Das Verhandlungsverfahren weist im Vergleich zum offenen und nichtoffenen Verfahren einen wesentlich flexibleren Verfahrensablauf auf, denn dieser ist nicht im Detail durch die vergaberechtlichen Vorschriften festgelegt, sondern kann vom Auftraggeber nach seinen Erfordernissen und im pflichtgemäßen Ermessen unter Beachtung der Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz konzipiert werden. Kurz gefasst, wendet sich der Auftraggeber bei dieser Verfahrensart an ein oder mehrere Unternehmen, um mit diesen über die Abgabe von Angeboten zu verhandeln (§ 119 Abs. 5 GWB). Das Verhandlungsverfahren kann – je nachdem, ob die entsprechenden Ausnahmetatbestände in § 14 Abs. 3 bzw. 4 VgV gegeben sind – mit oder ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Der besondere Charme des Verfahrens liegt nicht nur in der Flexibilität bei der Verfahrensgestaltung, sondern auch in dem Umstand, dass – anders als beim offenen und nichtoffenen Verfahren – der öffentliche Auftraggeber bei dieser Verfahrensart über den gesamten Angebotsinhalt verhandeln darf. Die Bedeutung dieser Verfahrensart wurde vom europäischen Richtliniengeber bei der Schaffung des 2014 in Kraft getretenen Richtlinienpakets z.B. in Erwägungsgrund (42) zur Richtlinie 2014/24/EU unter anderem mit folgenden Worten betont:
„Für die öffentlichen Auftraggeber ist es äußerst wichtig, über zusätzliche Flexibilität zu verfügen, um ein Vergabeverfahren auszuwählen, das Verhandlungen vorsieht. Eine stärkere Anwendung dieser Verfahren wird wahrscheinlich dazu beitragen, den grenzüberschreitenden Handel zu fördern, da die Bewertung gezeigt hat, dass bei Aufträgen, die im Wege des Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben werden, die Erfolgsquote von grenzüberschreitenden Angeboten besonders hoch ist.“
Dass das Verhandlungsverfahren in besonderem Maße geeignet ist, um zu guten Ausschreibungsergebnissen zu gelangen, erkennt der Richtliniengeber in Erwägungsgrund (45) der Richtlinie 2014/24/EU mit folgenden Worten an:
„Ziel der Verhandlungen sollte es sein, die Angebote so zu verbessern, dass die öffentlichen Auftraggeber in die Lage versetzt werden, Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen einzukaufen, die genau auf ihren konkreten Bedarf zugeschnitten sind. Die Verhandlungen können sich auf alle Merkmale der erworbenen Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen beziehen, darunter zum Beispiel Qualität, Mengen, Geschäftsklauseln sowie soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte (…).“
Die Betonung der Vorzüge des Verhandlungsverfahrens dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein Verfahren handelt, das als weniger wettbewerblich eingestuft wird und deshalb nachrangig zum offenen oder nichtoffenen Verfahren ist. Das Verhandlungsverfahren darf daher nur dann gewählt werden, wenn einer der Ausnahmetatbestände des § 14 Abs. 3 VgV (Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb) oder § 14 Abs. 4 VgV (Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb) vorliegt. Diese Ausnahmetatbestände sind abschließend und damit nicht um weitere Ausnahmen erweiterbar; sie sind ferner restriktiv zu handhaben und eng auszulegen.
Zum Verfahrensablauf gibt § 17 VgV detaillierte und klar formulierte Rahmenbedingungen.
Bei einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb – also der vorgeschalteten Bewerbungsphase, die auch Bestandteil des oben geschilderten nichtoffenen Verfahrens ist – fordert der öffentliche Auftraggeber mittels einer Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU („TED“) eine unbegrenzte Anzahl von Unternehmen auf, sich mit einem Teilnahmeantrag (einer Bewerbung) am Verfahren zu beteiligen; die Frist für die Einreichung der Teilnahmeanträge hat mindestens 30 Kalendertage zu betragen (§ 17 Abs. 1, 2 VgV).
