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Werk:
Vergabe von IT-Leistungen
Herausgeber:
Hans-Peter Kulartz/Marc Opitz/Ralf Steding
Autor:
Hans-Peter Kulartz
Stand:
November 2015
Thema:
Leistungen (VgV); Leistungen im IT-Bereich
Auflage:
2. Auflage

6.2 Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Gesetzestreue und Zuverlässigkeit

Aufträge sind gemäß § 97 Abs. 4 S. 1 GWB an fachkundige, leistungsfähige, gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen zu vergeben. Unter Fachkunde versteht man diejenigen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten, die es einem Unternehmen erlauben, den Auftrag, der vergeben werden soll, ordnungsgemäß durchführen zu können.1Vgl. auch Dittmann, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl., § 19 EG Rn. 214 m.w.N. Das Kriterium der Fachkunde enthält damit eine immanente Bevorzugung des erfahrenen Bieters gegenüber einem unerfahrenen „Newcomer“, soweit es durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt ist.2Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01. Die Fachkunde beschränkt sich allerdings insoweit auf die für den Auftrag notwendigen Kenntnisse und ist nicht weitergehend im Sinne umfassender betriebsbezogener Kenntnisse auf dem speziellen Sachgebiet des Auftrags zu verstehen. Nicht zu beanstanden ist es aber, wenn der Auftraggeber z.B. den Nachweis über Erfahrungen oder Referenzen bezüglich der „Entwicklung von Open-Source-Produkten“ verlangt oder bezüglich „Projekten mit V-Modell oder anderer standardisierter Verfahren“, wenn dies Gegenstand des Auftrags ist.3VK Baden-Württemberg v. 23.3.2006 – 1 VK 06/06. Entsprechend kann auch der Nachweis bestimmter Qualifikationen der Unternehmensmitarbeiter gefordert werden (z.B. Kenntnisse über Arbeitserbringung nach ITIL),4Vgl. dazu VK Bund v. 23.12.2009 – VK 1 – 221/09. der Nachweis der Anzahl der Unternehmensmitarbeiter mit bestimmten Qualifikationen, oder Zertifikate über das Qualitätsmanagement. Zu differenzieren ist auch hier zwischen unternehmensbezogenen Eignungszertifikaten oder solchen, die sich auf die zu liefernden Produkte beziehen und die ggf. in der Leistungsbeschreibung gefordert werden.5Ein Beispiel hierfür bildet die Zertifizierung nach § 15a BDBSOG. Für die Teilnahme am bundesweit einheitlichen digitalen Sprech- und Datenfunksystem der BOS dürfen nur Endgeräte beschafft werden, die gem. § 15 a BDBOSG erfolgreich von der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) für den BOS-Digitalfunk in Deutschland zertifiziert worden sind bzw. deren erfolgreiche Nachzertifizierung die Hersteller schriftlich zusichern.

Die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens hat einen finanziellen und einen technischen Aspekt. Der finanzielle Aspekt der Leistungsfähigkeit verlangt, dass der Bieter über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen laufenden Verpflichtungen gegenüber seinem Personal, dem Staat und sonstigen Gläubigern nachzukommen.6Vgl. OLG Düsseldorf v. 9.6.2004 – VII – Verg 11/04; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., § 97 Rn. 107. Zur Feststellung können entsprechende Bankauskünfte, Bilanzen oder Bilanzauszüge des bietenden Unternehmens und Erklärungen über den Gesamtumsatz des Unternehmens, bei Dienstleistungsaufträgen statt Bankerklärungen auch entsprechende Berufshaftpflichtversicherungserklärungen verlangt werden (vgl. § 7 EG Abs. 2 VOL/A).

