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Thema:
Vergabe

Vergabedatei

Uwe Bekemann

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1 Vergabedatei

Unter einer Vergabedatei ist eine Datenbank zu verstehen, in der verwaltungsweit und verwaltungseinheitlich die getätigten Vergaben erfasst und mit Dauer gespeichert werden. Hierdurch wird ein stetig wachsender Datenbestand zur Vergabepraxis der Organisation verfügbar.

Die Vergabedatei ist praktisch eine spezielle Anwendung unter dem Stichwort der DV-gestützten Kontrollmaßnahmen zur Antikorruption und zur Prävention gegenüber Manipulationen.

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1.1 Wirkung und Nutzen

Von einer Vergabedatei profitieren sowohl die Prävention als auch die Repression und die Kontrolle.

Die Präventivwirkung wird schon mit der Einrichtung erreicht, indem Transparenz hergestellt wird und die Bediensteten zu einer korrekten Bearbeitung der Vergabevorgänge angehalten werden. Die Erfüllung der folgenden Bedingungen ist dafür notwendig:

  • Jeder erfassungspflichtige Vorgang muss hinreichend sicher in den Datenbestand gelangen. Dies kann über eine technische Umsetzung (siehe unten) erreicht werden. Ersatzweise kann mit einer Erfassungspflicht gearbeitet werden, deren Einhaltung der Kontrolle unterliegt.

  • Es muss Pflichten zur Auswertung des Bestandes geben, diese müssen allen Beteiligten – Sachbearbeitung und Auswertung - bekannt sein. Derartige Kontrollen müssen dann auch tatsächlich durchgeführt werden. Die Ergebnisse sollten unabhängig von positiver oder negativer Tendenz rückgekoppelt werden, auch um das Einhalten der Kontrollpflicht zu bestätigen. Im Ergebnis müssen alle mit der Bearbeitung von Vergaben betrauten Bediensteten wissen, dass die eigenen Vorgänge einer realen Prüfwahrscheinlichkeit unterliegen, ohne dass sie die Zeitpunkte, Methoden, Tiefe etc. der Prüfung abschätzen können.

Beim Auftreten von Verdachtsfällen der Korruption oder anderer pflichtwidriger Handlungen im Zusammenhang mit Vergaben profitiert die Repression von der Vergabedatei durch verbesserte Aufklärungsmöglichkeiten. Auch wird eine Ermittlung von Schadensbeträgen etc. durch die Informationen aus der Vergabedatei unterstützt.

Die Kontrollen im Datenbestand können sich auf einzelne Vorgänge beziehen, die beispielsweise nach einem Zufallsprinzip ausgewählt werden, sich vor allem aber Selektionsverfahren bedienen, um das Vorkommen von auffälligen Konstellationen in Einzelvorgängen zu erkennen. Im zweiten Fall ist die Vergabedatei ein qualifiziertes Hilfsmittel, um kritische Einzelfälle aus dem Gesamtbestand herauszufiltern. Diese können dann weiteren Prüfmaßnahmen unterzogen werden, beispielsweise in der Form einer Nachschau des Verwaltungsvorgangs und / oder einer Ortsbesichtigung zum Abgleich der dokumentierten und der tatsächlich ausgeführten Maßnahmen.

Eine Sonderform der Kontrolle sind Monitoring-Verfahren, die sich mathematisch-statistischer Methoden1Hierzu zählen auch die im Fachbeitrag „Prüfroutinen“ behandelten Verfahren Benford-Gesetzmäßigkeit und Chi-Quadrat-Test. bedienen. Diese können zur wiederkehrenden Analyse des gesamten Datenbestandes herangezogen werden bzw. auch für den Bereich von Ausschnitten. Sie erlauben eine Einschätzung, ob die Daten zu bestimmten Kriterien nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit schlüssig sind oder aber auffällige Abweichungen zur erwarteten Konstellation zeigen, sodass sich eine Suche nach den Ursachen zum Zweck eines Ausschlusses u.a. pflichtwidriger Handlungen anschließt.

In der Praxis entfaltet eine Vergabedatei einen weiteren Nutzen auch außerhalb der Korruptions- und Unregelmäßigkeitsvorbeugung. Immer dann, wenn zu operativen Zwecken, zur Deckung politischer Informationsinteressen etc. Daten zum Vergabewesen der Organisation benötigt werden, kann sie diese liefern.

Allerdings sollte zur Sicherung der Funktionalität für Zwecke der Korruptions- und Manipulationsprävention eine Härtung des Systems erfolgen. Anderen Zwecken dienende Datenfelder sollten nur eingeführt werden, wenn sie dem eigentlichen Zweck der Vergabedatei nicht zuwiderlaufen.

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1.2 Datenfelder und Selektionen

Um schon auf der Basis der Vergabedatei allein belastbare Kontrollen durchführen zu können, müssen alle wichtigen Daten zu jedem Vergabevorgang erfasst und gespeichert werden. Obligatorisch sind beispielsweise die Auftragsnummer, zuständiger Bearbeiter, Gegenstand der Vergabe, Auftragnehmer und Mitbieter, Auftragswert.2Eine längere Auflistung enthält Bekemann, Kommunale Korruptionsbekämpfung, Verlag Kohlhammer, 1. Auflage 2007, Abschnitt D IV 3).

