Das Vergaberecht im Unterschwellenbereich, das heißt für Aufträge, deren Werte die Schwellenwerte der EU-Vergaberichtlinien nicht erreichen, beruht auf dem Haushaltsrecht des Bundes, der Länder und der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die Haushaltsvorschriften des Bundes, der Länder und der Gemeinden legen zunächst übereinstimmend fest, dass bei der „Ausführung des Haushaltsplans“ und demzufolge bei haushaltswirksamen Ausgaben die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten sind.1Vgl. § 6 HGrG, § 7 BHO, § 7 LHOen. Weitergehend enthalten die Haushaltsrechte die Vorgaben, dass dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen muss, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen, und dass beim Abschluss von Verträgen nach einheitlichen Richtlinien zu verfahren ist.2Vgl. § 30 HGrG, § 55 BHO, § 55 LHOen.
Auf der Grundlage dieser haushaltsrechtlichen Vorschriften sind beim Bund und in den Ländern Verwaltungsvorschriften erlassen worden, die die haushaltsrechtlich gebundenen Vergabestellen zur Anwendung des ersten Abschnitts der VOB/A und des ersten Abschnitts der VOL/A bei der Vergabe von Aufträgen verpflichten. In einigen Bundesländern folgt die Verpflichtung zur Anwendung der ersten Abschnitte der VOB/A und der VOL/A im Unterschwellenbereich auch aus Landesvergabegesetzen.3Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Sonderregeln für den Sektorenbereich oder den Bereich Verteidigung und Sicherheit bestehen nach den ersten Abschnitten von VOB/A und VOL/A nicht.
Adressat der haushaltsrechtlichen Verpflichtungen zur Anwendung der VOB/A bzw. VOL/A sind die dem jeweiligen Haushaltsrecht unterliegenden Stellen. Dabei handelt es sich um den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit ihren Untergliederungen.4Auf die sog. Sondervermögen des Bundes (z.B. Bundeseisenbahnvermögen, Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung – SoFFin) oder der Länder werden die haushaltsrechtlichen Vorschriften entsprechend angewendet, vgl. § 48 Abs. 1 HGrG. Öffentliche Unternehmen in privater Rechtsform sind nicht an das Haushaltsrecht gebunden.5Sie unterliegen allerdings gleichwohl der Kontrolle der Rechnungshöfe, vgl. § 48 Abs. 2 u. 3 HGrG. Für sie gelten daher die Vergaberegeln des ersten Abschnitts der VOB/A und der VOL/A allenfalls im Rahmen freiwilliger Selbstbindungen (z.B. durch Satzungsrecht). Außerdem können öffentliche Unternehmen in privater Rechtsform wie auch private Unternehmen oder Privatpersonen, die öffentliche Zuwendungen aus Haushaltsmitteln erhalten, zur Anwendung der VOB/A und der VOL/A bei ihren mit Zuwendungsmitteln finanzierten Auftragsvergaben verpflichtet werden. Derartige Verpflichtungen werden üblicherweise dem Zuwendungsempfänger mittels Nebenbestimmungen zum Zuwendungsbescheid auferlegt6Vgl. insbesondere Ziff. 3 der Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P), Anlage 2 zur VV Nr. 5.1 zu § 44 BHO. oder in Zuwendungsverträgen festgeschrieben.
Die Verfahrensvorschriften der ersten Abschnitte der VOB/A bzw. VOL/A, die im Unterschwellenbereich gelten, unterscheiden sich von den Verfahrensvorschriften der zweiten Abschnitte der VOB/A und der VOL/A für den Oberschwellenbereich7Siehe oben Kapitel 2.2.1. zwar im Detail, nicht aber im Grundsätzlichen.8Einen Überblick mit Bezug zu IT-Vergaben gibt Bischof, ITRB 2012, 286 ff. Allerdings wird in den verschiedenen Abschnitten von VOB/A und VOL/A zum Teil eine unterschiedliche Terminologie verwendet, wie sich z.B. an den Begriffen „öffentliche Ausschreibung“ (erster Abschnitt VOB/A und VOL/A) und „offenes Verfahren“ (zweiter Abschnitt VOB/A und VOL/A) zeigen lässt. Wir werden im Rahmen dieses Buchs auf die Verfahrensvorschriften des Unterschwellenvergaberechts an geeigneten Stellen eingehen.
Hervorzuheben sind allerdings die Unterschiede, die sich bei dem Vergaberechtsschutz ergeben. Soweit die VOB/A und die VOL/A im Unterschwellenbereich im Wege von Verwaltungsvorschriften angeordnet werden, fehlt ihnen die sog. „Außenwirkung“. Verwaltungsvorschriften sind Anordnungen, die im Rahmen einer Verwaltungsorganisation von einer übergeordneten Verwaltungsinstanz an eine nachgeordnete Verwaltungsinstanz erfolgen. Sie zählen zum Innenrecht der Verwaltung und begründen gegenüber dem Bürger in der Regel keine subjektiven Rechte. Bieterunternehmen können die Einhaltung der Bestimmungen des ersten Abschnitts der VOB/A und der VOL/A daher nicht vor den Gerichten durchsetzen.
Zwar ist es möglich, eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG durch den öffentlichen Auftraggeber vor den Zivilgerichten geltend zu machen, was auch vor Zuschlagserteilung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 916 ff. ZPO geschehen kann. Dieser Rechtsschutz ist jedoch in vielen Fällen nicht erfolgversprechend. Manchmal hilft es eher, die zuständige Aufsichts- oder Rechnungsprüfungsbehörde des Auftraggebers einzuschalten, wenn Verstöße gegen die VOB/A oder VOL/A im Raum stehen. Auch insofern besteht allerdings kein Anspruch darauf, dass diese Behörden tätig werden und gegebenenfalls auch noch rechtzeitig vor Zuschlagserteilung in ein laufendes Vergabeverfahren eingreifen.9In einigen Bundesländern, wie z.B. in Sachsen, sind allerdings auf landesrechtlicher Grundlage spezielle Rechtsschutzverfahren auch für die Unterschwellenvergaben eingeführt worden. Der unzureichende Bieterrechtsschutz führt in der Praxis gelegentlich dazu, dass bei der Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte mit größerer Nachlässigkeit vorgegangen wird als bei Auftragsvergaben im Oberschwellenbereich, bei denen ggf. Vergabenachprüfungsverfahren nach den §§ 102 ff. GWB drohen.