextes gestützt auf die Ausnahmevorschrift des § 53 Abs. 2 VgV formgerecht war. Jedenfalls ergibt sich keine eindeutige Umschreibung einer gegenteiligen Anforderung, die der Antragstellerin zur Begründung für den Ausschluss ihres Angebots entgegengehalten werden könnte.
b) Die dagegen allein vom Antragsgegner in seiner sofortigen Beschwerde vorgebrachten Einwendungen greifen zur Überzeugung des Senates nicht durch.
Der Antragsgegner argumentiert zu Unrecht dahin, dass die Ausnahme nach § 53 Abs. 2 VgV von der grundsätzlich geforderten elektronischen Angebotsübermittlung nach § 53 Abs. 1 VgV allein auf diejenigen Angebotsteile beschränkt ist, die nicht elektronisch übermittelt werden können, hier also die Musterwesten.
Eine derartige Beschränkung ist der Vorschrift des § 53 Abs. 2 VgV nicht zu entnehmen. Vielmehr sieht § 53 Abs. 2 Satz 2 VgV mehrere Alternativen dafür vor, wie der öffentliche Auftraggeber die Kommunikation gestalten kann, wenn eine der Ausnahmen aus § 53 Abs. 2 S. 1 VgV gegeben ist; dazu gehören sowohl die allein postalische Übermittlung der gesamten Unterlagen als auch die Aufteilung in eine elektronische und eine postalische Übermittlung der Unterlagen. Der Inhalt von § 53 Abs. 2 VgV weicht auch nicht von Art. 22 Abs. 1 Unterabsatz 2 und 3 der Vergaberichtlinie ab, zu deren Umsetzung er erlassen wurde. Vielmehr entspricht die Regelung in Art. 22 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Vergabeverordnung fast wörtlich dem Inhalt von § 53 Abs. 2 Satz 2 VgV. Dementsprechend deckt sich das mögliche Verständnis der Antragstellerin von den Vergabeunterlagen im vorliegend zu beurteilenden Vergabeverfahren mit der Rechtsmäßigkeit der Zulassung der Einreichung von Angeboten unter Verwendung des postalischen Weges für sämtliche Angebotsbestandteile nach § 53 Abs. 2 Satz 2 VgV.
Der Antragstellerin kann schon aus diesem Grunde nicht vorgeworfen werden, sie habe nicht zur Klärung der Widersprüchlichkeit der Ausschreibungsunterlagen beim Antragsgegner nachfragt, ob das Angebot insgesamt auf postalischem Wege habe übersandt werden dürfen.
Es kommt hinzu, dass nach dem Transparenzgrundsatz hohe Anforderung an die Qualität der Vergabeunterlagen zu stellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 30.08.2011, X ZR 55/10, NZBau 2012, 46 Rdn. 16), die also klar, genau und eindeutig formuliert sein sollen, um den Bietern zu ermöglichen, sie zu verstehen und in gleicher Weise auszulegen (vgl. OLG München, Beschluss vom 22.01.2016, Verg 13/15, BeckRS 2016, 121692 Rdn. 64). Das Risiko der Unklarheit der Ausschreibungsunterlagen hat also der Auftraggeber, hier der Antragsgegner, zu tragen. Diese Risikoverteilung aber würde unterlaufen und das Risiko der Unklarheit der Ausschreibungsunterlagen in dem Maße auf den Bieter verlagert, in welchem man ihm eine Nachfrageobliegenheit zumessen würde. Demzufolge ist bei der Annahme einer Obliegenheit des Bieters, auf Fehler in den Ausschreibungsunterlagen hinzuweisen, Zurückhaltung geboten. Von ihr kann erst dann ausgegangen werden, wenn die Ausschreibungsunterlagen offensichtlich falsch sind (vgl. OLG Celle, Urteil vom 20.11.2019, 14 U 191/13, BeckRS 2019, 29588 Rn. 46).
So aber war es hier nicht, weil die Ausschreibungsunterlagen im Sinne der Zulassung des postalischen Angebots verstanden werden konnten und dies mit der gesetzlichen Regelung in § 53 Abs. 2 VgV vereinbar war. Mindestens dürfte das postalische Angebot der Antragstellerin nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV ausgeschlossen werden, weil die Antragstellerin eine etwaige Formwidrigkeit ihres Angebotes angesichts des Inhalts der Ausschreibungsunterlagen nicht zu vertreten hätte.
