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Werk:
Handbuch für den Fachanwalt für Vergaberecht
Herausgeber:
Angela Dageförde
Autor:
Klaus-Peter Kessal
Stand:
Dezember 2018
Auflage:
1. Auflage

2. „Freihändige“ Vergabe/Verhandlungsvergabe

Eine „freihändige Vergabe“ gibt es mit Inkraftsetzung der UVgO an sich nicht mehr. Nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der VOL/A (die ja immer noch in einigen Bundesländern zur Anwendung kommt) handelt es sich bei der freihändigen Vergabe um ein Verfahren, bei dem sich der Auftraggeber mit oder auch ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich an mehrere ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln. Kennzeichnend für die freihändige Vergabe war, dass dem Auftraggeber eine größtmögliche Flexibilität bei der Gestaltung des Ablaufs des Vergabeverfahrens eröffnet war. Das Verfahren konnte ohne die Beachtung der Formzwänge der Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung abgewickelt werden, solange die vergaberechtlichen Grundprinzipien des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung gewahrt waren. Sie war somit trotz ihrer Gestaltungsspielräume keinesfalls einer privatautonomen Auftragsvergabe gleichzusetzen.1Vgl. hierzu Kaelble, in: Müller-Wrede, Kommentar zur VOL/A, § 3 Rn. 12.

In der UVgO ist die „Freihändige Vergabe“ durch die „Verhandlungsvergabe“ ersetzt worden. Diese im Grunde rein begriffliche Änderung soll die Parallele zum Verhandlungsverfahren betonen und gleichzeitig klarstellen, dass auch die freihändige Vergabe ein Vergabeverfahren darstellt und kein „rechtsfreier Raum“ ist.

Nach § 12 Abs. 1 UVgO kann die Verhandlungsvergabe ebenfalls mit oder ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Nach § 12 Abs. 2 UVgO fordert der Auftraggeber bei Verzicht auf den Teilnahmewettbewerb mehrere, grundsätzlich mindestens drei Unternehmen zur Abgabe eines Angebots oder zur Teilnahme an Verhandlungen auf.

Die Zulässigkeit einer Verhandlungsvergabe setzt grundsätzlich das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes aus dem Katalog des § 8 Abs. 4 UVgO voraus. Für die Vergabe freiberuflicher Leistungen dürfte dieser Ausnahmekatalog zwar nicht unmittelbar gelten, denn gemäß § 50 UVgO sind ja die vorausgehenden Vorschriften der UVgO auf die Vergabe dieser Leistungen wegen deren besonderer Natur gerade nicht anwendbar. Allerdings gilt der Katalog ja schon für die nicht privilegierten Dienstleistungen im Anwendungsbereich der UVgO. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs2So Geitel/Jansen, in: Kulartz/Röwekamp/Portz/Prieß, § 50 UVgO, Rn. 41. müssen die dort genannten Ausnahmetatbestände erst recht bei den nach § 50 UVgO privilegierten Leistungen als Maßstab herangezogen werden können. Im Zusammenhang mit freiberuflichen Leistungen ist hier insbesondere an § 8 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 UVgO zu denken, wenn der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst oder aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder den damit einhergehenden Risiken zusammenhängen, nicht ohne vorherige Verhandlungen vergeben werden kann oder letztlich eine erschöpfende Beschreibbarkeit vorab nicht möglich ist.

Überdies war schon unter dem Geltungsbereich der VOL/A anerkannt, dass es für freiberufliche Leistungen wegen ihrer besonderen Natur immer eine Ausnahme vom Grundsatz der öffentlichen oder beschränkten Ausschreibung gab. In den Amtlichen Erläuterungen zur VOL/A3VOL/A, Anhang 4. – Erläuterungen zur VOL/A, III. zu § 1 zweiter Spiegelstrich letzter Absatz. heißt es, dass

freiberufliche Leistungen an solche Bewerber zu vergeben sind, deren Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit feststeht, die über ausreichende Erfahrungen verfügen und die Gewähr für ein wirtschaftliche Planung und Ausführung bieten. Die Aufträge sollen möglichst gestreut werden.

Diese Auffassung des Ordnungsgebers wurde in der Literatur allgemein unterstützt,4Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, Kommentar zur VOL/A, § 1 Rn. 7; Marx, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 1 VOL/A Rn. 59; Kaufhold, Die Vergabe freiberuflicher Leistungen, Kap. VI Rn. 1. insbesondere aufgrund der Erkenntnis, dass bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen eine besondere persönliche Qualifikation des Auftragnehmers und die Tatsache, dass der Auftraggeber ein besonderes Vertrauensverhältnis zu diesem aufbauen muss, im Vordergrund stehen dürften.5Marx, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 1 VOL/A Rn. 59. Jedenfalls in diesen Fällen dürfte das Wettbewerbsgebot durch die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände relativiert werden.

Diese Interessenlage der Auftraggeber hat sich mit Inkrafttreten der UVgO nicht verändert. Das Haushaltsrecht lässt nach wie vor ein Absehen von der öffentlichen Ausschreibung oder der beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb zu, wenn die Natur des Rechtsgeschäfts oder besondere Umstände dies erfordern, so dass eine „Verhandlungsvergabe“ in der Regel als zulässige Vergabeart anzusehen ist. Bei Ausgestaltung des Verfahrens zur Auftragsvergabe ist der Auftraggeber aufgrund von § 50 UVgO allerdings wesentlich freier als ansonsten in der UVgO vorgesehen, so dass man auch von einem Weiterleben der freihändigen Vergabe im Bereich der freiberuflichen Leistungen sprechen könnte.

Praxistipp

Zur Wahrung der vergaberechtlichen Grundprinzipien ist jedoch zu empfehlen, auch die Vergabe von Aufträgen über freiberufliche Leistungen nach den Regeln der Verhandlungsvergabe (ggf. mit vorherigem Teilnahmewettbewerb) gemäß UVgO durchzuführen.

Dies gilt insbesondere bezüglich der Frage der Einbeziehung eines oder mehrerer Unternehmen. Entsprechend dem Grundsatz, so viel Wettbewerb wie möglich zu schaffen und Aufträge zur Vermeidung eines „Hoflieferantentums“ zu streuen, sollte die Verhandlungsvergabe mit mehreren Teilnehmern – § 12 Abs. 2 UVgO sieht insoweit mindestens drei Unternehmen vor – die Regel sein.

Auf einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb wird in der Regel verzichtet werden können. Er ist aber gleichwohl immer dann zu empfehlen, wenn dem Auftraggeber eine Übersicht über die in Frage kommenden Marktteilnehmer fehlt oder aber bewusst der bekannte Anbieterkreis erweitert werden soll.

Praxistipp

Will sich der Auftraggeber bezüglich der Auswahl der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Anbieter „entlasten“, empfiehlt sich die Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs.