Fachliteratur  Kommentare und Handbücher  Bauzeit und zeitabhängige Kosten  Teil 3: Nachtrag und Bauzeit  C. Kosten  I. Aufwand und Kosten  3. Kostenermittlung  b) Preissteigerungen 

Werk:
Bauzeit und zeitabhängige Kosten
Herausgeber:
Alexander Tomic
Autor:
Alexander Tomic
Stand:
Januar 2014

bb) Preisanpassung der Höhe nach

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Beim Schadensersatzanspruch kommt es nicht auf ursprünglich kalkulierte Kosten, sondern auf den tatsächlich nachzuweisenden Schaden an (§ 6 Abs. 6 VOB/B und § 280 BGB), der gleich alle störungsbedingten Mehrkosten infolge Preissteigerung umfasst. Der Vergütungs- und Entschädigungsanspruch dagegen ist nach der Höhe der vereinbarten Vergütung und den kalkulierten Kosten zu berechnen (§ 2 VOB/B und § 642 Abs. 2 BGB), die je nach Höhe der änderungs- oder störungsbedingten Mehrkosten entsprechend anzupassen sind. Teilweise wird außerdem zwischen Vergütungs- und Entschädigungsanspruch unterschieden. So wird vertreten, dass durch die Entschädigung gemäß § 642 BGB nur die Nachteile während des Annahmeverzugs und durch die vertraglich vereinbarte Vergütung gemäß § 2 VOB/B die vor und nach dem Verzögerungszeitraum liegenden Herstellungsphasen abgedeckt sein würden.1So R/V/L, Handbuch Bauzeit, noch in 1. Aufl., Rdn. 750 (a.A. in 2. Aufl., Rdn. 761 f.); Roskosny/Bolz, BauR 2006, 1804 (1814) unter Bezugnahme auf OLG Köln, Urt. v. 14.8.2003 – 12 U 114/02, NJW-RR 2004, 818; IBR 2004, 411 (Malotki) u. OLG Jena, Urt. v. 11.10.2005 – 8 U 849/04, NZBau 2006, 510; IBR 2006, 14 (Leinemann). Richtiger Auffassung nach werden nach § 642 BGB jedoch alle kausal durch den Annahmeverzug entstandene Mehrkosten erfasst, die dem Auftragnehmer ohne den Annahmeverzug nicht entstanden wären, so dass nach der zutreffenden kausalen Betrachtungsweise2Boldt, BauR 2006, 185 (194); K/M-v. Rintelen, § 9 VOB/B, Rdn. 85; K/K, Kompendium des Baurechts, 8. Teil, Rdn. 33; vgl. dagegen Kniffka/Pause/Vogel, ibr-online Bauvertragsrecht, § 642 BGB, Rdn. 55. nicht zwischen Mehrkosten während des Annahmeverzugs und den in der Regel nicht klar trennbaren Mehrkosten vor und nach dem Annahmeverzug unterschieden werden muss.

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Uneinigkeit besteht insbesondere darüber, in welcher Weise die Mehrkosten infolge von Preissteigerungen der Höhe nach zu berücksichtigen sind.

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Eine Auffassung stellt sowohl auf kalkulierte und tatsächliche Kosten ab. Gegenüberzustellen sind hiernach zum einen die Beschaffungskosten gemäß Kalkulation für das Bausoll und zum anderen die anhand der Abrechnung mit den Lieferanten zu belegenden, tatsächlich angefallenen Ist-Beschaffungskosten, um darzulegen, dass sich zum Zeitpunkt der Leistungserbringung die Beschaffungspreise gegenüber der ursprünglich vereinbarten Zeit erhöht haben. Den sich hieraus ergebenden Preissteigerungsfaktor, z.B. bei kalkulierten Soll-Beschaffungskosten von 100 €/E und tatsächlichen Ist-Beschaffungskosten von 120 €/E in Höhe von 120 €/100 € = 1,2, soll der Auftragnehmer zusätzlich zum fortzuschreibenden Vertragspreisniveau ansetzen dürfen, wenn der kalkulierte Beschaffungspreis von 100 € dem damaligen tatsächlichen Preis (Marktpreis) entsprochen hat.3K/S, Bd. 1: Einheitspreisvertrag, Rdn. 1015; L/S, Bauplanung und Bauausführung, Rdn. 2233.

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Eine andere Meinung differenziert zwischen kalkulierten und tatsächlichen Kosten: Halten sich die Preissteigerungen im Rahmen der allgemeinen Preisentwicklung, seien die Beschaffungspreise vorkalkulatorisch in der Höhe fortzuschreiben, wie der Auftragnehmer diese bei gleichem Kostendenken und Kenntnis der Ausführungsverzögerung von Anfang an angesetzt hätte. Unvorhersehbare Preissteigerungen dagegen ließen sich nicht vorkalkulatorisch ermitteln, so dass, aus demselben Grund wie bei nicht vorgesehenen Zusatzleistungen, statt auf kalkulierte Kosten auf tatsächlich notwendige Kosten abzustellen sei.4A/H-Althaus/Bartsch, Der öffentliche Bauauftrag, Teil 4, Rdn. 190; Althaus, ZfBR 2007, 411 (415).

