Fachliteratur  Kommentare und Handbücher  VOL/A - Kommentar  VOL/A-Kommentare  Kommentar zu § 3 VOL/A  VII. Anwendungsbereich der Freihändigen Vergabe (Abs. 5) 

Werk:
Kommentar: Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen
Autoren:
Kaelble/Müller-Wrede
Stand:
November 2013
Thema:
Leistungen (VgV)
Erläuterungen zur VOL/A
§ 3

Arten der Vergabe

(1)

Öffentliche Ausschreibungen sind Verfahren, in denen eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten aufgefordert wird. Bei Beschränkten Ausschreibungen wird in der Regel öffentlich zur Teilnahme (Teilnahmewettbewerb), aus dem Bewerberkreis sodann eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert. Freihändige Vergaben sind Verfahren, bei denen sich die Auftraggeber mit oder auch ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich an mehrere ausgewählte Unternehmen wenden, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln. Bei Beschränkten Ausschreibungen und Freihändigen Vergaben sollen mehrere – grundsätzlich mindestens drei – Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.

(2)

Die Vergabe von Aufträgen erfolgt in Öffentlicher Ausschreibung. In begründeten Ausnahmefällen ist eine Beschränkte Ausschreibung oder eine Freihändige Vergabe zulässig.

(3)

Eine Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb ist zulässig, wenn

a) 

die Leistung nach ihrer Eigenart nur von einem beschränkten Kreis von Unternehmen in geeigneter Weise ausgeführt wenn kann, besonders wenn außergewöhnliche Eignung (§ 2 Absatz 1 Satz erforderlich ist,

b) 

eine Öffentliche Ausschreibung aus anderen Gründen (z. B. Dringlichkeit, Geheimhaltung) unzweckmäßig ist.

(4)

Eine Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb ist zulässig, wenn

a) 

eine Öffentliche Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt hat,

b) 

die Öffentliche Ausschreibung für den Auftraggeber oder die Bewerber einen Aufwand verursachen würde, der zu dem erreichten Vorteil oder dem Wert der Leistung im Missverhältnis stehen würde.

(5)

Eine Freihändige Vergabe ist zulässig, wenn

a) 

nach Aufhebung einer Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung eine Wiederholung kein wirtschaftliches Ergebnis verspricht,

b) 

im Anschluss an Entwicklungsleistungen Aufträge in angemessenem Umfang und für angemessene Zeit an Unternehmen, die an der Entwicklung beteiligt waren, vergeben werden müssen,

c) 

es sich um die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zur Erfüllung wissenschaftlich-technischer Fachaufgaben auf dem Gebiet von Forschung, Entwicklung und Untersuchung handelt, die nicht der Aufrechterhaltung des allgemeinen Dienstbetriebs und der Infrastruktur einer Dienststelle des Auftraggebers dienen,

d) 

bei geringfügigen Nachbestellungen im Anschluss an einen bestehenden Vertrag kein höherer Preis als für die ursprüngliche Leistung erwartet wird, und die Nachbestellungen insgesamt 20 vom Hundert des Wertes der ursprünglichen Leistung nicht überschreiten,

e) 

Ersatzteile oder Zubehörstücke zu Maschinen und Geräten vom Lieferanten der ursprünglichen Leistung beschafft werden sollen und diese Stücke in brauchbarer Ausführung von anderen Unternehmen nicht oder nicht unter wirtschaftlichen Bedingungen bezogen werden können,

f) 

es aus Gründen der Geheimhaltung erforderlich ist,

g) 

die Leistung aufgrund von Umständen, die die Auftraggeber nicht voraussehen konnten, besonders dringlich ist und die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten der Auftraggeber zuzuschreiben sind,

h) 

die Leistung nach Art und Umfang vor der Vergabe nicht so eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, dass hinreichend vergleichbare Angebote erwartet werden können,

i) 

sie durch Ausführungsbestimmungen von einem Bundesminister – gegebenenfalls Landesminister – bis zu einem bestimmten Höchstwert zugelassen ist,

j) 

Aufträge ausschließlich an Werkstätten für behinderte Menschen vergeben werden sollen,

k) 

Aufträge ausschließlich an Justizvollzugsanstalten vergeben werden sollen,

l) 

für die Leistung aus besonderen Gründen nur ein Unternehmen in Betracht kommt.

(6)

Leistungen bis zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 500,– Euro -(ohne Umsatzsteuer) können unter Berücksichtigung der Haushaltsgrunsdsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ohne ein Vergabeverfahren beschafft werden (Direktkauf).

§ 3 Absatz 2

Der Vorrang der Öffentlichen Ausschreibung beruht auf § 30 Haushaltssgrundsätzegesetz bzw. § 55 BHO.

§ 3 Absatz 3 und 4

Die aufgeführten Tatbestände sind abschließend.

§ 3 Absatz 4 Buchstabe a

Zum Begriff „wirtschaftlich“ vgl. Erläuterungen zu § 18 Absatz 1.

