Nicht notwendigerweise muss aber in der Rahmenvereinbarung eine Mindestabnahmemenge vereinbart werden. Für eine Rahmenvereinbarung ist es charakteristisch, dass hieraus unmittelbar keine Verpflichtung zur Abnahme bestimmter Leistungsmengen resultiert. Auch der Rahmenvertrag nach europarechtlicher Begriffsprägung gem. Art. 32 der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, der bereits abschließende Regelungen enthält, verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber nicht, unmittelbar hieraus auch abzurufen. Vielmehr bringt und hält erst der Abschluss von Einzelverträgen die Geschäftsbeziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer in Gang. Insofern ist auch eine Vertragsklausel, die diese fehlende Abnahmeverpflichtung des Auftraggebers in einer Rahmenvereinbarung regelt, zunächst rein deklaratorischer Natur. Die Ausschreibung von solchen so genannten „Nullmengen-Verträgen“�, kann jedoch im Einzelfall vergaberechtlichen Bedenken begegnen.1Graef, NZBau 2005, 561 (565).
Insbesondere können sich solche Bedenken aufgrund des Verbots, Risiken ungewöhnlicher Wagnisse auf den Auftragnehmer aufzubürden, ergeben. Diese Regelung, die in der VOL/A 2006 noch ausdrücklich enthalten war, lautete:
„Dem Auftragnehmer soll kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im voraus schätzen kann.“
Diese Regelung wurde zwar im Rahmen der VOL/A-Novellierung 2009 gestrichen; ihre Grundsätze sind aber – nach vorzugswürdiger Ansicht – weiterhin zu beachten.2Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2011, § 7 VOL/A Rn. 9515. Da sich die Vertragsparteien, anders als im Zivilrecht, nicht gleichberechtigt gegenüberstehen, sondern vielmehr die öffentliche Hand als Nachfrager und Auftraggeber die Vertragsbedingungen ihrem Vertragspartner einseitig diktieren kann,3Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2011, § 7 VOL/A Rn. 9514. bedarf es eines Korrektivs, das dieses Ungleichgewicht insofern ausgleicht, als zumindest unlautere Vorgehensweisen seitens des öffentlichen Auftraggebers verhindert werden. Der öffentliche Auftraggeber darf daher das Risiko eines sogenannten ungewöhnlichen Wagnisses nicht einseitig auf den Auftragnehmer abwälzen. Aus dem Wortlaut des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 ergeben sich damit zwei Voraussetzungen für ein ungewöhnliches Wagnis: Zum Einen müssen Umstände gegeben sein, auf die der Bieter keinen Einfluss hat, zum Anderen müssen diese eine kaufmännisch vernünftige Preiskalkulation unzumutbar machen.
Letzteres ist auch ein Grund dafür, warum nach einer anderen Ansicht die Streichung des expliziten Verbots der Aufbürdung des ungewöhnlichen Wagnisses bedeuten soll, dass dieses nicht mehr gilt. Denn nach Prieß4Prieß, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Auflage 2011, § 7 Rn. 42. kann der Bieter das wirtschaftliche Risiko verhindern, indem er auf eine Teilnahme an der Ausschreibung verzichtet. Dies berücksichtigt aber nicht, dass im Vergaberecht u.a. der Grundsatz der Transparenz gewährleisten soll, dass möglichst alle in Frage kommenden Bieter auch ein Angebot abgeben, um ein möglichst neutrales Ausschreibungsverfahren durchführen zu können. Schließlich macht es für einen Bieter keinen Unterschied, ob er einen Auftrag nicht erhält, weil er aufgrund mangelnder Bestimmtheit der Ausschreibung gar kein Angebot abgegeben hat, oder ob er aufgrund mangelnder Transparenz der Ausschreibung sein Angebot falsch kalkuliert und deshalb den Zuschlag nicht erhält. Das Verbot der Aufbürdung des ungewöhnlichen Wagnisses vereint damit zwei essentielle Grundsätze des Vergaberechts – die Transparenz und die Bestimmtheit – und ist daher, trotz seiner Streichung, nach seinem Sinn und Zweck weiterhin zu berücksichtigen.