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Gegen letztere Ansicht sprechen drei Einwände. Erstens ein Einwand grundsätzlich gegen die Unterscheidung zwischen vorhersehbaren und unvorhersehbaren Preissteigerungen, weil hierdurch objektive und unbestimmbare subjektive Momente mit erheblicher Rechtsunsicherheit für die Praxis miteinander vermengt werden. Abgesehen davon teilt der Bundesgerichtshof die Grundannahme einer Vorauskalkulation nicht, da er auch eine im Nachhinein erstellte Kalkulation zulässt, solange sie nur der Preisbildung tatsächlich zugrunde liegt.5BGH, Urt. v. 18.12.2008 – VII ZR 201/06 (Rdn. 38 f.), BauR 2009, 491; NZBau 2009, 232; IBR 2009, 127 (Rohrmüller) u. 128 (Leinemann); vgl. auch K/S, Bd. 1: Einheitspreisvertrag, Rdn. 1015. Zweitens ein Einwand gegen die Zugrundelegung von tatsächlichen Kosten, weil dadurch der überkalkulierende Bieter durch die Vorenthaltung von Gewinnen benachteiligt und der unterkalkulierende Bieter durch die Bewahrung vor Verlusten bevorteilt wird. Das aber ist ein Verstoß gegen den fundamentalen Grundsatz der Preisfortschreibung, wonach keine Vertragspartei durch nachträglichen Wegfall, Änderung oder Störung von Preisgrundlagen besser-, aber auch nicht schlechtergestellt werden darf, solange der Grundsatz nicht entweder generell beibehalten oder generell beschränkt wird. Dass demgegenüber Mehrkosten nur von Fall zu Fall je nach Vorhersehbarkeit mit unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen Berücksichtigung finden sollen, wird der Praxis schwerlich zu vermitteln sein. Drittens ein Einwand gegen die Beschränkung auf erforderliche Kosten, weil hier ein ungeschriebenes Kriterium aus einer Formularbestimmung (§ 1 Abs. 4 VOB/B) auf andere Formularbestimmungen (§ 2 VOB/B) übertragen wird, eine analoge Anwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Gunsten des Verwenders – bei öffentlichen Aufträgen der Auftraggeber – AGB-rechtlich aber nicht zulässig ist (§ 305 c Abs. 2 BGB).6BGH, Urteil v. 2.10.1997 – VII ZR 44/97, BauR 1997, 1027 (1028); NJW-RR 1998, 235; ZfBR 1998, 31; IBR 1998, 12 (Enaux).

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Soweit sich tatsächliche Beschaffungsmehrkosten z.B. anhand von Abrechnungen mit Lieferanten oder wegen einer Vielzahl von eingebauten Materialien im Einzelnen nicht nachweisen lassen, bietet der jeweilige Baupreisindex oder Preisabgleich über Preislisten der entsprechenden Lieferanten bzw. Hersteller greifbare Anhaltspunkte für eine Schätzung (§ 287 ZPO) anstelle der tatsächlichen Preissteigerung.7R/V/L, Handbuch Bauzeit, Rdn. 983; A/H-Althaus/Bartsch, Der öffentliche Bauauftrag, Teil 4, Rdn. 188; W/G/S-Sundermeier, Nachtragsmanagement, Rdn. 2125. Allerdings ist auch hier im Rahmen einer Schätzung der zugrunde gelegte Preisindex wegen Beibehaltung des Vertragspreisniveaus nicht auf die tatsächlichen, sondern die kalkulierten Kosten aufzuschlagen.

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Beispiel:8In Anlehnung an A/H-Althaus/Bartsch, Der öffentliche Bauauftrag, Teil 4, Rdn. 193. Kalkuliert der AN einen Beschaffungspreis von 80 €/E anstelle realistischer 100 €/E und steigt infolge Verzögerung der Preisindex um den Faktor 1,5, so dass tatsächlich 150 €/E zu zahlen sind, kann der AN nur 80 €/E x 1,5 = 130 €/E ansetzen.

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Der Vorteil dieser sog. Indexlösung besteht in ihrer vereinfachten Handhabung, den maßgeblichen Kostenerhöhungsindex schon anhand der Differenz zwischen dem durchschnittlichen Preisindex der Vertragsbauzeit und dem durchschnittlichen Preisindex der Verzögerungszeit zu errechnen.9V/J/S/L-Schubert, Bauverzögerung, Teil B, Rdn. 229, ggf. durch Vergleich der Leistungsschwerpunkte im Soll und Ist oder Aufteilung in einzelne Preissteigerungsraten. Ihr Nachteil ist, dass durch das Abstellen auf durchschnittliche Preisindizes nur allgemeine, nicht individuelle Kosten- und Preisentwicklungen (z.B. geringere Nachlässe wegen geringerer Abnahmemengen) kostenmäßig erfasst werden.10A/H-Althaus/Bartsch, Der öffentliche Bauauftrag, Teil 4, Rdn. 188 (a.E.) u. 194.