2. Das streitbefangene Angebot ist auch nicht wegen Unvollständigkeit auszuschließen.
Im Ausgangspunkt kam zwar ein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV in Betracht, weil die Antragstellerin mit ihrem Angebot vom 19.06.2019 nicht das „Konzept zur Umsetzung für die individuelle Verpassung“ und auch nicht die „Bestätigung für die Verwendung nicht gesundheitsschädlicher Materialien“ vorgelegt hat, obwohl sich aus den Ausführungen im Leistungsverzeichnis auf Seite 3 bzw. Seite 5 ergab, dass die entsprechenden Unterlagen mit dem Angebot vorzulegen waren.
Allerdings setzt der Ausschluss des Angebotes nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV angesichts dessen, dass die fehlenden Unterlagen hier nachforderbar nach § 56 Abs. 2 VgV waren, voraus, dass der öffentliche Auftraggeber sein Ermessen aus § 56 Abs. 2 VgV fehlerfrei dahingehend ausgeübt hat, dass eine Nachforderung der fehlenden Unterlagen unterbleibt. Daran aber fehlt es im vorliegend zu beurteilenden Fall, weswegen die Vergabekammer in der Sache zutreffend festgestellt hat, dass die Antragstellerin auf der Grundlage des Fehlens der beiden genannten Unterlagen mit ihrem Angebot nicht rechtmäßig nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausgeschlossen wurde.
a) Zunächst ist festzuhalten, dass der Antragsgegner im vorliegenden Vergabeverfahren von der in § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV eingeräumten Möglichkeit, bereits in den Vergabeunterlagen festzulegen, dass er keine Unterlagen nachfordern wird, keinen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr wird auf Seite 3 der AzA darauf hingewiesen, dass die Nachforderung von Unterlagen/Mustern sich nach § 56 VgV richtet und die Unterlagen/Muster im Falle der Nachforderung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb der in der Nachforderung gesetzten Frist beim Auftraggeber eingereicht werden müssen.
Beim Senat verbleiben auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 06.02.2020 Zweifel daran, ob der Antragsgegner überhaupt erkannt hat, dass er sein Nachforderungsermessen aus § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV auszuüben hatte, bevor er einen Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV vornahm. So hat der Antragsgegner noch in der Beschwerdeschrift vom 13.12.2019 auf Seite 6, 7 vorgetragen, es habe von vornherein keine Nachforderungsmöglichkeit bestanden, weil das Angebot der Antragstellerin bereits wegen des Formmangels nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV zwingend auszuschließen gewesen sei. Das spricht eher dafür, dass der Antragsgegner keine Ermessensabwägungen angestellt hat, weil (aus seiner Sicht) ohnehin kein Ermessensspielraum bestanden habe. Auf den diesbezüglichen Hinweis des Senates im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 06.02.2020 erfolgten keine erläuternden oder klarstellenden Ausführungen von Seiten des Antragsgegners.
Auch wenn der Senat die genannten Zweifel zurückstellt, kann er nicht feststellen, dass der Antragsgegner die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV erforderliche Ermessensentscheidung tatsächlich getroffen hat. Die Ermessensentscheidung zeichnet sich dadurch aus, dass die entscheidende Stelle, hier der Antragsgegner, auf der Grundlage eines zutreffend ermittelten Sachverhalts die Entscheidung nach Kriterien trifft, welche nicht diskriminierend, transparent, sachgerecht und nachvollziehbar sind. Der Senat kann anhand des Akteninhalts nicht feststellen, dass der Antragsgegner anhand solcher Kriterien eine Ermessensentscheidung getroffen hat.
Der Antragsgegner verweist zwar auf Seite 7 seiner Beschwerdeschrift vom 13.12.2019 auf den Vermerk vom 14.08.2019 (Bl. 016672 der Vergabeakte), aus welchem sich eine Ermessensentscheidung dahin ergeben soll, dass (auch weiterhin) auf eine Nachforderung von fehlenden oder unvollständigen Unterlagen verzichtet wird. Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdeschrift ist diesem Vermerk aber keine Betätigung von Ermessen zu entnehmen. Es wird letztlich nur ein Entscheidungsergebnis formuliert, ohne dass erkennbar wird, ob es auf Ermessensüberlegungen (und wenn ja, auf welchen) beruht.
