Im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen, die mit den Vergabeunterlagen übermittelte Leistungsbeschreibung zu ändern, ist zwischen verschiedenen Zeitpunkten zu differenzieren. Vor Ablauf der Angebotsfrist ist der Auftraggeber zu jeder Änderung der Leistungsbeschreibung befugt, die sich im Rahmen des Leistungsgegenstands bewegt, wie in der Auftragsbekanntmachung publiziert wurde. Vorsicht ist allerdings bei Änderungen geboten, die kurz vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgen. Der Auftraggeber muss in jedem Fall sicherstellen, dass die Bieter ausreichende Zeit haben, um auf die Änderungen zu reagieren und ihre Angebotsvorbereitung respektive Kalkulation entsprechend anzupassen. Andererseits ist es nicht so, dass mit jeder Änderung der Vergabeunterlagen vor Ablauf der Angebotsfrist die Mindestfristen erneut in Gang gesetzt werden. Der Auftraggeber hat sogar die Möglichkeit, auch die Auftragsbekanntmachung zu ändern.1Siehe oben Kapitel 5.6.1. Dies allerdings nur im offenen Verfahren. Im nicht offenen Verfahren und im Verhandlungsverfahren mit vorherigem Teilnahmewettbewerb kommt eine Änderung der Auftragsbekanntmachung nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht mehr in Betracht.
Nach Eingang der Angebote kommt eine Änderung der Leistungsbeschreibung in der Regel nicht mehr in Betracht, denn dies würde gleichzeitig bedeuten, dass das Angebot des oder der Bieter geändert werden müsste. Derartige Änderungen sind auch in einem Aufklärungs- oder Bietergespräch gemäß § 18 EG VOL/A unzulässig. Anders ist die Situation im Verhandlungsverfahren und im wettbewerblichen Dialog. Diese Verfahren werden gerade deshalb gewählt, um im Rahmen eines Informationsaustauschs zwischen Auftraggeber und Bieterunternehmen die Vor- bzw. Nachteile und Chancen und Risiken einer vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsbeschreibung zu beurteilen und ggf. Änderungen oder Erweiterungen vornehmen zu können. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass auch im Verhandlungsverfahren die „Identität“ des Beschaffungsgegenstands gewahrt bleiben muss. Diese wird durch die Vergabebekanntmachung bestimmt. Die Verhandlungen dürfen nicht darauf hinauslaufen, dass der Auftraggeber im Ergebnis völlig andere Leistungen beschafft, als in der Auftragsbekanntmachung beschrieben.2Vgl. OLG Dresden v. 11.3.2005 – W Verg 5/05; OLG Naumburg v. 1.9.2004 – 1 Verg 11/04; OLG Dresden v. 3.12.2003 – W Verg 15/03; OLG Celle v. 16.1.2002 – 13 Verg 1/02.
Es ist häufig so, dass auch nach Abschluss des Vertrags eine Änderung, Erweiterung oder Einschränkung der Leistungsbeschreibung aus Gründen, die in der Einflusssphäre des Auftraggebers oder des Auftragnehmers liegen können, erforderlich oder gewünscht wird. Die Änderung der Leistungsbeschreibung ist rechtlich gesehen eine Vertragsänderung. Sie ist nach Abschluss des Vertrags vergaberechtlich zulässig, sofern die Grenzen für wesentliche Vertragsänderungen nicht überschritten werden.3Siehe oben Kapitel 4.5. Leistungserweiterungen oder Leistungsänderungen können ggf. auch auf § 3 EG Abs. 4 lit. c bis g VOL/A gestützt werden.4Siehe oben Kapitel 5.3.6.
§ 2 Nr. 1 VOL/B sieht vor, dass der Auftraggeber nachträgliche Änderungen der Beschaffenheit der Leistung auch einseitig verlangen kann, soweit der Auftragnehmer leistungsfähig und die Anordnung des Auftraggebers für ihn nicht unzumutbar ist. Das gesetzliche Werkvertragsrecht enthält keine entsprechende Bestimmung. Allerdings hat die Rechtsprechung dem Auftraggeber auch insofern aufgrund und im Rahmen des Gebots von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in der Vergangenheit ein Recht zur einseitigen Änderung der Leistungspflichten nach Vertragsabschluss zuerkannt.5Vgl. etwa BGH v. 25.1.1996 – VII ZR 233/94. Eine einseitige Reduzierung von Leistungen aus dem vereinbarten Leistungsumfang stellt sich jedoch als Teilkündigung dar. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen Teilkündigung bestimmen sich im Werkvertragsrecht nach § 649 BGB. Leistungsänderungen nach Vertragsschluss sind von vertraglich vorgesehenen Konkretisierungen der Leistung zu unterscheiden.6Dazu oben Kapitel 7.5.2.4.