Die fachlich-technische Leistungsfähigkeit eines Unternehmens ist gegeben, wenn es in technischer Hinsicht über die Mittel verfügt, die erforderlich sind, um den zu vergebenden Auftrag ordnungsgemäß, d.h. fach- und fristgerecht auszuführen.7Vgl auch: Opitz, in: Eschenbruch/Opitz, Kommentar zur SektVO, 2012, § 20 Rn. 17; Kulartz, in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., § 97 Rn. 106, jeweils m.w.N. An der Leistung und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens haben dessen Leitung, die gesamte Betriebsorganisation und die Struktur des Unternehmens maßgeblichen Anteil, und zwar in der Gesamtheit aller Beteiligten, die dies personell verkörpern.8Vgl. auch OLG Dresden, Beschluss v. 23.7.2002 – WVerg 07/02.

Die Aufzählung der Einzelnachweise zur Prüfung der fachlichen und technischen Leistungsfähigkeit in § 7 EG Abs. 3 VOL/A ist abschließend. Darüber hinausgehende oder andere Nachweise darf der Auftraggeber für die fachliche und technische Leistungsfähigkeit nicht verlangen.9Vgl. nur OLG Düsseldorf v. 29.1.2014 – Verg 28/13; Hausmann/von Hoff, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl., § 7 EG Rn. 44. Es bleibt dem Auftraggeber aber unbenommen, die in § 7 EG Abs. 3 aufgeführten Nachweise mit Blick auf den konkreten Auftrag auszufüllen bzw. zu konkretisieren, in dem er z.B. gewisse inhaltliche Anforderungen an die Referenzen stellt oder auch konkrete Bescheinigungen über die berufliche Befähigung fordert.

In der IT-Praxis wird neben der Forderung von Referenzen und Angaben über die technische Leistung und Beschäftigte häufig auch die Beschreibung der technischen Ausrüstung von Interesse sein und kann ebenfalls als Nachweis der Eignung verlangt werden. Besondere Herausforderungen für die fachliche und technische Eignungsprüfung ergeben sich im IT-Sektor daraus, dass IT-Leistungen immer seltener von einem Anbieter alleine erbracht werden. Insbesondere serviceorientierte Architekturen und Cloud-Infrastrukturen führen zu einer zunehmend einfacheren Verknüpfung digitaler Workflows unterschiedlicher Produkte und Dienstanbieter, was eine Zusammenfassung unter einer fachlich und organisatorisch verantwortlichen Generalunternehmerschaft erschwert.10Darauf weisen zutreffend Müller-Hengstenberg/Kirn hin, in: v. Wietersheim (Hrsg.), Vergabe von IT-Leistungen, 2013, S. 87, 97 u. 100. Zu einem Haftungsausschluss für Open-Source-Programme VK Arnsberg v. 4.8.2008 – VK 15/08.

Zuverlässig ist schließlich ein Bieter, der seinen gesamten gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen ist und er aufgrund der Erfüllung früherer Verträge eine einwandfreie Ausführung des Auftrags einschließlich gegebenenfalls der Erbringung von Gewährleistungen erwarten lässt.11Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.12.2004 – VII – Verg 48/04; Saarländisches OLG v. 28.4.2004 – 1 Verg 4/04. Die Verpflichtung zur Einhaltung der gesamten gesetzlichen Vorschriften ist durch das Merkmal Gesetzestreue durch den Gesetzgeber ausdrücklich herausgestellt.

Für die Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters oder Verhandlungspartners im Vergabeverfahren ist maßgebend, inwieweit die Umstände des einzelnen Falles die Aussage rechtfertigen, er werde gerade die von ihm angebotenen Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens sind, vertragsgerecht erbringen können.12Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 8.5.2002 – Verg 8-15/01.

Wichtige Aufschlüsse darüber können namentlich das Verhalten des Unternehmens bei der Erfüllung früherer Verträge, aber auch Vorkommnisse im laufenden oder in einem früheren Vergabeverfahren geben.13Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 4.2.2009 – Verg 65/08. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist letztlich eine Prognoseentscheidung, die regelmäßig aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens des Bewerbers erfolgt. Anhaltspunkte für einen Mangel an Zuverlässigkeit müssen auf gesicherten Erkenntnissen der Vergabestelle beruhen.14Vgl. nur Kulartz , in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl., § 97 Rn. 108 m. w. N.

