Fachliteratur  Kommentare und Handbücher  VgV/UVgO-Kommentar  Kommentar zur VgV, UVgO und VergStatVO  VgV – Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge  §§ 1–13 Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen und Kommunikation  §§ 1–8 Unterabschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen  § 7 VgV Mitwirkung an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens  B. Vorbefassung und Sicherstellung eines unverzerrten Wettbewerbs (Abs. 1)  I. Vorbefassung eines Unternehmens (Hs. 1) 

Werk:
VgV-Kommentar
Herausgeber:
Malte Müller-Wrede
Autor:
Cornelia Voigt
Stand:
Oktober 2017
Thema:
Leistungen (VgV)
Auflage:
5. Auflage

3. Beispiele für eine Vorbefassung

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Gerade bei Leistungen, die aufeinander aufbauen, wie Planungs- und Bauleistungen, sind Projektantenkonstellationen vorprogrammiert. Aus diesem Grund erging ein großer Teil der Rechtsprechung zur Projektantenproblematik wegen vorangegangener Planungsleistungen. Eine Planung nach HOAI in den Leistungsphasen 1 bis 4 ist Grundlage aller weiteren Ausführungstätigkeiten, wie die Durchführung der entsprechenden Ausschreibung, der Bau- und Bauüberwachungsleistungen sowie Objektbetreuung und Dokumentation.1OLG München, Beschluss v. 25.7.2013 – Verg 7/13; ebenso OLG Brandenburg, Beschluss v. 19.12.2011 – Verg W 17/11. Aufgrund dessen verfügt derjenige, der die Planung erbracht hat, hinsichtlich der weiteren Tätigkeiten zwangsläufig über einen Informationsvorsprung.2OLG München, Beschluss v. 25.7.2013 – Verg 7/13.

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Vorbefasst sind: bei der Ausschreibung von Planungsleistungen (Leistungsphasen 5 bis 9 HOAI) der Auftragnehmer, der die vorangegangenen Leistungsphasen 1 bis 4 geplant hat,3OLG München, Beschluss v. 25.7.2013 – Verg 7/13; VK Nordbayern, Beschluss v. 4.5.2009 – 21.VK-3194-06/09. bei der Vergabe von Bauüberwachungsleistungen der Entwurfsplaner,4OLG Brandenburg, Beschluss v. 22.5.2007 – Verg W 13/06. bei der Ausschreibung von Projektsteuerungsleistungen der Zielplaner5OLG München, Beschluss v. 10.2.2011 – Verg 24/10. sowie derjenige, der an der Auslobung und Auswertung des vorangegangenen Architektenwettbewerbs beteiligt war,6OLG München, Beschluss v. 19.12.2013 – Verg 12/13. ebenso wie derjenige, der ein Pilotprojekt in Bezug auf die später ausgeschriebene Leistung oder eine Vorstudie durchgeführt hat.7Fallkonstellation bei OLG München, Beschluss v. 2.12.2013 – Verg 14/13; zur Vorbefassung aufgrund einer Pilotierung auch VK Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 2.8.2013 – 3 VK LSA 17/13. Das gilt gleichfalls für ein Unternehmen, das im Vorfeld einer Ausschreibung vorbereitende Untersuchungen durchgeführt,8VK Niedersachsen, Beschluss v. 12.7.2011 – VgK 19/2011. die technische Umsetzbarkeit bestimmter Leistungsanforderungen geprüft9König, in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 12 Rn. 12. oder Prototypen der späteren Ausschreibungsgegenstände hergestellt hat.10KG, Beschluss v. 27.1.2015 – Verg 9/14. Schließlich ist Projektant derjenige, der an der Gestaltung der Vergabeunterlagen beteiligt war,11 Mutschler-Siebert, in: Heiermann/Zeiss, Vergaberecht, 4. Aufl., § 6 VOL/A 2009 Rn. 59. aus einer Machbarkeitsstudie detaillierte Kenntnisse über das Beschaffungsvorhaben gewonnen hat, ohne dass er an deren Erstellung beteiligt war,12Fallkonstellation bei VK Südbayern, Beschluss v. 28.7.2006 – Z3-3-3194/-1-17-05/06; die VK stützte ihre Bewertung allerdings auf den Rechtsgedanken des § 16 VgV a.F. anstatt auf die damals schon bestehende Projektantenregelung in § 4 Abs. 5 VgV a.F. sowie derjenige, der die Kostenschätzung eines Planers in Bezug auf die ausgeschriebene Bauleistung überprüft hat.13OLG Celle, Beschluss v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15.

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In keinem Fall vorbefasst ist hingegen der bisherige Auftragnehmer einer wiederkehrenden Leistung, die nunmehr neu ausgeschrieben wird.14OLG Düsseldorf, Beschluss v. 5.12.2012 – VII-Verg 29/12; OLG Bremen, Beschluss v. 9.10.2012 – Verg 1/12; VK Bund, Beschluss v. 16.7.2013 – VK 3-47/13. Allerdings ist die VK Bund in ihrer Bewertung nicht sehr stringent, weil sie trotz der Feststellung, der Vor-Auftragnehmer sei kein Projektant, eventuelle Wissensvorsprünge prüft. Die bisherige Durchführung des Auftrags ist keine Tätigkeit zur Vorbereitung eines Vergabeverfahrens. Zwar kann das durch die bisherige Leistungserbringung erworbene Know-how einen Wettbewerbsvorsprung darstellen. Dies allein rechtfertigt jedoch noch nicht die Anwendung der Projektantenregelungen. Es ist weder aus Gründen der Gleichbehandlung noch des Wettbewerbs geboten, aus eigener Wirtschaftskraft resultierende und insofern „natürliche“ Unterschiede zu nivellieren. Die Chancengleichheit ist in diesen Fällen nicht berührt. Im Gegenteil, es entspricht dem Wesen des Wettbewerbs, dass Marktteilnehmer ihre Wettbewerbsposition durch individuelle Erfahrungen und Kenntnisse ausbauen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz fordert insofern keine relative, sondern lediglich eine formale Gleichbehandlung.15Diehr, in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 41 f. Aus den Erfahrungen, die im Zusammenhang mit früheren Aufträgen erworben wurden, ergibt sich kein wettbewerbswidriger Vorteil.16EuGH, Urteil v. 12.1.2005 – Rs. 172/99 (Oy Liikeene), Rn. 24; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 5.12.2012 – VII-Verg 29/12; VK Bund, Beschluss v. 3.3.2015 – VK 1-4/15. Wollte man das anders sehen, würde man den öffentlichen Auftraggeber faktisch dazu zwingen, bei der Neuausschreibung eines (Dauer-)Auftrags stets den Vertragspartner zu wechseln.17OLG Bremen, Beschluss v. 9.10.2012 – Verg 1/12. Behauptet sich der bisherige Auftragnehmer jedoch erneut im Wettbewerb, gibt es dafür keinen Grund.