§ 5 Abs. 1 SektVO ist als Auffangtatbestand der Vertraulichkeit zu verstehen. Sofern die Datenweitergabe explizit nicht geregelt ist und in der SektVO oder anderen Rechtsvorschriften (z.B. der VergStatVO) nichts anderes bestimmt ist, darf der Sektorenauftraggeber nach § 5 Abs. 1 S. 1 SektVO keine von den Unternehmen übermittelten und von diesen als vertraulich gekennzeichneten Informationen weitergeben.
Auch wenn der Wortlaut der Regelung die Weitergabe „an Dritte“ nicht vorsieht, ist dies nach dem Schutzzweck der Norm so zu interpretieren. § 5 SektVO verbietet nur die Weitergabe von Daten außerhalb der Organisation und Beauftragung des Sektorenauftraggebers.1So auch Dietrich, in: Greb/Müller, Sektorenvergaberecht, § 5 SektVO Rn. 10. Eine Weitergabe von Informationen innerhalb der Organisation des Sektorenauftraggebers – also z.B. von der Einkaufsabteilung an die mit der Erstellung des Leistungsverzeichnisses betraute technische Abteilung oder an die Rechtsabteilung – ist dagegen unproblematisch. Ebenso dürfte auch die Weitergabe der Daten an einen nicht beim Sektorenauftraggeber angestellten, aber für diesen tätigen Berater (Rechtsanwalt, Sachverständigen etc.) unproblematisch sein, solange dieser gegenüber dem Sektorenauftraggeber entsprechend zur Vertraulichkeit verpflichtet ist.
Voraussetzung der Vertraulichkeitsverpflichtung des Sektorenauftraggebers ist, dass das Unternehmen die jeweilige Information auch als vertraulich gekennzeichnet hat. Für die Kennzeichnung als vertraulich könnte das Merkblatt zur Verschlusssachenanweisung (VSA)2Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Merkblatt zur Behandlung von Verschlusssachen (VS) des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (VS-NfD). näher Aufschluss geben. In jedem Falle empfiehlt sich ein expliziter und eindeutiger auf die Vertraulichkeit einer Information. Sofern ein Unternehmen die Kennzeichnung einer Information als vertraulich unterlässt oder vergisst, trifft den Sektorenauftraggeber nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 SektVO keine Geheimhaltungspflicht. Beispielhaft zählt § 5 Abs. 1 SektVO allerdings Daten auf, die für sich genommen schon als vertraulich angesehen werden. Solche in jedem Falle vertraulich zu behandelnden Daten sind nach § 5 Abs. 1 S. 2 SektVO insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und die vertraulichen Aspekte der Angebote einschließlich ihrer Anlagen.3Siehe Verordnungsbegründung zu § 5 Abs. 1 SektVO, BR-Drs. 87/16, 232. Mit dieser Aufzählung klassifiziert der Verordnungsgeber selbst die Informationen als vertraulich, ohne dass die Unternehmen die Daten als vertraulich kennzeichnen müssten. Im Zweifel betreffen daher die von den Unternehmen übermittelten und als vertraulich gekennzeichnete Informationen das gesamte Angebot des Unternehmens einschließlich der für den Nachweis der Eignung vorgelegten Dokumente. Für den Sektorenauftraggeber empfiehlt es sich daher, sämtliche vom Unternehmen übermittelten Informationen nicht an Dritte weiter zu geben. Die Vertraulichkeitsverpflichtung erstreckt sich auf jegliche vom Unternehmen übermittelten Informationen, unabhängig davon, ob sie eindeutig als vertraulich gekennzeichnet sind.
Vertraulich in diesem Sinne sind Informationen, die nach der Verkehrsanschauung Dritten nicht zur Kenntnis gelangen dürfen und deren Offenlegung nachteilige Auswirkungen hätte.4OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 5.6.2012 – 13a F 17/11. In einem Katalog, der ausweislich des Wortlauts (“insbesondere“) nicht abschließend ist, nennt die Verordnung einige vertrauliche Daten: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote einschließlich ihrer Anlagen.5Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28.12.2007 – VII-Verg 40/07. Dass § 5 Abs. 1 SektVO über den Wortlaut der RL 2014/25/EU hinausgeht, der in Art. 39 Abs. 1 nur von technischen und handelsbezogenen Geschäftsgeheimnissen – und nicht von Betriebsgeheimnissen – spricht, ist unschädlich, da der Richtliniengeber ausweislich des Wortlauts dieser Regelung („insbesondere“) keine abschließende Festlegung getroffen hat.
Der Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses ist gesetzlich nicht definiert. Das BVerfG verwendet folgende Definition:
„Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind […] alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne. Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen Geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können.“
Ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis liegt demnach vor, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind:
Unternehmensbezogenheit: Eine Information ist unternehmensbezogen, wenn sie sich dem Geschäftsbetrieb eines konkreten Unternehmens zuordnen lässt.
