§ 134 Abs. 1 GWB verpflichtet den Auftraggeber, alle Bieter, deren Angebote bei der Zuschlagserteilung nicht berücksichtigt werden sollen, über den geplanten Zuschlag zu informieren und im Anschluss hieran eine gewisse Zeit abzuwarten (sog. „Stillhalte- oder Wartefrist“). Das Ergebnis seiner Prüfung und Wertung der Angebote kann er also nicht einfach im Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot umsetzen. Der Grund für diese etwas ungewöhnliche Anforderung – immerhin möchte der Auftraggeber nach einem langwierigen Vergabeverfahren möglichst schnell den Auftrag erteilen – liegt in der Systematik des Vergaberechts: So kann ein wirksam erteilter Zuschlag auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden, wenn in dem Vergabeverfahren Fehler begangen wurden (§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB). Würden die Bieter daher erst mit der Information über den erteilten Zuschlag von ihrer Nichtberücksichtigung erfahren, hätten sie keine Gelegenheit mehr, Verfahrensfehler, die in der letzten (und entscheidenden) Phase des Vergabeverfahrens begangen wurden, anzugreifen und vor den Nachprüfungsinstanzen eine Wiederholung des Vergabeverfahrens zu erreichen. Sie könnten allenfalls noch Schadensersatzansprüche geltend machen. Nachdem der EuGH in seiner „Alcatel Austria“-Entscheidung1EuGH, Urt. v. 28.10.1999, C-81∕98. aber ausdrücklich gefordert hatte, dass auch die dem Zuschlag vorangehende Entscheidung, an welchen Bieter der Auftrag vergeben werden soll, vollumfänglich dem Nachprüfungsverfahren zugänglich gemacht werden muss, wurde die Vorinformationspflicht zunächst als § 13 VgV eingeführt und im Rahmen der Vergaberechtsreform 2009 modifiziert und in die §§ 101a und 101b GWB überführt. Seit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes am 18. April 2016 ist die Informations- und Wartepflicht nunmehr in den §§ 134 und 135 GWB geregelt. Adressat der Vorinformation sind nach § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB zunächst alle Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen. Der für den Zuschlag vorgesehene Bieter muss hingegen nicht informiert werden. Zusätzlich sind aber nach Satz 2 auch diejenigen Bewerber zu informieren, die z.B. in einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb nach der dort vorgenommenen Eignungsprüfung nicht weiter berücksichtigt wurden, bisher aber noch nicht hierüber informiert worden sind.
Unternehmen, die in einer früheren Phase des Vergabeverfahrens ausscheiden (z.B. im Ergebnis eines vorgelagerten Teilnahmewettbewerbs oder der formalen Angebotsprüfung), sollten stets möglichst früh hierüber informiert werden – auch dann, wenn hierzu keine Pflicht besteht. Denn zum einen schafft dies für alle Beteiligten frühzeitige (Rechts-)Sicherheit; zum anderen sind die Anforderungen an diese Information deutlich geringer als bei der Vorinformation nach § 134 GWB.
Der Inhalt der Vorinformation umfasst
den Namen des Unternehmens, das für den Zuschlag vorgesehen ist,
die (individuellen) Gründe für die Nichtberücksichtigung des Angebots des informierten Bieters sowie
den frühestmöglichen Zeitpunkt der Zuschlagserteilung.
Die Vorinformation kann in Textform (§ 126b BGB) erfolgen. Es ist also nicht nötig, per Brief zu unterrichten. Fax oder E-Mail sind ausreichend. Weiterhin muss die Vorinformation unverzüglich nach Vorliegen der (internen) Zuschlagsentscheidung erfolgen. Der Auftraggeber darf also nicht ohne Weiteres längere Zeit verstreichen lassen.
Mit Absendung der Vorinformation an die nicht berücksichtigten Bieter beginnt die gesetzliche Stillhalte- oder Wartepflicht. Ihre Länge bestimmt sich danach, auf welche Weise die Bieter unterrichtet wurden:
Wurde die Vorinformation schriftlich (also per Brief) übermittelt, beträgt die Wartefrist 15 Kalendertage.
Wurde die Vorinformation per Fax oder elektronisch (E-Mail) übermittelt, so beträgt die Wartefrist nur zehn Kalendertage.
Werden die Bieter auf unterschiedlichem Weg vorinformiert, gilt einheitlich die längere Wartefrist. Werden alle Bieter hingegen sowohl elektronisch als auch schriftlich unterrichtet, so gilt für alle die kürzere Wartefrist.
Um unterschiedliche Fristen etwa durch unterschiedlich lange Postlaufzeiten zu vermeiden, beginnt die Wartefrist ausdrücklich mit der Absendung der Vorinformation. Auf den Zugang beim zu informierenden Bieter kommt es also für den Fristbeginn nicht an. Ansonsten berechnet sich die Frist nach den zivilrechtlichen Vorschriften. Liegt das Fristende allerdings auf einem Samstag, Sonntag oder Feiertag, so verlängert sich die Frist anders als bei anderen Fristen nicht automatisch bis zum nächsten Werktag.2OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.5.2008, VII-Verg 11∕08. Die Vorinformationsfrist kann also auch an einem Sonntag oder einem Feiertag ablaufen.
Versendet der Auftraggeber die Vorinformation per Fax (Wartefrist: 10 Kalendertage) am Donnerstag, dem 1. September 2016, so ist Freitag, der 2. September, der erste und Sonntag, der 11. September, der letzte Tag der Wartefrist. Diese läuft also am Sonntag, dem 11. September 2016, um 24 Uhr ab. Frühestmöglicher Zeitpunkt für die Erteilung des Zuschlags ist damit Montag, der 12. September 2016 (ab 0 Uhr).
