Praktisch bedeutsam ist bei der IT-Beschaffung die Abgrenzung von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen. Zwar ist die Einordnung eines Auftrags als Liefer- oder Dienstleistungsauftrag für die Frage des einschlägigen Schwellenwerts1Vgl. unten Kapitel 4.4. irrelevant und auch nicht für die Frage der anwendbaren Vergabe- und Vertragsordnung von Bedeutung, denn sowohl Liefer- als auch Dienstleistungsaufträge sind nach der VOL/A zu vergeben. Allerdings finden sich innerhalb der VOL/A Vorschriften, die zum Teil nur für Dienstleistungs- oder nur für Lieferaufträge gelten.
Im Hinblick auf die Beschaffung von Standardsoftware ist zunächst auf § 99 Abs. 2 GWB zu verweisen. Diese Vorschrift gilt ihrem Wortlaut nach nur für Verträge zur Beschaffung von Waren. Waren sind bewegliche Sachen. Software ist eine Sache, soweit sie auf einem Datenträger verkörpert ist.2BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 314/86 „Compiler“; BGH v. 14.7.1993 – VIII ZR 147/92; BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04. Im Übrigen ist Software eine unkörperliche Sache (also keine Ware). Bei der Übertragung aufgrund von Download finden Vorschriften über den Sachkauf nur aufgrund der Verweisung des § 453 Abs. 1 BGB, der Vorschrift über den Rechtskauf, entsprechende Anwendung.3Vgl. Hoeren, IT-Vertragsrecht, 2. Aufl. 2012, S. 78; zur früheren Rechtslage – mit gleichem Ergebnis – BGH v. 18.10.1989 – VIII ZR 325/88. Man könnte daher verleitet sein, die Beschaffung von Standardsoftware, die auf einem Datenträger geliefert wird, vergaberechtlich als Lieferauftrag zu qualifizieren und die Bereitstellung von Standardsoftware per Download als Dienstleistungsauftrag. Da beide Formen der Softwarebereitstellung in praxi austauschbar sind, sprechen teleologische Argumente allerdings gegen eine solche Differenzierung. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Bereitstellung von Standardsoftware immer ein Lieferauftrag im Sinne von § 99 Abs. 2 GWB.
Ein Lieferauftrag im vergaberechtlichen Sinne ist nicht nur bei dem Kauf von Standardsoftware gegeben, sondern auch bei der Softwareüberlassung auf Zeit oder mit Kündigungsrecht. Derartige Verträge werden als Softwaremietverträge bezeichnet oder – außerhalb des juristischen Sprachgebrauchs – auch oft als „Softwarelizenzverträge“. § 99 Abs. 2 GWB nennt neben dem Kauf und dem Ratenkauf ausdrücklich auch das Leasing und die Miete beispielhaft als eine Vertragsform zur Beschaffung von Waren. Lediglich der Kauf von Daten, Ideen, Domain-Adressen oder Informationen ist als Dienstleistungsauftrag zu qualifizieren.
Schwieriger ist die Einordnung von Verträgen, die die Errichtung von IT-Systemen, die Herstellung individueller Software oder die Umarbeitung von Standardprogrammen nach den individuellen Bedürfnissen des Auftraggebers zum Gegenstand haben. Nach der Definition von § 99 Abs. 2 GWB („… insbesondere …“) ist die Aufzählung der Vertragstypen nicht abschließend, weshalb neben Kauf-, Miet- und Pachtverträgen auch andere Verträge, die darauf gerichtet sind, dem Auftraggeber die tatsächliche Verfügungsgewalt über eine bewegliche Sache zu verschaffen, als Lieferaufträge einzuordnen sind.4So z.B. Ziekow, in: Ziekow/Völlnik, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013; § 99 Rn. 151. Daraus folgt, dass auch sog. Werklieferverträge i.S.v. § 651 BGB Lieferverträge i.S.d. Vergaberechts sind. Zwar entspricht § 99 Abs. 2 GWB nicht ganz der Definition des Lieferauftrags in Art. 1 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2004/18/EG, die den öffnenden Zusatz („… insbesondere …“) gerade nicht enthält. Der EuGH hat allerdings klargestellt, dass unter den Begriff des „Kaufs“ im Sinne der EU-Vergaberichtlinien – in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des internationalen Kaufrechts und der EU-Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf5Richtlinie 1999/44/EG v. 25.5.1999 (ABl. EG Nr. L 171, 12). – auch Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Waren fallen.6EuGH, Urteil vom 11.6.2009 – C-300/07 „Oymanns“ Tz. 64 f. Der Gerichtshof hat gleichzeitig betont, dass die beratende und planende Tätigkeit, die ggf. zur Herstellung der Ware erforderlich ist, keine andere Beurteilung rechtfertigt.7EuGH a.a.O.