§ 3 Absatz 5

Die unter den Buchstaben a bis j aufgeführten Tatbestände sind abschließend.

§ 3 Absatz 5 Buchstabe a

Zum Begriff „wirtschaftlich“ vgl. Erläuterungen zu § 18 Absatz 1.

§ 3 Absatz 5 Buchstabe e

Zum Begriff „wirtschaftlich“ vgl. Erläuterungen zu § 18 Absatz 1.

§ 3 Absatz 5 Buchstabe g

Die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme dieses Tatbestandes sind enger als in § 3 Absatz 3 Buchstabe b. Nur in Fällen besonderer Dringlichkeit kann auf die Freihändige Vergabe zurückgegriffen werden.

§ 3 Absatz 5 Buchstabe f

Im Gegensatz zu § 3 Absatz 3 Buchstabe b muss die Geheimhaltung erforderlich sein; auch eine Beschränkte Ausschreibung kann im Einzelfall bereits den Geheimhaltungsgesichtspunkten Rechnung tragen.

§ 3 Absatz 5 Buchstabe h

Die Worte „vor der Vergabe“ bedeuten, dass die Leistung zu Beginn des Vergabeverfahrens nicht eindeutig beschrieben werden kann. Im Falle einer Ausschreibung wäre es schwierig, Angebote, die auf ungenaue Leistungsbeschreibungen eingehen, genügend zu vergleichen.

§ 3 Absatz 5 Buchstabe j

Dieser Ausnahmetatbestand gilt auch für Aufträge, an die noch verbleibenden anerkannten Blindenwerkstätten nach dem aufgehobenen Blindenwarenvertriebsgesetz (siehe auch § 141 SGB IX).

§ 3 Absatz 5 Buchstabe l

Dieser Ausnahmetatbestand umfasst die Fälle, bei denen faktisch und rechtlich nur ein Unternehmen für die zu erbringende Leistung in Betracht kommen kann, so dass der Versuch einen Wettbewerb zu veranstalten, zu nicht mehr als einem Angebot führen würde. Hierbei handelt es sich um den Fall

  • eines Angebotsmonopols oder

  • gewerblicher Schutzrechte zugunsten eines bestimmten Unternehmens, es sei denn, der Auftraggeber oder andere Unternehmen sind zur Nutzung dieser Rechte befugt oder

  • einer vorteilhaften Gelegenheit. Der Begriff „vorteilhafte Gelegenheit“ ist eng auszulegen. Die Wahrnehmung einer vorteilhaften Gelegenheit muss zu einer wirtschaftlicheren Beschaffung führen, als diese bei Anwendung der Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung der Fall wäre.

7. Besondere Dringlichkeit (lit. g)

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Eine Freihändige Vergabe ist gemäß § 3 Abs. 5 lit. g zulässig, wenn die Leistung „besonders dringlich“ ist. § 3 Abs. 5 lit. g ist im Zusammenhang mit § 3 Abs. 3 lit. b zu lesen. Diese Ausnahmetatbestände stehen in einem Stufenverhältnis zueinander, das sich an der Hierarchie der Verfahrensarten orientiert. Dabei ermöglicht § 3 Abs. 5 lit. g mit der Freihändigen Vergabe die weitestgehende Reduktion der Förmlichkeit des Verfahrens. Die Anforderungen an die Dringlichkeit sind dementsprechend am höchsten. Sie ähneln jenen der „zwingenden, dringlichen Gründe“ oberhalb der Schwellenwerte. Hingegen sind strengere Anforderungen zu stellen als an die Dringlichkeit, die gemäß § 3 Abs. 3 lit. g zur Beschränkten Ausschreibung berechtigt.1Erläuterungen des DVAL zu § 3 Abs. 5 lit. g. Dementsprechend wird für die Freihändige Vergabe nicht nur Dringlichkeit, sondern „besondere Dringlichkeit“ verlangt.

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Die Feststellung der besonderen Dringlichkeit erfordert eine Abwägung im Einzelfall. In die Abwägung einzustellen sind die grundsätzliche Pflicht des Auftraggebers zur Durchführung eines wettbewerblichen und transparenten Vergabeverfahrens und die durch das Ereignis bedrohten Rechtsgüter. Die Anforderungen an die besondere Dringlichkeit des § 3 Abs. 5 lit. g sind dabei im Wesentlichen dieselben wie jene an die „zwingende“ Dringlichkeit oberhalb der Schwellenwerte. Die besondere Dringlichkeit muss objektiv nachweisbar vorliegen. Entsprechend ist die Freihändige Vergabe gemäß § 3 Abs. 5 lit. g gerechtfertigt, wenn bedeutende Rechtsgüter – etwa Leib und Leben und hohe Vermögenswerte – unmittelbar gefährdet sind.2Siehe die Kommentierung zu § 3 EG. Unmittelbare Gefährdungen der Versorgungssicherheit bei Dienstleistungen der Daseinsvorsorge durch einen drohenden vertragslosen Zustand wie etwa infolge des Ausfalls der Reinigungs- und Hygienedienstleistungen für Operationssäle eines Krankenhauses,3OLG Celle, Beschluss v. 29.8.2003 – 13 Verg 15/03. Berufsfortbildungsleistungen für Jugendliche4VK Bund, Beschluss v. 12.10.2004 – VK 3-182/04. oder Rettungsdienstleistungen5VK Lüneburg, Beschluss v. 3.2.2012 – VgK-01/2012. rechtfertigen daher die Freihändige Vergabe.6Siehe eingehend die Kommentierung zu § 3 EG. Weitere typische Fälle sind Dienstleistungen im Zusammenhang mit Katastrophen oder sicherheitsrelevante Dienstleistungen.7Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 17.7.2002 – Verg 30/02, VergabeR 2003, 55 (57).