Sinnvolle Verknüpfungen im Rahmen von – ggf. als mehrstufigen – Selektionen machen Auffälligkeiten verschiedener Art sichtbar, die sowohl Manipulationen und Korruption anzeigen als auch einen sonstigen Handlungsbedarf aufzeigen können. Hierzu zählen:

kritische Beziehungen (beispielsweise im Verhältnis Bedienstete / Firmen, Bieterkreise etc.),

bewusste Lenkung von Vorgängen (beispielsweise im Verhältnis Auftragswert, Ist-Wert / Schlussrechnung bzw. Stückelung von Aufträgen zum Aushebeln eines Schwellenwertes etc.),

Zweifel an der Einhaltung des Vergaberechts (z.B. Wahl der Vergabeart),

Hinweise auf eine unsorgfältige Vergabeplanung (z.B. bei Auffälligkeiten im Verhältnis von Auftragswert und Ist-Wert, Nachträge etc.).3Weitere spezifische Beispiele gibt Bekemann an (aaO).

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1.3 Vergabedatei als Element des IKS

Die Vergabedatei ist ein technisches Element des internen Kontrollsystems (IKS), indem sie prozessunabhängige Kontrollen ermöglicht. Sie bedarf eines regulativen Unterbaus, damit sie die an sie gerichteten Erwartungen vollständig erfüllen kann. So muss mittels einer Dienstanweisung die Vollständigkeit der Datenspeicherung erreicht werden, soweit dies nicht technisch gesichert ist. Auch bedarf die Umsetzung der erforderlichen Kontrollen einer normativen Grundlage, u.a. zur Festlegung einer Kontrollpflicht. Die Qualifikation der Kontrollen wird durch Standardregelungen erreicht.

Die Vergabedatei hat vor dem Hintergrund des IKS eine weitere ablauforganisatorische Bedeutung dadurch, dass sie Fehler vermeidende wie auch Fehler aufdeckende Aktivitäten entfaltet.

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1.4 Revisionssicherheit

Die Vergabedatei muss den Anforderungen des Datenschutzes und der Datensicherheit genügen. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Revisionssicherheit zu richten. Gespeicherte Daten müssen, damit das Verfahren zur Kontrolle hinreichend geeignet ist, unveränderbar und verfälschungssicher archiviert sein. Einmal gespeicherte Daten dürfen nicht einfach verändert (inhaltlich umgestaltet) oder gelöscht werden können. Andernfalls könnte jeder mit Korruption oder Manipulation verbundene Vergabevorgang der (wirksamen) Kontrolle entzogen werden.

Der Schutz der Daten vor Veränderung und Löschung führt zu einem Problem im Umgang mit fehlerhaft gespeicherten Daten. Diese würden beim schlichten Verbleib in der Vergabedatei Auswertungen erschweren bzw. auch verfälschen. Zudem wäre eine solche einfache Lösung unbefriedigend für die Veranlasser fehlerhafter Eingaben. Demgegenüber müssen die Daten aus den beschriebenen Gründen erhalten bleiben.

Abhilfe kann dadurch erreicht werden, dass fehlerhaft gespeicherte Daten mit einem entsprechenden Merkmal versehen werden, sodass sie beispielsweise bei Auswertungen ausgeschlossen werden können. Besser aber ist eine technische Möglichkeit, über die derartige Datensätze in einen eigenen Bereich der Datenbank verschoben werden können. Die Revisionssicherheit bleibt erhalten und eine Beeinträchtigung der Kontrollen ist nicht mehr zu erwarten.

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1.5 Technische Umsetzung

Es hängt von den Verhältnissen vor Ort ab, wie eine Vergabedatei technisch realisiert werden kann. Folgende Aspekte verdienen eine besondere Beachtung:

  • Ein System zur E-Vergabe kann Potenziale beinhalten, die für den Aufbau und die Unterhaltung einer Vergabedatei genutzt werden können.

  • Optimal ist eine technische Lösung, über die für jeden erfassungspflichtigen Vergabevorgang automatisch ein Datensatz in der Vergabedatei erzeugt wird (z.B. über das Buchungsverfahren), der dann ggf. nur noch händisch zu ergänzen ist.

  • Die Vergabedatei sollte aus Schutzgründen nie auf einem stationären Computer geführt werden, sondern immer als Server-Lösung.

  • Grundsätzlich kann eine Vergabedatei mittels herkömmlicher Office-Software realisiert werden (System einer relationalen Datenbank). Größere Behörden mit einer Mehrzahl an Vergabestellen können auch mit einem System von Einzeldatenbanken arbeiten, für die spezifische Schreib- und Leserechte festgelegt werden. Eine Gesamtauswertung wird dann über eine Auswertungsroutine möglich, über die eine temporäre Zusammenführung der Daten aus den Einzeldatenbanken erfolgt.4Ein Beispiel mit Grafik skizziert Bekemann, aaO. Eine solche Auswertung bietet sich dann beispielsweise auch für die Innenrevision, die Rechnungsprüfung etc. an.

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1.6 Aufwand

Die Einrichtung und das Führen einer Vergabedatei verursachen Aufwand. Diesem stehen die beschriebenen Vorteile gegenüber, zu denen sie führt.

Der Erfassungsaufwand kann über die Festlegung eines Auftragswertes als Erheblichkeitsschwelle reduziert werden. Dies wird dann allerdings mit dem Entstehen einer Kontrolllücke bezahlt, für deren Schließen anderweitige Maßnahmen etabliert werden sollten, beispielsweise eine zufallsgesteuerte prozessunabhängige Kontrolle nach einer festzulegenden Prüfquote.