Von Unzuverlässigkeit eines Teilnehmers am Wettbewerb ist immer auszugehen, wenn eine Person, deren Verhalten dem Unternehmen zuzurechnen ist, rechtskräftig wegen der in § 6 EG Abs. 4 VOL/A genannten Straftaten verurteilt wurde. Im Übrigen wird der Prüfung der Zuverlässigkeit regelmäßig auch dadurch Rechnung getragen, dass eine eigene Erklärung des Bewerbers für die in § 6 EG Abs. 6 VOL/A genannten Tatbestände erfolgt. Nach § 6 EG Abs. 6 VOL/A kann der Auftraggeber Unternehmen von der Teilnahme am Wettbewerb ausschließen,

über deren Vermögen das Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares gesetzliches Verfahren eröffnet oder die Eröffnung beantragt oder dieser Antrag mangels Masse abgelehnt worden ist,

die sich in Liquidation befinden,

die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stellt,

die ihre Verpflichtung zur Zahlung von Steuern und Abgaben sowie der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht ordnungsgemäß erfüllt haben,

die im Vergabeverfahren vorsätzlich unzutreffende Erklärungen in Bezug auf ihre Eignung abgegeben haben. Dabei hat der Auftraggeber in jedem einzelnen Fall dann nach pflichtgemäßem Ermessen selbst zu entscheiden, ob er von der Möglichkeit des Ausschlusses tatsächlich Gebrauch machen will.15Vgl. auch OLG Schleswig v. 30.5.2012 – 1 Verg 2/12.

Nach Ansicht der Vergabekammer des Bundes ist die bei öffentlichen Aufträgen des Bundes mit möglicher Sicherheitsrelevanz aufgrund des sogenannten „No-Spy-Erlasses16Erlass des BMI v. 30. 4.2014 – O4 -11032/23#14. geforderte „No-Spy-Eigenerklärung“ als Anforderung der Zuverlässigkeit unzulässig.17VK Bund v. 24.6.2014 – VK 2 – 39/14; v. Holleben/Probst/Winters, CR 2015, 63, 66 f. Anforderungen zur Weitergabe von Informationen aus einer Rechtsordnung, denen der Bieter unterworfen ist, könnten keine die Zuverlässigkeit ausschließenden Aspekte sein.18VK Bund v. 24.6.2014 – VK 2 – 39/14. Das scheint jedoch zu undifferenziert. Soweit eine Anforderung des ausländischen Rechts, wie z.B. des U.S. Patriot Act, extraterritoriale Wirkung entfaltet und mit einer Anforderung des inländischen Rechts kollidiert, darf alleine aufgrund eines Gesetzesverstoßes gegen inländisches Recht von einer Unzuverlässigkeit und Gesetzesuntreue des Bieters ausgegangen werden. Tatsächlich handelt es sich bei der No-Spy-Eigenerklärung – entgegen dem Wortlaut des Erlasses – allerdings nicht um eine Erklärung zur Zuverlässigkeit. Das wäre der Fall, wenn die Erklärung eine allgemeine Anforderung an das Unternehmen betreffen würde, insbesondere der Bieter aufgefordert würde zu bestätigen, in der Vergangenheit keine Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen begangen zu haben. Der Sache nach handelt es sich um eine Erklärung zur Einhaltung bestimmter Vertraulichkeitsregelungen, die nach Erteilung des Zuschlags bei Ausführung des konkreten Auftrags gelten sollen. Inwieweit Informationsabflüsse an ausländische Sicherheitsbehörden bei öffentlichen Aufträgen durch derartige (vertragliche) Regelungen ausgeschlossen werden können, ist an anderer Stelle zu behandeln.19Dazu unter 7.5.11.