Zunächst wird an der - aus Sicht des Senates unzutreffenden - Rechtsauffassung festgehalten, das Angebot der Antragstellerin sei bereits wegen Formwidrigkeit nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV auszuschließen. Weiterhin wird in dem Vermerk vom 14.08.2019 festgehalten, dass das Angebot der Antragstellerin formal auf Vollständigkeit und Richtigkeit der einzureichenden Unterlagen geprüft worden sei, wobei der Antragsgegner festgestellt habe, dass Unterlagen fehlten. Ausführungen zu der Ermessensabwägung nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV, die sich an die Feststellung des Fehlens von Unterlagen unter Benennung der dabei herangezogenen Kriterien anschließen müsste, enthält der Vermerk vom 14.08.2019 aber nicht. Auch darauf hat der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 06.02.2020 hingewiesen, ohne dass der Antragsgegner erläutert hätte, aus welchen Gründen sich aus dem Inhalt seines Vermerks eine Ermessensentscheidung ergeben sollte. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung gemäß § 56 Abs. 5 VgV zu dokumentieren gewesen wäre, woran es jedenfalls in Bezug auf die Vergabeakte fehlt.
Soweit der Antragsgegner auf Seite 7, 8 der Beschwerdeschrift vom 13.12.2019 zwei (nachträgliche) Ermessenserwägungen mitgeteilt hat, auf welche er eine Ermessensentscheidung hätte stützen können, begründen diese nach Auffassung des Senates schon deshalb keine ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV, weil sie inhaltlich unplausibel bzw. unzutreffend sind.
So führt der Antragsgegner zum einen aus, dass bei einer Nachforderung von Unterlagen die Angebotswertung unangemessen verzögert worden wäre. Dies aber trifft hier nach der zeitlichen Gestaltung des Beschaffungsverfahrens nicht zu. Es wird zudem durch den Umstand widerlegt, dass der Antragsgegner jedenfalls von der Beigeladenen Unterlagen nachgefordert hat (wobei die Frage, ob diese Nachforderung Nachweise betraf, die mit dem Angebot vorzulegen waren oder nicht, für das Verzögerungspotential unerheblich ist).
Zur angeblichen Verzögerung der Angebotswertung ist festzuhalten, dass es im vorliegend zu beurteilenden Vergabeverfahren nach Ablauf der Frist zur Abgabe der Angebote am 24.06.2019 noch etwa einen Monat dauerte, bis die Angebotswertung vom Antragsgegner durchgeführt werden konnte, weil zuvor der Praxistest zur Ermittlung des Tragekomforts der Musterwesten bis zum 25.07.2019 durchgeführt wurde. Dementsprechend wurden sämtliche Informationsschreiben an die unterlegenden Bieter nach § 134 GWB erst mit dem Datum vom 08.08.2019 verschickt. Es ist deshalb unplausibel, dass eine Nachforderung von Unterlagen bei der Antragstellerin die Angebotswertung verzögert hätte, zumal auf eine entsprechende Nachforderung hin die Unterlagen nach den Ausführungen auf Seite 3 der AzA unverzüglich hätten eingereicht werden müssen. Auch der Praxistest wäre nicht verzögert worden, weil die Antragstellerin ihre Muster fristgerecht eingereicht hatte.
Es kommt hinzu, dass der Antragsgegner die Notwendigkeit des Unterbleibens von Nachforderungen zur Vermeidung einer unangemessenen Verzögerung der Angebotswertung selbst dadurch widerlegt hat, dass er jedenfalls die Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm nach ILO von der Beigeladenen nachgefordert hat, wie sich aus dem Vermerk auf Bl. 016834 der Vergabeakte ergibt. Im Ergebnis lässt sich danach eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Antragsgegners nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV, welche Voraussetzung für einen rechtmäßigen Angebotsausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV wäre, nicht feststellen.