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Ungeachtet dessen ist stets zu prüfen, ob nicht alternative, wettbewerbsschonendere Möglichkeiten der Beschaffung, wie etwa die Fortführung einer laufenden Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung als milderes Mittel zur Verfügung stehen. Damit muss der Auftraggeber auch stets darlegen, dass der Rückgriff auf die oben genannten Ausnahmetatbestände der Dringlichkeit mit weniger einschneidenden Folgen für den Wettbewerb nicht zielführend ist.

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Ausfluss dieser Abwägung ist zudem, dass die Beauftragung im Wege der Freihändigen Vergabe in ihrem Umfang und ihrer Dauer eine Interimsbeauftragung sein muss. Sie muss zur Behebung der Dringlichkeit erforderlich sein. Die durch diesen Zweck gesetzten Grenzen darf sie nicht überschreiten. Der Auftraggeber darf die Dringlichkeit nicht zum Anlass nehmen, langfristige vertragliche Bindungen ohne wettbewerbliche Vergabe einzugehen. Auch darf der Leistungsgegenstand nicht in einer Weise gestaltet werden, dass sie eine Verfestigung der Interimslösung oder Vorteile des Interimsbeauftragten im anschließenden Vergabeverfahren bewirkt.8VK Berlin, Beschluss v. 18.7.2005 – VK - B1-23/05.

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Zudem muss der Auftraggeber den angesichts des zeitlichen Rahmens größtmöglichen Wettbewerb herstellen. Er muss also mit mehreren Unternehmen verhandeln, wenn hierfür Zeit bis zum Eintreten des vertragslosen Zustandes verbleibt.9OLG Dresden, Beschluss v. 25.2.2008 – WVerg 10/07; OLG Hamburg, Beschluss v. 8.7.2008 – 1 Verg 1/08. Der Auftraggeber muss die auf diesem Wege getroffene Auswahlentscheidung zudem sachlich begründen. Eine ausnahmeweise zulässige Interimsbeauftragung befreit ihn nicht von der Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot. Der Auftraggeber darf daher nicht – ohne weitere Begründung – den bisherigen Auftraggeber weiter beauftragen, wenn innerhalb des ihm zur Verfügung stehenden Zeitrahmens auch andere Wettbewerber eingebunden werden könnten. Er muss zumindest prüfen, welche Unternehmen den Interimsauftrag übernehmen könnten, und welche Beauftragung unter den gegebenen Umständen die wirtschaftlichste Lösung bietet.

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Ungeschriebene Voraussetzung des Rückgriffs auf § 3 Abs. 5 lit. g ist zudem, dass die Dringlichkeit dem Auftraggeber nicht zuzurechnen ist. Hat der Auftraggeber die zu der besonderen Dringlichkeit führenden Umstände zu vertreten, so ist die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 5 lit. g grundsätzlich ausgeschlossen.10OLG Düsseldorf, Beschluss v. 24.2.2004 – Verg 88/04; Kulartz, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 3, Rn. 72. Zu vertreten hat der Auftraggeber Umstände, die für ihn unter Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt voraussehbar waren (§ 276 Abs. 1 BGB). Zwar hat diese Einschränkung keinen Eingang in den Wortlaut des § 3 Abs. 5 lit. g gefunden. Aus Gründen des Umgehungsschutzes ist sie aber im Rahmen des § 3 Abs. 5 lit. g zu beachten. Andernfalls könnte der Auftraggeber durch eine schuldhafte Verzögerung bei der Einleitung des Vergabeverfahrens die Anwendbarkeit der wenig wettbewerblichen Freihändigen Vergabe selbst herbeiführen. Anderes kann bei gefährdeter Versorgungssicherheit von Leistungen der Daseinsvorsorge in europarechtkonformer Auslegung im Lichte des Art. 14 AEUV gelten.11Siehe die Kommentierung zu § 3 EG und OLG Dresden, Beschluss v. 25.2.2008 – WVerg 10/07; VK Lüneburg, Beschluss v. 3.2.2012 – VgK-01/2012.