Fachliteratur  Kommentare und Handbücher  Bauzeit und zeitabhängige Kosten  Teil 3: Nachtrag und Bauzeit  C. Kosten  II. Kostenfolgen 

Werk:
Bauzeit und zeitabhängige Kosten
Herausgeber:
Alexander Tomic
Autor:
Alexander Tomic
Stand:
Januar 2014

2. Baustellengemeinkosten

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Die Baustellengemeinkosten (BGK) stehen zwar im kalkulatorischen Zusammenhang mit den Kosten der Gesamtbauleistung, können den Einzelkosten der Teilleistungen aber nicht direkt zugerechnet werden. Typische Beispiele für deshalb auch als „indirekte Kosten“ bezeichnete Baustellengemeinkosten sind die Bereitstellungs- und Vorhaltekosten für den Kran zur Andienung einer Vielzahl von Teilleistungen und die Kosten für das Führungs- und Aufsichtspersonal (Bauleitungs- und Polierkosten).

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Typisch für Gemeinkosten ist, dass in der Praxis die meisten Unsicherheiten und Missverständnisse zwischen den Parteien wegen störungsbedingter Mehrkosten oft erst bei der Abrechnung von Baustellengemeinkosten entstehen.1Siehe z.B. Reister, Nachträge beim Bauvertrag, Kapitel II, 4.3 (S. 107: „der strittigste Faktor“). Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Ermittlung und Verteilung der Baustellengemeinkosten

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Es beginnt schon mit den Gemeinkosten in der Urkalkulation, ehe es überhaupt zu Störungen und dadurch bedingten Mehrkosten kommt. Denn solange und soweit gesamtbaustellenbezogene Leistungen nicht durch besondere Positionen im Leistungsverzeichnis erfasst sind, und das sind sie, abgesehen von den je nach Größe des Bauvorhabens eigens ausgeschriebenen Positionen für Baustelleneinrichtung, Baustellenräumung und allenfalls noch Baustellenvorhaltung,2Vgl. DIN 18299, Abschn. 0.4.1 sowie 4.1.1 u. 4.1.2 als Nebenleistung, die als besondere Positionen nur vorzusehen sind, wenn deren Kosten von erheblicher Bedeutung für die Preisbildung sind. zum überwiegenden Teil nicht, können Baustellengemeinkosten entgegen dem Grundsatz der verursachungsgerechten Kalkulation nicht dort berücksichtigt werden, wo sie entstehen. Sie müssen vielmehr den Einzelkosten der Teilleistungen durch Umlagen auf alle Positionen und/oder Einrechnung in einzelne bestimmte Positionen zugeordnet und über diesen Umweg nicht direkt, sondern indirekt erwirtschaftet werden. Ob und inwieweit die in der Regel vom Auftraggeber nicht abgefragten Baustellengemeinkosten hierdurch gedeckt werden, liegt voll und ganz im Verantwortungsbereich des Auftragnehmers. Er entscheidet, welche Kapazitäten er für die vertragsgemäße Herstellung des Bauwerks innerhalb der Vertragsbauzeit im Rahmen seiner Gemeinkosten mit welcher Zusammensetzung, welchen Kosten, welchen Einsatzzeiten und mit welchem zeitlichen Ablauf einplant. Die bei Angebotsabgabe kalkulierten Baustellengemeinkosten beziehen sich – das ist für ihr Verständnis wesentlich – also immer nur auf eine bestimmte Leistung, nämlich die ursprünglich geschuldete Vertragsleistung, und einen bestimmten, durch die Vertragsbauzeit festgelegten Zeitraum wie auch den innerhalb dieses Zeitraums vorgesehenen Bauablauf.3Vgl. K/S, Bd. 1: Einheitspreisvertrag, Rdn. 1448 (... nur für den durch die Vertragsbauzeit festgelegten Zeitraum durch den Werklohn gedeckt). Der Auftragnehmer entscheidet, wie er seine zur Vertragsleistung innerhalb der Vertragsbauzeit anfallenden Gemeinkosten welchen Einzelkosten der Teilleistungen zuordnet.4W/G/S-Sundermeier, Nachtragsmanagement, Rdn. 715 f.; Kumlehn/Freiboth, Nachweis von Gemeinkosten bei Nachträgen (2006), S. 2.

