„Eine Abnahmeverpflichtung besteht nicht“1VK Thüringen, 10.6.2011 – 250-4003.20-2151/2011-E-003-EF – Auftausalz.– solche oder ähnliche Formulierungen finden sich regelmäßig in Vergabeunterlagen. Diese Formulierungen dokumentieren einen grundlegenden Irrtum: Viele Auftraggeber gehen davon aus, dass keine Abnahmeverpflichtung aufgrund eines Rahmenvertrags besteht. In derartig verallgemeinerter Form stimmt dies jedoch nicht.
Im Gegenteil, eine Abnahmeverpflichtung besteht, wenn die Rahmenvereinbarung mit nur einem Unternehmen abgeschlossen und eine Mindestabnahmemenge bestimmt wurde. Der Auftraggeber muss innerhalb der Vertragslaufzeit die Mindestabnahmemenge abnehmen. Sollte der Auftraggeber diese Verpflichtung nicht erfüllen, steht dem Unternehmer ein Schadensersatzanspruch zu (§§ 280, 281 BGB).
Eine Abnahmeverpflichtung besteht nicht, wenn keine Mindestabnahmemenge definiert wurde. Dies ist dann denkbar, wenn der Bedarf durch externe Faktoren, z.B. Intensität der Kampfhandlungen (Munitionsverbrauch), Wetter (Enteisungsmittel) oder Grippewellen (Medikamente), bestimmt wird.2VK Thüringen, 10.6.2011 – 250-4003.20-2151/2011-E-003-EF – Auftausalz; LSG Nordrhein-Westfalen, 12.2.2010 – L 21 SF 38/10 Verg – Arzneimittelrabattvertrag Grippemittel. Nutzt der Auftraggeber allerdings die Freiheit, auf die Angabe einer Mindestabnahmeverpflichtung zu verzichten, ist der Auftraggeber im Gegenzug verpflichtet, genaue Daten zu den Erfahrungswerten vergangener Referenzzeiträume herauszugeben, um den Bietern eine Prognose des Bedarfs zu ermöglichen (dazu oben Rn. 17).
Wurde die Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen abgeschlossen, stellt sich die Rechtslage komplizierter dar. Grundsätzlich besteht auch in einem derartigen „multilateralen“ Vertragsverhältnis eine Abnahmeverpflichtung. Innerhalb der Vertragslaufzeit muss der Auftragnehmer in der Summe aller Beschaffungen die Mindestabnahmemenge abnehmen. Dabei besteht jedoch gegenüber einem einzelnen Unternehmen keine Abnahmeverpflichtung. Daher kann bei einer Rahmenvereinbarung, die mit mehreren Unternehmen abgeschlossen wird, ein Unternehmen „leer“ ausgehen, also keinerlei Auftrag erhalten. Dieses Unternehmen hat grundsätzlich keine Ansprüche auf Abnahme oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung gegen den Auftraggeber. Es muss jedoch jedes „leer“ ausgegangene Unternehmen wissen, warum es jeweils die Einzelaufträge nicht erhalten hat. Daher müssen die Kriterien, nach denen ein Einzelauftrag vergeben wird, nichtdiskriminierend und transparent sein (dazu oben Rn. 42).