Fachzeitschriften  VergabeNavigator  Jahrgang 2020  Ausgabe 5  Rechtsprechung 

Zeitschrift:
VergabeNavi - Der Vergabe Navigator
Autor:
Timm Freiheit
Beitragstyp:
Rechtsprechung
Ausgabe:
5/2020 Seiten: 16 bis 17

Zulässige zusätzliche Absicherung

VK Bund: Vorhabenbezogene Versicherung darf gefordert werden

Timm Freiheit

Rechtsanwalt Timm Freiheit, Leinemann & Partner Rechtsanwälte mbB, Frankfurt am Main, Tahireh Setz, wiss. Mitarbeiterin

Es kann einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehrt werden, durch den Auftragnehmer fahrlässig oder grob fahrlässig verursachte Schäden nicht allein über die Haftung des Auftragnehmers abzudecken, sondern hierfür den Abschluss einer vorhabenbezogenen Versicherung zu fordern. Das hat die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) mit Beschluss vom 19.5.2020 (VK 1-28/20) klargestellt.

Der Sachverhalt

Zur Vergabe von Instandhaltungsleistungen eines Schiffs führte die Auftraggeberin ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) durch. Das einzige Zuschlagskriterium war der Preis. In der Leistungsbeschreibung forderte sie unter anderem, dass die Bieter eine Reparaturhaftpflichtversicherung für grobe und einfache Fahrlässigkeit anbieten.

Die Entscheidung der Auftraggeberin, das Angebot der Beigeladenen zu bezuschlagen, wurde von der Antragstellerin gerügt. Da der Rüge nicht abgeholfen wurde, leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren bei der VK Bund ein.

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Die Antragstellerin wandte sich gegen die geforderte Reparaturhaftpflichtversicherung, deren Kosten über den Gesamtpreis in die Wirtschaftlichkeitsbewertung eingingen und einen entscheidungserheblichen Teil ausmachten. Die Antragstellerin sah die geforderte Versicherung als klassisches Eignungskriterium an, das nicht zur Wertung der Angebote herangezogen werden dürfe. Zudem sei der Wettbewerbsgrundsatz verletzt, weil große Unternehmen günstigere Reparaturhaftpflichtversicherungen anbieten könnten.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg. Die Vergabekammer entschied, dass der Nachprüfungsantrag zulässig, jedoch unbegründet sei.

Ausführlich erörterte die Kammer grundlegende Fragen über die Anforderung einer Haftpflichtversicherung als Zuschlagskriterium. Die Kammer geht u.a. darauf ein, dass die Anforderung der Reparaturhaftpflichtversicherung zutreffend und vergaberechtlich zulässig als Teil der zu beschaffenden Leistung ausgeschrieben wurde. Dies sei daran erkennbar, da die Versicherung auf das konkrete Vorhaben bezogen sei.

Die Einordnung der Reparaturhaftpflichtversicherung als auf das konkrete Vorhaben bezogene Leistungsanforderung entspreche den vergaberechtlichen Anforderungen, so die VK. Grundsätzlich gelte auch für öffentliche Auftraggeber der Grundsatz der Vertragsfreiheit, aus welcher ein Leistungsbestimmungsrecht hervorgehe. Die Vergabekammer betont hierbei das wirtschaftliche Risiko der Auftragsvergabe. Es könne dem Auftraggeber nicht verwehrt werden, vom Auftragnehmer eine Versicherung für durch den Auftragnehmer fahrlässig oder grob fahrlässig verursachte Schäden zu fordern.

Denn anderenfalls sei er allein auf die Haftung des Auftragnehmers angewiesen, auf die bei finanziellen Engpässen des Auftragnehmers womöglich kein Verlass ist. Insofern biete die Reparaturhaftpflichtversicherung die Gewähr für einen abgesicherten Ersatz von etwaigen Schäden.

Eine solche Anforderung sei auch nicht diskriminierend, weil es grundsätzlich jedem Unternehmen möglich sei, sich eine solche Versicherung am Markt zu beschaffen. Das Vorbringen der Antragstellerin, dass kleine Unternehmen gegen große benachteiligt seien, da diese nur zu deutlich höheren Preisen die Versicherungsleistungen einkaufen könnten, wurde als zu pauschal zurückgewiesen.

Die Kammer erwiderte darauf mit einem „tu quoque“-Argument: Die Antragstellerin selbst konnte im vergangenen Jahr Zuschläge für Aufträge erhalten, die eine solche Versicherungsanforderung enthielten. Zudem wären neben der Unternehmensgröße auch andere Faktoren für den Erhalt einer Versicherung beachtlich, so etwa die bisherige Schadenshäufigkeit, die Liquidität des Unternehmens und die Stellung als Mehrfachkunde. Dass ein Bieter bessere Versicherungskonditionen aufweise, liege nicht zuletzt an seinem konkreten Geschäftsgebaren.