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Die Verteilung der Baustellengemeinkosten auf die Einzelkosten der Teilleistungen erfolgt bei Bauvorhaben, die keinen wesentlichen Baustellengemeinkostenaufwand, sondern vorwiegend gleichartige Bauleistungen und kürzere Ausführungsdauern erfordern, mit pauschal vorbestimmten Zuschlagssätzen. Bei dieser Art der vereinfachten Zuschlagskalkulation steht nicht die Ermittlung, sondern die Verteilung homogener Gemeinkosten im Vordergrund. Das führt bisweilen dazu, dass vor allem kleinere Unternehmen ihre bei störungsfreiem Ablauf kalkulierten Gemeinkosten, d.h. deren konkrete Zusammensetzung, Kosten und zeitlichen Verlauf während der vertraglich vorgesehenen Bauzeit oftmals gar nicht kennen und aus diesem Grund in ihrer Kalkulation entweder zu niedrige oder zu hohe Zuschlagssätze zugrunde legen.5Berner, BauR 2010, 1407.

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Bei gemeinkostenintensiven Auftragskontingenten mit wechselnden Laufzeiten und nicht stets gleich beanspruchtem Baustellenapparat dagegen werden zwar Baustellengemeinkosten in gleicher Weise wie die Einzelkosten der Teilleistungen nach kategorisierten Kostenarten (Lohn, Gerät, Stoffe usw.) baustellen- und projektspezifisch ermittelt. Meist bleibt es jedoch auch hier bloß beim internen Leistungsverzeichnis, welches die Auftragnehmer, wenn sie es nicht müssen, nicht aus der Hand geben. Das liegt daran, dass mit einer detaillierten Aufschlüsselung der Gemeinkostenbestandteile und deren Zusammensetzung nicht Zahlen preisgegeben werden sollen, die das gesamte Unternehmen betreffen und Rückschlüsse auf Geschäftsinterna zulassen.6Kumlehn/Freiboth, Nachweis von Gemeinkosten bei Nachträgen (2006), S. 7; W/G/S-Sundermeier, Nachtragsmanagement, Rdn. 717.

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Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge allerdings müssen Bieter auf Verlangen im VHB-Formblatt 222 (Preisbildung bei Kalkulation über die Endsumme) ihre Baugestellengemeinkosten, soweit hierfür keine besonderen Ansätze im Leistungsverzeichnis vorgesehen sind, offenlegen und in bis zu fünf hierzu formularmäßig vorgegebenen Kostensummen aufschlüsseln.7Vgl. VHB-Formblatt 222, Nrn. 3.1.1 bis 3.1.5. Beim Ausfüllen dieser Formblätter ergeben sich zum einen aber schon wegen der starr vorgegebenen Kostensummenaufteilung regelmäßig formale Zuordnungs- und Zuweisungsprobleme.8Unklar z.B. ist vor allem, wie Gemeinkosten für Fremdleistungen anzugeben sind, vgl. Berner, BauR 2010, 1407 (1408). Zum anderen ändert selbst auch die auftraggeberseitig vorgegebene Aufschlüsselung der Baustellengemeinkosten nichts daran, dass jedenfalls bei den gegenwärtigen Formularvordrucken (VHB-Formblatt 222) deren Gesamtsumme im Wege der Kalkulation über die Endsumme wiederum durch prozentuale Beaufschlagung auf die Einzelkosten der Teilleistungen umzulegen ist und dadurch im Ergebnis eben doch nur ein mehr oder minder willkürliches, unternehmens- und/oder projektindividuelles Konglomerat aus Einzelkosten und Gemeinkosten entsteht.9Ruf, BauR 2011, 753 (756).

Kostenentstehung und Kostenverlauf der Baustellengemeinkosten

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Hinzu kommt, dass die Baustellengemeinkosten aus etlichen verschiedenen Kostenanteilen bestehen, die sich sowohl in der Kostenentstehung als auch im weiteren Kostenverlauf nicht homogen verhalten, sondern jeweils eigenen Abhängigkeiten folgen. Eine kostenverursachungsgerechte Kalkulation sollte daher schon aus dem Grund unterscheiden zwischen einmaligen Kosten, wie z.B. den sich durch Bauzeitverlängerung grundsätzlich nicht ändernden Kosten für Baustelleneinrichtung und -räumung, den zeitabhängigen Kosten, wie vorzugsweise Vorhaltekosten, den leistungs- bzw. mengenabhängigen Kosten, wie z.B. den von der Höhe der Bauleistungssumme abhängigen Sonderkosten für Bauleistungsversicherung oder Vorfinanzierungskosten (Bauzinsen), und den gemischt leistungs- und zeitabhängigen Kosten, wie z.B. Kosten für Aufsichts- und Führungspersonal, die im Falle der Bauzeitverlängerung wegen des höheren Koordinations- und Überwachungsbedarfs aber auch mit der Zunahme der Bauleistung steigen.10Drittler, Nachträge und Nachtragsprüfung, Rdn. 2:283; W/G/S-Sundermeier, Nachtragsmanagement, Rdn. 722; Reister, Nachträge beim Bauvertrag, Kapitel II, 4.3 (S. 107); Franz/Kues, BauR 2006, 1376 (1377).