Nichtoffenkundigkeit: Die Information darf nicht offenkundig sein. Offenkundig ist eine Information, wenn sie den Kreisen, die üblicherweise mit Informationen dieser Art befasst sind, allgemein bekannt oder leicht zugänglich ist. Das ist der Fall, wenn die Information im Internet oder einer sonst allgemein zugänglichen Quelle veröffentlicht wurde.
Geheimhaltungswille: Der Geheimhaltungswille ist zunächst grundsätzlich anzunehmen. Er besteht nicht bei ausdrücklichem Einverständnis zur Weitergabe bzw. Veröffentlichung.
Berechtigtes Geheimhaltungsinteresse: Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht, wenn der Geheimhaltungswille objektiv nachvollziehbar ist. Das ist der Fall, wenn die Offenbarung der Tatsachen geeignet ist, die eigene Stellung im Wettbewerb zu verschlechtern oder diejenige eines Konkurrenten zu verbessern. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht nicht, wenn eine Pflicht zur Veröffentlichung der Informationen besteht.
Nach Auffassung des BVerwG6BVerwG, Urteil v. 23.2.2017 – 7 C 31/15 (im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn). schützt das Informationsrecht auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Monopolunternehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie sich teilweise, weit überwiegend oder ganz in öffentlicher Hand befinden oder ein natürliches Monopol innehaben. Ob die von einem solchen Unternehmen als schutzwürdig eingestuften Informationen einen Schutz als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis genießen, muss anhand der genannten allgemeinen Kriterien bemessen werden. Vor diesem Hintergrund können ungeachtet eines „natürlichen Monopols“ auf einem Markt Auswirkungen auf andere, eher wettbewerblich geprägte Märkte maßgeblich sein. Wettbewerbliche Situationen können sich in vor- und/oder nachgelagerten Märkten ergeben. Zu klären ist jeweils, ob die Offenlegung einer Information geeignet ist, die wettbewerbliche Situation zu beeinträchtigen. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn die Information detailliert und aktuell genug ist, um sich auf die wettbewerbliche Situation nachteilig auswirken zu können. Kein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse besteht in der Regel für Daten, die älter als fünf Jahre sind. Strukturparameter im Rahmen des Effizienzvergleichs und allgemeine Angaben zu Investitionsmaßnahmen erlauben in der Regel keine Rückschlüsse mit wettbewerblicher Relevanz. Beim Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist jedenfalls nicht danach zu unterscheiden, ob sich das betroffene Unternehmen in öffentlicher Hand befindet oder ein natürliches Monopol innehat. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Unternehmen in einer wettbewerblichen Situation tätig ist. Denkbar sind dabei grundsätzlich der Effizienzwettbewerb, Standortwettbewerb, Leitungswettbewerb und der Konzessionswettbewerb. Bei der Konzessionsvergabe besteht häufig Wettbewerb zwischen dem aktuellen Eigentümer bzw. Betreiber des örtlichen Verteilernetzes und dessen Mitbewerber um die Konzession. Eine erhöhte Transparenz darf hier nicht wettbewerbsverzerrend sein.7BVerwG, Urteil v. 23.2.2017 – 7 C 31/15 (im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn).
Vertrauliche Informationen sind abzugrenzen von Verschlusssachen.8Vgl. § 4 SÜG, § 6 VSVgV. Dabei gelten diejenigen Informationen als vertraulich gekennzeichnet, die von den Interessenten, Bewerbern, Bietern oder Auftragnehmern als solche benannt oder markiert wurden.
Zur Wahrung der Vertraulichkeit trifft der Sektorenauftraggeber Vorkehrungen, um die Geheimhaltung gegenüber unbefugten Dritten zu gewährleisten. Welche konkreten Vorkehrungen im Einzelfall erforderlich sind, hängt von der Art der Übermittlung der Unterlagen ab. Für eine elektronische Übermittlung der Unterlagen hat der Sektorenauftraggeber gemäß § 10 Abs. 1 SektVO das Sicherheitsniveau festzulegen. Nach § 44 Abs. 1 SektVO hat der Sektorenauftraggeber zudem die Möglichkeit, im Falle besonderer Sicherheitsanforderungen eine fortgeschrittene Signatur bei der Angebotsübermittlung zu verlangen. Damit wird Art. 40 Abs. 6 RL 2014/25/EU umgesetzt. § 44 Abs. 2 SektVO dient der Umsetzung des Art. 40 Abs. 1 UAbs. 4 RL 2014/25/EU und regelt zudem die Möglichkeit des Sektorenauftraggebers, im Falle besonders schutzwürdiger Daten andere als elektronische Mittel zur Angebotseinreichung zu verlangen. Bei alledem muss der Sektorenauftraggeber nach § 11 SektVO aber stets dafür Sorge tragen, dass seine Vorgaben den Zugang zum Vergabeverfahren nicht beschränken.