Die VK Bund weist in aller Deutlichkeit darauf hin, dass es nicht Aufgabe des Vergaberechts sei, solche durch wettbewerbliches Verhalten begründeten Unterschiede zwischen Bietern auszugleichen. Ein öffentlicher Auftraggeber sei nicht dazu verpflichtet, seinen Beschaffungsgegenstand so „zuzuschneiden“, dass sich jeder Bieter gleichermaßen an der Beschaffung beteiligen könne.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hatte die Auftraggeberin auch Eignungs- und Zuschlagskriterien nicht miteinander vermischt. Vielmehr sei die Reparaturhaftpflichtversicherung eindeutig Teil der zu beschaffenden Leistung. Eignungsanforderungen wären demgegenüber unternehmensbezogen, nicht aber auf den konkreten Auftrag bezogen.

Aber auch wenn es sich bei der Anforderung um ein Eignungskriterium gehandelt haben würde, läge hierin dennoch keine Verletzung der Rechte der Antragstellerin. Denn dies hätte sich dann nicht auf die Wertung der Angebote in preislicher Hinsicht ausgewirkt, die hier letztlich allein maßgeblich waren. Die Kosten für die Versicherung wären insofern nicht im Rahmen einer konkreten Leistungsposition, sondern z.B. mit den Gemeinkosten in den Angebotspreis miteingeflossen.

Auch der Wiederbeschaffungswert des Schiffes musste hier von der Auftraggeberin nicht genannt werden, weil es sich nicht um ein am freien Markt erhältliches Schiff handele, sondern um ein vor mehreren Jahrzehnten erworbenes Sonderstück. Ein aufwändiges Preisermittlungsverfahren sei der Auftraggeberin nicht zuzumuten.

Die Auftraggeberin musste den Bietern auch keine verbindlichen Vorgaben für die Höhe des Selbstbehalts der Versicherung machen. Wie und zu welchen Konditionen bleibe eine unternehmerische Entscheidung der Bieter.

Eine Obergrenze möge zwar zweckmäßig sein, um zu verhindern, dass das eigentliche Ziel der Versicherung unterlaufen wird, die in der Absicherung der faktischen Haftung des Auftragnehmers liegt. Dabei handele es sich jedoch um eine Obliegenheit des Auftraggebers.

Praxishinweise

Die Entscheidung betrifft mit der Versicherung des Bieters einen in der Praxis stark unterschätzen Themenbereich, mit dem sich öffentliche Auftraggeber regelmäßig sprichwörtliche selbst Steine in den Weg legen. Denn nicht selten werden unbedarft vertragsspezifische Versicherungsanforderungen aufgestellt, die von den Bietern nicht oder nur schwer erfüllt werden können, z.B. weil ihnen zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe nur standardisierte Policen zur Verfügung stehen. Auf das konkrete Verfahren individualisierte Versicherungsbestätigungen können Bieter vielfach schlicht überhaupt nicht oder jedenfalls nicht kurzfristig von den Versicherern einholen.

Insofern sind öffentliche Auftraggeber, wie auch dieser Fall zeigt, gut beraten, die vergaberechtliche Verortung der Versicherungsanforderung im Vorfeld zu bedenken. Für ein reibungsloses Vergabeverfahren kann es einen gravierenden Unterschied bedeuten, ob ein Versicherungsschutz als Leistungsbestandteil anzubieten ist (wie hier) oder als (bloßes) Eignungskriterium vorgegeben wird, zu dem dann ggf. eine vorläufige Eigenerklärung des Bieters zugelassen wird und ein konkreter Nachweis womöglich erst nach Zuschlag eingereicht werden muss.

Die Entscheidung sollte daher auch im Kontext der bisherigen restriktiven Rechtsprechung gesehen werden, etwa dem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom 11.9.2018 (Verg 3/18), nach dem Nachforderungen bei einem Bieter unzulässig waren, dessen Angebot eine Versicherung mit einer von den Vergabeunterlagen abweichenden Deckungssumme enthielt, da dies einer inhaltlichen Änderung des Angebots gleichkäme.

Im Ergebnis ist die Entscheidung der VK Bund als erfreuliches Signal an öffentlicher Auftraggeber anzusehen, dass die Verteilung des wirtschaftlichen Risikos im Schadensfall in den Vordergrund rückt und aufzeigt, dass und wie Versicherungsanforderungen auch als Leistungsbestandteil abgerufen werden können.

Dass die Kosten der Versicherung einen wesentlichen Teil der Gesamtangebotspreise ausmachen, selbst aber womöglich nur begrenzt im Wettbewerb stehen, dürfte eine in der Praxis recht seltene Konstellation sein. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist. Die Beschwerde beim OLG Düsseldorf darf mit Interesse abgewartet werden.

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