Mit der Umsetzung der EU-Auftragsvergaberichtlinie 2014/24/EU wurde die Differenzierung zwischen Dienstleistungen und freiberuflichen Leistungen aufgegeben und die VOF als eigenständiges Regelungswerk abgeschafft. Auch die Differenzierung zwischen den sog. prioritären und nicht-prioritären Dienstleistungen ist mit der neuen Richtlinie entfallen.1Vgl. Anhang I, Teile A und B, zur VOL/A 2009. So war z.B. bisher die Rechtsberatung als klassische freiberufliche Leistung im Teil B des Anhangs I der VOL/A zu finden. Ihre Vergabe unterlag nur einem stark eingeschränkten Regelwerk, das sich im Wesentlichen auf Vorschriften zur Wahrung der Auftragsvergabetransparenz beschränkte.
Mit der Abschaffung der VgV sind diverse freiberufliche Leistungen aber gleichwohl nicht vollständig dem Recht über die Vergabe von Dienstleistungen unterstellt worden. Vielmehr wurde bei der Neufassung der EU-Vergaberichtlinien und auch der Umsetzung in nationales Recht dem Umstand Rechnung getragen, dass zum einen nicht alle Dienstleistungen eine grenzüberschreitende Dimension haben (Binnenmarktrelevanz) und zum anderen einige von ihnen stark durch die Person des Dienstleisters und oftmals auch ein zu ihm aufzubauendes oder schon bestehendes besonderes Vertrauensverhältnis geprägt sind.2Erwägungsgrund 114 zur Richtlinie 2014/24/EU.
In der Richtlinie 2014/24/EU finden sich daher an verschiedenen Stellen Sonderregelungen für bestimmte Dienstleistungen, darunter auch für einige, die jedenfalls in Deutschland typischerweise durch Angehörige freier Berufe erbracht werden. So werden bestimmte Rechtsdienstleistungen ganz vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Art. 10 d) der Richtlinie legt fest, dass die gerichtliche und vorgerichtliche Tätigkeit von Rechtsanwälten ebenso wenig in ihren Anwendungsbereich fällt wie die der Notare. Die Richtlinie erkennt ausdrücklich an, dass die Vergabe derartiger Aufträge dem Vergaberecht nicht zugänglich sein kann.3Vgl. Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2014/24/EU.
Die Art. 74 ff. der Richtlinie widmen sich darüber hinaus der Vergabe von sog. sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen, die auch die Rechtsberatung umfassen, soweit diese nicht bereits durch Art. 10 d) der Richtlinie entzogen worden ist. Für das Verfahren zur Vergabe solcher Dienstleistungen legt Art. 76 Abs. 1 folgendes fest:
Die Mitgliedstaaten führen einzelstaatliche Regeln für die Vergabe von unter dieses Kapitel fallenden Aufträgen ein, um sicherzustellen, dass die öffentlichen Auftraggeber die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer einhalten. Es ist den Mitgliedstaaten überlassen, die anwendbaren Verfahrensregeln festzulegen, sofern derartige Regeln es den öffentlichen Auftraggebern ermöglichen, den Besonderheiten der jeweiligen Dienstleistungen Rechnung zu tragen.
Für welche Arten von Dienstleistungen diese Verfahrenserleichterungen gelten sollen, ergibt sich aus Anhang XIV der Richtlinie. Auch hier finden sich u.a. diverse juristische und in der Regel im Rahmen einer freiberuflichen, anwaltlichen Tätigkeit erbrachte Leistungen.4CPV-Codes 79100000-5 bis 79140000-7 und 75231100-5: Zu dieser Gruppe gehören: Rechtsberatung und Vertretung, Erstellung von Urkunden und zugehörige Dienstleistungen in Strafverfahren, in anderen Gerichtsverfahren, Rechtsberatung und Vertretung in Schlichtungsverfahren usw., Patent- und Urheberrechtsberatung, bestehend aus der Vorbereitung, der Erstellung und dem Nachweis von Patenten und Urheberrechten; Erbringung verschiedener Rechtsberatungsleistungen, einschließlich Beratungsleistungen und Durchführung verschiedener zur Erstellung bzw. Bestätigung von Patenten und Urheberrechten erforderlichen Aufgaben. Rechtliche Dokumentation und Beglaubigung, bestehend aus der Vorbereitung, der Erstellung und Beglaubigung von Urkunden außer jenen für Patente und Urheberrechte; Erbringung verschiedener Rechtsberatungsleistungen einschließlich Beratungsleistungen und Durchführung verschiedener zur Erstellung bzw. Beglaubigung dieser Urkunden erforderlichen Tätigkeiten; Erstellung von Testamenten, Eheverträgen, geschäftlichen Verträgen, Gründungsurkunden, usw. -Rechtsberatung und -auskunft einschließlich der Rechtsberatung von Klienten über ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten, der Auskunft in nicht andernorts erfassten Rechtsangelegenheiten, Treuhanddienstleistungen und Dienstleistungen in Zusammenhang mit Erbteilungen.
Für diese Dienstleistungen gilt zunächst einmal der besondere, erhöhte Schwellenwert von derzeit 750.000 € (Art. 74 i.V.m. Art. 4 d) der Richtlinie, § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).5VK Bund, Beschl. v. 1.6.2017 – VK1-47/17. Darüber hinaus gelten für sie bei Überschreiten des Schwellenwertes die modifizierten Bedingungen des nationalen Rechts für die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen gem. §§ 130 GWB, 64 ff. VgV.
Bemerkenswert ist, dass sich in der Formulierung der Richtlinie lediglich die vergaberechtlichen Grundprinzipien der Transparenz und der Gleichbehandlung wiederfinden. Der Wettbewerbsgrundsatz wird hingegen nicht erwähnt, um den Mitgliedsstaaten bei der Gestaltung des Verfahrens einen möglichst großen, den nationalen Besonderheiten Rechnung tragenden Spielraum zu gewähren.6Vgl. Erwägungsgrund 114 der Richtlinie, 3. Absatz. Diesen Spielraum hat der nationale Gesetzgeber allerdings nicht umfassend ausgenutzt. Oberhalb des Schwellenwertes kommen GWB und VgV – wenn auch in „abgeschwächter“ Form – als den Wettbewerb sicherstellende Regelungswerke zur Anwendung. Unterhalb des Schwellenwerts ist in § 50 UVgO ein – wenn auch nicht uneingeschränkt geltendes – Wettbewerbsgebot verankert worden.
Schließlich wurde mit den §§ 73 ff. VgV ein eigener Abschnitt für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen geschaffen. Denn auch die Richtlinie 2014/24/EU erkennt an, dass die Komplexität derartiger Leistungen eine Vergabe ohne Verhandlungen oftmals nicht möglich machen dürfte.7Erwägungsgrund 43 der Richtlinie 2014/24/EU.
Fazit:
Freiberufliche Leistungen mit einem Auftragswert oberhalb des jeweils maßgeblichen EU-Schwellenwerts unterfallen den Bestimmungen des Kartellvergaberechts, sofern sie nicht gemäß §§ 107 bis 109, 116 bis 117 oder 145 GWB dem Anwendungsbereich des 4. Teil des GWB entzogen sind.
Die aufgrund des nationalen Rechts jeweils zu beachtenden Verfahrensgrundsätze werden im Folgenden anhand der besonders praxisrelevanten Fälle im Bereich der Rechts- und der Architekten- und Ingenieurleistungen betrachtet.