b) Unabhängig davon teilt der Senat die Auffassung der Vergabekammer, dass sich eine Ermessensreduzierung auf Null für das Nachforderungsermessen des Antragsgegners aus § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV aus dem Umstand ergibt, dass der Antragsgegner selbst im Rahmen seiner Vergabeunterlagen eine ausdrücklich so bezeichnete „Checkliste für die Vollständigkeit Ihrer Angebotsunterlagen“ verwendet hat, in welcher dem Angebot beizufügende Unterlagen nicht enthalten sind. Mit einer derartigen Liste schafft der Antragsgegner einen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass die Liste das einhält, was sie verspricht, nämlich Vollständigkeit. Bevor er ein Angebot wegen fehlender Unterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ausschließt, muss er deswegen mindestens diejenigen Unterlagen nachfordern, die zwar vorzulegen gewesen wären, nicht aber Bestandteil der mit dem Anschein der Vollständigkeit verwendeten Checkliste sind.
Der Senat teilt auch die Auffassung der Vergabekammer, dass das Nachforderungsermessen des Antragsgegners aus § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV im vorliegenden Falle deshalb auf Null reduziert war, weil er bei der Beigeladenen Unterlagen nachgefordert hat und sich aus Gründen der Gleichbehandlung gegenüber sämtlichen Bietern einheitlich verhalten muss (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 08.09.2011, 13 Verg 4/11, BeckRS 2011, 22904).
Es spricht zunächst viel dafür, dass die Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm nach ILO, welche der Antragsgegner bei der Beigeladenen ausweislich seines Vermerks in der Vergabeakte nachgefordert hat, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer zu den mit dem Angebot einzureichenden Vergabeunterlagen gehörte. Die Überschrift über der Liste auf Seite 5 der AzA lautet „Mit dem Angebot einzureichende Vergabeunterlagen“. Der Einwand der Beigeladenen, die Erklärung zur Einhaltung der Kernarbeitsnorm sei nicht Bestandteil dieser Liste, weil das in der entsprechenden Textzeile davor stehende Kästchen nicht angekreuzt sei, überzeugt nicht. Vielmehr handelt es sich auf Seite 5 der AzA um eine Liste, bei welcher die verwendeten Kästchen im Sinne eines Spiegelstriches zur optischen Hervorhebung benutzt wurden. Andernfalls nämlich hätte die Liste überhaupt keine Funktion, weil keines der dort vorhandenen Kästchen angekreuzt ist. Vergleichbar ist es bei den Kästchen auf Seite 2 der AzA, wobei dort noch deutlicher wird, dass beide nicht angekreuzten Kästchen dennoch Geltung beanspruchen, weil nur auf diese Weise insgesamt fünf Musterwesten (deren Einreichung zwingend gefordert wird) zusammen kommen. Anders zu bewerten sind die Kästchen auf Seite 1 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, bei denen zwingend eine der vorgesehenen Alternativen angekreuzt werden musste, weil sich diese Alternativen gegenseitig ausschließen.
Aber auch wenn man mit der Beigeladenen davon ausgeht, ihr Angebot sei nicht unvollständig gewesen, weil die Anforderung zur Vorlage der bei ihr fehlenden Erklärung mit dem Angebot unklar gewesen sei und diese Unklarheit ihr nicht zum Nachteil gereichen dürfe, rechtfertigt das nicht den Schluss, die Frage sei im Rahmen des dem Auftraggeber zustehenden und ihm dann auch obliegenden Nachforderungsermessens im Hinblick auf beim Angebot der Antragstellerin fehlende Unterlagen anders zu beurteilen. Die Auffassung, diese fehlenden Unterlagen seien nach dem Inhalt des Leistungsverzeichnisses zweifelsfrei mit dem Angebot vorzulegen gewesen, und deshalb sei eine Ungleichbehandlung der Beigeladenen und der Antragstellerin bei der Nachforderung geboten oder zumindest vergaberechtlich möglich gewesen, ließe sich nur aufrechterhalten, wenn man die entsprechenden Passagen des Leistungsverzeichnisses isoliert und losgelöst von den durch die Vergabeunterlagen im Übrigen geschaffenen Unklarheiten betrachten würde. Eine solche Sichtweise hielte der Senat indessen jedenfalls als tragendes Element einer Ermessensbetätigung des Auftraggebers (wenn sie denn überhaupt gegeben wäre) nicht für akzeptabel.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 175 Abs. 2 und 78 GWB, der festgesetzte Streitwert auf § 50 Abs. 2 GKG.
P.
A.
J.