Verzichtet der öffentliche Auftraggeber in Anwendung eines der Ausnahmetatbestände des § 14 Abs. 4 VgV auf die Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs, fordert er ausgewählte Unternehmen direkt zur Abgabe von Erstangeboten auf (§ 17 Abs. 5 VgV). Auch hier hat der Auftraggeber die Vorgaben des § 51 VgV zu beachten und insbesondere mindestens drei Anbieter zur Abgabe eines Erstangebots aufzufordern, es sei denn, es handelt sich um den rechtmäßigen Fall einer Direktvergabe (z.B. weil der Auftrag nur von einem einzigen bestimmten Unternehmen in der EU überhaupt erbracht werden kann, § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV).
Die Aufforderung zur Angebotsabgabe hat die Mindestangaben des § 52 Abs. 2 VgV zu enthalten, wozu unter anderem die Zuschlagskriterien mit Gewichtung als auch die Angebotsfrist gehören. Die Angebotsfrist beträgt nach § 17 Abs. 6 VgV mindestens 30 Tage, gerechnet ab dem Tag nach der Absendung der Bekanntmachung und reduziert sich bei elektronischer Übermittlung der Angebote um fünf Tage. In besonders dringlichen Fällen ist eine Mindestfrist von zehn Tagen zu wahren, § 17 Abs. 8 VgV.
Regelmäßig erfolgt nach Abgabe der sog. Erstangebote durch die Bieter daher zumindest eine Verhandlungsrunde. § 17 Abs. 11 VgV sieht vor, dass der Auftraggeber auch ohne Durchführung von Verhandlungen das Angebot des Bestbieters bezuschlagen darf, wenn er sich dies in der Bekanntmachung vorbehalten hat. Im Gegensatz zur Verhandlungsvergabe im Unterschwellenbereich reicht eine Angabe in den Vergabeunterlagen hier nicht aus.1Hirsch/Kaelble, in: Müller-Wrede, VgV, § 17 Rn. 54.
Öffentliche Auftraggeber müssen bereits in der Aufforderung zur Angebotsabgabe darauf hinweisen, wenn sie es sich vorbehalten, auf die Erstangebote bereits einen Zuschlag zu erteilen, d.h. keine Verhandlungen durchzuführen. Es entspricht dem Gebot der Transparenz und Fairness, wenn die Anbieter darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass unter Umständen keine Verhandlungen stattfinden werden.
Erfolgen während der Verhandlungen Änderungen an der Leistungsbeschreibung, insbesondere hinsichtlich technischer Anforderungen oder sonstiger Bestandteile der Vergabeunterlagen, sind diese Änderungen allen Bietern in Textform gemäß § 17 Abs. 13 Satz 3 VgV mitzuteilen.
Die Verhandlungen mit Bieter sind einzeln und damit getrennt von etwaigen Mitbietern zu führen.2Hirsch/Kaelble, in: Müller-Wrede, VgV, § 17 Rn. 49. Über Zeit und Ort sowie Art der Verhandlungen kann der Auftraggeber hingegen grundsätzlich frei entscheiden. Ein Treffen in den Räumlichkeiten einzelner Bieter ist daher ebenso zulässig wie eine Telefonkonferenz. Der Auftraggeber hat während der Verhandlungen die Vertraulichkeit zu wahren (§ 17 Abs. 13 Satz 4 VgV).
Verhandeln darf der Auftraggeber gemäß § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV grundsätzlich über den gesamten Angebotsinhalt mit Ausnahme der bereits zu Beginn in der Leistungsbeschreibung festgelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien. Zum Verhandlungsgegenstand gehören damit alle konkreten Merkmale der zu erbringenden Leistung,3Hirsch/Kaelble, in: Müller-Wrede, VgV, § 17 Rn. 36 f. insbesondere auch der Preis.4OLG Dresden, Beschl. v. 14.4.2014 – Verg 3/13, ZfBR 2015, 90.
Am Ende der Verhandlungsphase hat der Auftraggeber gemäß § 17 Abs. 14 VgV die Bieter einheitlich über das Ergebnis der Verhandlungen und die finalen Anforderungen an das Angebot zu informieren. Sodann legt er eine Frist fest, bis zu der die endgültigen Angebote eingereicht werden dürfen. Mit der Einreichung neuer und damit auch des endgültigen Angebots erlöschen vorherige Angebote.5OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.2.2012 – Verg W 1/12, VergabeR 2012, 866. Zudem tritt ein (Nach-)Verhandlungsverbot für diese Angebote ein.