Nun ist es im IT-Recht seit der Siloanlagen-Entscheidung des BGH8BGH v. 23.7.2009 – VII ZR 151/08 651 „Siloanlage“. allerdings umstritten, ob Verträge, die auf die Errichtung von IT-Systemen, die Entwicklung von Software oder die Umarbeitung von Standardprogrammen nach den individuellen Bedürfnissen des Auftraggebers gerichtet sind, zivilrechtlich als Werklieferverträge i.S.v. § 651 BGB oder als Werkverträge i.S.v. § 631 BGB zu qualifizieren sind.9Vgl. im Einzelnen Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl. 2015, vor § 631 BGB Rn. 22 und § 651 Rn. 4. Nach zutreffender Ansicht ist ein Vertrag, bei dem die planerischen und geistig-schöpferischen Tätigkeiten dominieren (Programmieren, Konfigurieren, Testen etc.) und bei dem die Herstellung einer Ware (Datenträger) und deren Eigentumsverschaffung untergeordnete Bedeutung hat und – wie der Fall der Softwarebereitstellung via Download zeigt – zur Erfüllung des Vertragszwecks sogar verzichtbar sein kann, nicht als Werkliefervertrag einzuordnen.10BGH v. 5.6.2014 – VII ZR 276/13 „Warenwirtschaftssystem“; BGH v. 25.3.2010 – VII ZR 224/08; BGH v. 4.3.2010 – III ZR 79/09 „Internet-System-Vertrag“. Dies gilt erst recht, wenn ein über die Sachherstellung hinausgehender Gesamterfolg geschuldet ist. So ist es etwa, wenn nicht nur die Softwareerstellung als solche geschuldet wird, sondern z.B. auch deren Installation oder eine Datenmigration oder wenn Gegenstand des Vertrags gar ein funktionierendes – betriebswirtschaftliches – Gesamtsystem aus Hardware- und Softwarekomponenten ist. Derartige Verträge sind vergaberechtlich nicht als Lieferaufträge, sondern als Dienstleistungsaufträge zu qualifizieren. Für die vergaberechtliche Einordnung als Dienstleistungsauftrag spricht in diesen Fällen zudem die Sachnähe. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat zahlreiche spezielle vergaberechtliche Regelungen geschaffen, die an einen Herstellungsprozess anknüpfen und die zwar für Dienstleistungs- und Bauaufträge gelten, aber nicht für Lieferaufträge.11So etwa in Art. 31 Abs. 4 und Art. 48 Abs. 2 lit. f VKR. Schließlich ordnet die VKR die „Entwicklung von Software“ selbst als Dienstleistungsauftrag ein. Das folgt aus Anhang II Teil A der VKR, der die „Datenverarbeitung und verbundene Tätigkeiten“ als Dienstleistungen der Kategorie 7 nennt und zur näheren Bestimmung dieses Bereichs unter anderem auf die Ziffern 72100000-6 bis 72591000-4 des Common Procurement Vocabulary (CPV)12Vgl. hierzu oben Kapitel 2.1.3. verweist. Hierzu zählt die „Entwicklung von Software“, die in der CPV gegenüber der Beschaffung von „Softwarepaketen und Informationssystemen“ (Ziffern 48000000-8 ff.) als Lieferleistung abgegrenzt wird.