Dieses Datum wäre hier in die Vorinformation an die nicht berücksichtigten Bieter als frühestmöglicher Zeitpunkt der Zuschlagserteilung aufzunehmen.
Keine Vorinformationspflicht besteht nach § 134 Abs. 3 GWB, wenn der Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb aus Gründen besonderer Dringlichkeit (z.B. nach Naturkatastrophen) durchgeführt hat. Hier wäre es widersinnig, die (gerechtfertigte) Eilbedürftigkeit der Auftragsvergabe3Vgl. hierzu Kap. 6.3.2. durch eine längere Wartefrist zu torpedieren. Zudem kann der Auftraggeber bei verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen beschließen, bestimmte sensible Informationen über die Zuschlagserteilung (z.B. den Auftragswert oder den Auftragnehmer) nicht mitzuteilen, wenn durch Offenlegung der Informationen der Gesetzesvollzug behindert oder dies den Sicherheitsinteressen zuwiderlaufen würde.
Hat der Auftraggeber in allen anderen Fällen die Vorinformation nach § 134 GWB unterlassen oder den Zuschlag vor Ablauf der Wartefrist erteilt, so ist der abgeschlossene Vertrag gemäß § 135 Abs. 1 GWB von Anfang an unwirksam. Gleiches gilt für eine sog. „De-facto-Vergabe“, also die Direktvergabe eines Auftrags an ein Unternehmen ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens, sofern dies nicht ausnahmsweise gestattet ist. Prozessuale Voraussetzung für die Unwirksamkeit des Vertrags ist allerdings, dass der Verstoß gegen die Vorinformationspflicht durch die zuständige Vergabekammer im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens festgestellt wurde. Für die Einleitung dieses Nachprüfungsverfahren gelten besondere Ausschlussfristen, die § 135 Abs. 2 GWB nennt. So muss die Unwirksamkeit innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Unterrichtung durch den Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags geltend gemacht werden. Diese Frist wird durch eine absolute Ausschlussfrist von sechs Monaten ab dem Vertragsschluss begrenzt. Danach kann ein unterlegener Bieter die Unwirksamkeit selbst dann nicht mehr feststellen lassen, wenn er hiervon keine Kenntnis hatte. Der Auftraggeber kann diese absolute Ausschlussfrist noch weiter verkürzen, wenn er im Amtsblatt der EU (TED) über den erteilten Auftrag informiert.4Vgl. hierzu unter 8.1.5.1. Die Frist endet dann 30 Kalendertage nach Veröffentlichung dieser Bekanntmachung, ohne dass es auf die Kenntnis des Verstoßes ankommt.
Wie ausgeführt, kommt es für den Beginn der Wartefrist nicht auf den Zugang bei den Bietern an. Allerdings muss der Auftraggeber jedenfalls dann beweisen, dass er die nicht berücksichtigten Bieter informiert hat, wenn ein Bieter die Zuschlagserteilung mit der Behauptung angreift, er habe keine Vorinformation erhalten. Besonders bei einer Vorinformation per Fax oder E-Mail reicht die Sendebestätigung nicht als Beweis für den Zugang der Information aus. Daher sollte sich der Auftraggeber den Erhalt der Vorinformation durch den Bieter ausdrücklich bestätigen lassen (z.B. durch Rückfax oder Bestätigungsmail).
Wenngleich § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB verpflichtet, den Bietern jeweils individuell und nachvollziehbar mitzuteilen, warum ihr Angebot nicht berücksichtigt wird,5VK Baden-Württemberg, 7.10.2002, 1 VK 48∕02. führt eine pauschale und wenig aussagekräftige Information über die Nichtberücksichtigungsgründe nicht zur Unwirksamkeit. Anders ist dies, wenn der Name des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters oder die Information über den frühestmöglichen Zeitpunkt der Zuschlagserteilung fehlt: In diesem Fall kann die Unwirksamkeit des gleichwohl geschlossenen Vertrags erfolgreich geltend gemacht werden.6OLG Koblenz, 25.9.2012, 1 Verg 5∕12; OLG Jena, 9.9.2010, 9 Verg 4∕10.
Mit Blick auf den hohen Aufwand, den es gerade bei vielen Angeboten bedeutet, wenn jeweils eine individuelle und ausführliche Absagebegründung geschrieben wird, kann es sich u.U. anbieten, zunächst nur ein Mindestmaß an Informationen zu geben. Ist der Empfänger damit nicht einverstanden, kann der Auftraggeber Informationen nachlegen; Konsequenzen für das Verfahren hat diese Vorgehensweise nicht. Bei Bietern, die sich mit der ersten Information zufriedengeben, braucht nichts weiter veranlasst zu werden.
Alternativ zu einer nachträglichen Bekanntmachung eines in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergebenen Auftrags kann der Auftraggeber nach § 135 Abs. 3 GWB die Absicht einer solchen Auftragsvergabe im EU-Amtsblatt mit einer sogenannten Ex-ante Transparenzbekanntmachung ankündigen. Soweit binnen zehn Kalendertagen nach Veröffentlichung der Bekanntmachung keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens eingeleitet worden ist, kann der Zuschlag erteilt werden; eine nachträgliche Feststellung der Unwirksamkeit des damit abgeschlossenen Vertrags ist dann nicht mehr möglich.7EuGH, 11.9.2014, C-19∕13, Fastweb SpA.