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Diese unterschiedlichen Abhängigkeiten bleiben bei der vereinfachten Zuschlagskalkulation mit vorbestimmten Zuschlagssätzen (VHB-Formblatt 221) und ebenso auch bei der Verteilung baustellenspezifisch ermittelter Baustellengemeinkosten durch Kalkulation über die Endsumme (VHB-Formblatt 222) unberücksichtigt. Sowohl bei der Zuschlagskalkulation als auch der Kalkulation über die Endsumme fließen einmalige, zeitabhängige und leistungs- bzw. mengenabhängige Gemeinkosten undifferenziert in gemeinsame Zuschlagswerte mit ein. Eine nachträgliche Differenzierung der Gemeinkosten wiederum ist in hohem Maße konfliktbehaftet.11Ruf, BauR 2011, 753 (757). Das liegt vor allem daran, dass jeder Bauzeitnachtrag, der maßgeblich auf laut Urkalkulation aufsummierte zeitabhängige Kosten aufbaut, die im Leistungsverzeichnis nicht abgefragt, nicht angeboten und womöglich gar in zeitunabhängige Positionen (z.B. Baustelleneinrichtung) eingerechnet sind, bei Auftraggebern Zweifel an der Begründetheit und Plausibilität des Bauzeitnachtrags geradezu heraufbeschwören muss.

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Das wird im Rahmen der Ermittlung der störungsbedingten Gemein(mehr)kosten durch Nachtragskalkulation zusätzlich noch dadurch verschärft, dass sich die Baustellengemeinkosten sowohl insgesamt als auch was die Verteilung und das Verhältnis aus zeitunabhängigen und zeitabhängigen Kosten über die gesamte Bauzeit betrifft, nicht konstant verhalten, sondern der Höhe nach variabel von der Entstehung im Projektverlauf und der Lage im Bauablauf (mit je nach Start-, Hauptbau- und Endphase unterschiedlichen Kostenverläufen) abhängen.12Kumlehn/Freiboth, Nachweis von Gemeinkosten bei Nachträgen (2006), S. 7; W/G/S-Sundermeier, Nachtragsmanagement, Rdn. 1226 u. 1507.

Baustellengemeinkosten und Bauzeitnachträge

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Die bezüglich Kostenentstehung und Kostenverlauf nicht differenzierende Zuschlagsbildung beseitigt die vorher durch Kalkulation über die Endsumme (VHB-Formblatt 222) mühsam hergeleitete detaillierte Kostentransparenz. Der Verlust der Kostentransparenz wiederum schafft Anreize zur nicht leistungs-, sondern interessengesteuerten Umverteilung der Kosten (Spekulation).13Ruf, BauR 2011, 753 (756); Kumlehn/Freiboth, Nachweis von Gemeinkosten bei Nachträgen (2006), S. 3.

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Das gilt umso mehr in Zeiten, in denen auf Grund von Überkapazitäten am Bau Angebote nicht kostendeckend kalkuliert werden, Projektlaufzeiten immer mehr verkürzt werden, Bauabläufe dadurch umso störanfälliger sind14Rodde/Bauer/Stassen, ZfBR 2005, 634. und zudem der prozentuale Anteil der Baustellengemeinkosten an den Herstellkosten durch technische Verbesserung immer leistungsfähigerer Geräte und Maschinen stetig steigt. Unter dem Druck dieser ständig weiter auseinander gehenden Leistungs-, Zeit- und Kostenschere ist es namentlich bei Großprojekten keine Seltenheit, dass Auftragnehmer die durch undifferenzierte Zuschläge geschaffene Intransparenz und Abhängigkeit der Gemeinkosten von der Lage und den Einsatzzeiten im Bauablauf mehr und mehr schon in der Angebotskalkulation gezielt und systematisch zur „Optimierung“ späterer Bauzeitnachträge nutzen. Dazu werden bei Angebotsabgabe typischerweise möglichst große Teile der zeitabhängigen Baustellengemeinkosten in nicht selten durch Kalkulationsvorgaben von der Umlage sogar ausdrücklich ausgenommene Positionen eingerechnet, um so bei Angebotswertung und Auftragserteilung den Umfang der verdeckt hochgerechneten Baustellengemeinkosten zu verschleiern und durch zumeist „optimierte“ Bauablaufpläne zur Erzielung höherer Kostenpauschalen je Zeiteinheit die Dauer der für die Berechnung zugrunde gelegten Bezugszeiten zu verkürzen.

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Daraus ergeben sich drei wesentliche Fragen, die näherer Betrachtung bedürfen:

a)

Kalkulation vertraglicher Gemeinkosten,

b)

Nachtragskalkulation störungsbedingter Gemeinkosten und

c)

vertragsrechtliche Beurteilung vertragswidrig verteilter Gemeinkosten.