Diese Ansicht schlägt sich auch in der neuesten Rechtsprechung, die der VOL/A-Novelle 2009 folgt, nieder.
So entschied das OLG Dresden5OLG Dresden, NZBau 2011, 775 (776). im August 2011 bezüglich eins Vergabeverfahrens für die Lieferung von Streusalz, dass eine Mindestabnahmemenge vorzusehen sei, da ansonsten den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt werde. Ausgeschrieben war eine Rahmenvereinbarung mit einer möglichen Gesamtmenge von ca. 18.000 t Streusalz; eine Mindestabnahmemenge war nicht vorgesehen, dafür jedoch die Möglichkeit, dass im Bedarfsfall auch eine Mehrmenge von 10 % ohne Mehrpreis abgerufen werden könne sowie Vertragsstrafen für Verzug für den Fall, dass nicht täglich 125 t geliefert werden können.
Der Auftragnehmer sah darin ein ungewöhnliches Wagnis, der Auftraggeber berief sich darauf, dass das Merkmal des ungewöhnlichen Wagnisses in der VOL/A 2009 nicht mehr enthalten sei. Außerdem sei in einer Rahmenvereinbarung keine Mindestabnahmemenge notwendig. Das OLG Dresden gab dem Auftragnehmer Recht. Nach Ansicht des Gerichts legten die Vertragsbedingungen dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis auf, wie es weder in einem Rahmenvertrag noch in einem Liefervertrag enthalten sein dürfe. Der Grundsatz sei, dass der Käufer das Risiko dafür trage, ob er den Kaufgegenstand tatsächlich verwende. Dies werde aber im vorliegenden Fall komplett auf den Auftragnehmer verlagert. Zwar sei tatsächlich der Begriff des ungewöhnlichen Wagnisses nicht mehr in der VOL/A 2009 enthalten; daraus den Schluss zu ziehen, es sei nunmehr erlaubt, die Auftragnehmer mit Umständen und Ereignissen zu belasten, auf die sie keinen Einfluss hätten und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen sie nicht im Voraus abschätzen könnten, sei indes verfehlt.6Ausführlich hierzu auch von Gehlen/Hirsch, NZBau 2011, 736 ff.
In eine ähnliche Richtung geht auch die Entscheidung des OLG Jena, ebenfalls aus August 2011 und ebenfalls zum Themenkomplex Streusalz. Nach Ansicht des Gerichts werde ohne die Angabe einer verlässlichen Mindestabnahmemenge jeder Bieter für seine Kalkulation von einem anderen Mengengerüst ausgehen, auf das er die Vorhaltekosten umlegen muss. Es müssen damit alle Angebote auf Spekulationspreisen basieren. Daraus ergeben sich aber auch Bedenken gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97II GWB.7OLG Jena, NZBau 2011, 771 (774).
Eine Trendwende dahingehend anzunehmen, dass Rahmenvereinbarungen nunmehr generell mit einer Abnahmegarantie zu verknüpfen sind, dürfte mit diesen Entscheidungen jedoch nicht vollzogen sein. Jedenfalls bei Rahmenverträgen über Massenwaren, die jederzeit in beliebiger Menge produziert oder beschafft werden können, in großem Umfang auch anderweitig absetzbar sind und langfristig kostengünstig gelagert werden können, dürfte eine Abnahmeverpflichtung auch in Zukunft entbehrlich sein.8Byok, NJW 2012, 1124 (1127). Dies dürfte für Standardwaren wie PCs, Notebooks oder Bildschirme angenommen werden, nicht jedoch für speziell entwickelte Software. Grundsätzlich ist für die Frage, ob der Verzicht auf eine Abnahmeverpflichtung oder andere Spezifikationen des Rahmenvertrags dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis aufbürden, auf den Einzelfall abzustellen.9Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2011, § 7 VOL/A Rn. 9519 m. w. N.