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Werk:
Einführung in die öffentliche Beschaffung
Autor:
Christian Leesmeister
Thema:
Vergabe

Nachtragsforderungen

Christian Leesmeister

Schrifttum: Althaus/Heindl Der öffentliche Bauauftrag, 2. Aufl. 2013; Dreher/Motzke Beck´scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013; Ingenstau/Korbion VOB Teile A und B Kommentar, 19. Aufl. 2016; Kaiser/Leesmeister Einführung in die VOB/C, 1. Aufl. 2014; Kapellmann/Langen Einführung in die VOB/B, 24. Aufl. 2015; Kapellmann/Messerschmidt VOB Teile A und B Kommentar, 5. Aufl. 2015; Kapellmann/Schiffers Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag - Band 1: Einheitspreisvertrag, 6. Aufl. 2011; Kattenbusch/Kuhne Nachtragsbearbeitung in Bauunternehmen, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 4/2002; Kimmich/Bach VOB für Bauleiter, 6. Aufl. 2014; Kniffka/Koeble Kompendium des Baurechts, 4. Aufl. 2014; Oppler Zur Bindungswirkung von Nachtragsvereinbarungen, Festgabe Kraus, 2003, S. 169; Roquette/Otto Vertragsbuch Privates Baurecht, 2. Aufl. 2011; Roquette/Schweiger Die Mär vom Vorbehalt. Kein Ausschluss von Bauzeitansprüchen durch Abschluss von Nachtragsvereinbarungen, BauR 2008, S. 734.; Rothfuchs Der Anspruch auf bauzeitverlängerungsbedingte Mehrvergütung trotz vereinbarten neuen Preises den zugrunde liegenden technischen Nachtrag betreffend und diesbezüglich nicht erklärten Vorbehaltes, BauR 2007, S. 469; Schulze-Hagen Bauablaufstörungen: Ohne Dokumentation keine Zahlungsansprüche!, IBR 2005, S. 246; Werner/Pastor Der Bauprozess, 15. Aufl. 2015.

Schon die allgemeinen Ausführungen unter Ziffer 5.1, „Zusatzleistungen (Nachträge)“, zeigen die unterschiedlichen Probleme von Nachtragsforderungen auf und verdeutlichen dabei, wie wichtig der richtige Umgang mit Nachträgen in der Praxis ist. Die nachfolgenden Darstellungen befassen sich daher zunächst damit, wie (einige) Nachträge vermieden werden können (Rn. 1). Sodann folgt – zur Vorbereitung auf einen Vorschlag zur Nachtragsprüfung dem Grunde und der Höhe nach (Rn. 19) – eine Übersicht zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen und -voraussetzungen der jeweiligen Nachtragsvergütungsforderung (Rn. 6). Zudem wird die für öffentliche Aufträge praxisrelevante Thematik der Verbindlichkeit von sog. Preisverhandlungen im Anschluss an die Nachtragsprüfung behandelt (Rn. 24). Schließlich werden die Auswirkungen von Nachtragsforderungen auf sonstige Rechte und Pflichten der Baubeteiligten sowie in diesem Zusammenhang der Umgang mit Nachtragsstreitigkeiten aufgezeigt (Rn. 27).

1 Ursachen und Vermeidung von Nachträgen

1

Die unter Ziffer 5.1.1 genannten Ursachen könnten häufig durch eine durchdachte und kontrollierte Planung der Bauinhalte und Bauumstände/Bauzeit vermieden werden. Es gehört sozusagen zum „Anti-Claim-Management“, insbesondere die Ausführungsplanung, die Leistungsbeschreibung und das Leistungsverzeichnis auf Fehler, Lücken und Unklarheiten noch einmal – vor der Ausschreibung – zu überprüfen. Unklarheiten gehen im Zweifel zulasten des Auftraggebers, denn der Auftragnehmer darf – zumindest bei öffentlichen Aufträgen – grundsätzlich davon ausgehen, dass die Ausschreibungsunterlagen bzw. die Leistungsbeschreibung

  • durch eine allgemeine Darstellung der Bauaufgabe und ein in Teilleistungen gegliedertes Leistungsverzeichnis dargestellt,

  • ggf. durch Zeichnungen, Probestücke, statische Berechnungen für die Ausführung konkretisiert und

  • eindeutig und erschöpfend ohne Wagnisse ist (vgl. § 7 VOB/A).

2

Das Risiko von Lücken und Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung kann auch nicht allgemeinvertraglich durch sog. Komplettheitsklauseln auf den Auftragnehmer verlagert werden.

Beispiel: „Der Bieter ist vor Angebotsabgabe verpflichtet, sich durch Besichtigung der Baustelle einen vollständigen Ein- und Überblick zu verschaffen. Der Bieter bestätigt mit der Angebotsabgabe, dass er alles einkalkuliert hat, was durch eine Besichtigung vor Ort erkennbar ist und Nachträge insoweit ausdrücklich ausgeschlossen sind.“

Denn solche AGB sind unwirksam, somit für den Auftragnehmer ohne Konsequenz.1BGH, BauR 1997, 1036; OLG München, BauR 1990, 776; Kniffka, Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, Teil 5, Rdn. 196 f. m.w.N.

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Zur Beurteilung, ob Planung und Leistungsbeschreibung fehlerfrei, vollständig und klar sind, gibt es Hilfsmittel in Form von „Checklisten“, die bei jeder Leistungsbeschreibung gewissenhaft angewendet werden sollten: Beispielsweise findet der die Leistungsbeschreibung aufstellende Sachbearbeiter (Planer) zunächst allgemeine Hinweise in den §§ 7 bis 7c VOB/A. Weitere allgemeine Hinweise für die ordnungsgemäße Aufstellung der Leistungsbeschreibung und zu den sog. Nebenleistungen und Besonderen Leistungen (Leistungsumfang) findet man in den Abschnitten 0 und 4 der ATV-DIN-Norm 18299; darüber hinaus sind die konkreten Hinweise in den gewerkespezifischen VOB/C-ATV 18230 ff. sowie den jeweils dazugehörigen Fach-DIN-Normen enthalten. Diese enthalten Hinweise bezüglich:

  • Angaben zur Baustelle

  • Angaben zur Ausführung

  • Einzelangaben bei Abweichungen

  • Einzelangaben zu Nebenleistungen und Besonderen Leistungen

  • Abrechnungseinheiten

Im Einleitungssatz zu jedem Abschnitt 0 der DIN18299 ff. heißt es, dass in der Leistungsbeschreibung „nach den Erfordernissen des Einzelfalls insbesondere anzugeben“ sind. Das bedeutet, es muss nur das angegeben werden, was aufgrund des Einzelfalls erforderlich ist. Die Hinweise sind also nicht abschließend, es bleibt Raum für etwaige weiter notwendige Einzelangaben!

Beispiele: In der DIN 18306 zu Entwässerungskanalarbeiten findet man in Abschnitt 0.2 nichts zu Anschlüssen und Arbeiten an vorhandenen Leitungen, obwohl solche Angaben im Einzelfall erforderlich sein können. Diese Angaben müssen daher in einer ordnungsgemäßen Ausschreibung gleichwohl enthalten sein.

Wenn bei Straßenbauarbeiten gemäß Abschnitt 0.1.20 in der Leistungsbeschreibung keine Angaben zu Schadstoffbelastungen gemacht werden, dann ist für das vertraglich vereinbarte Bausoll davon auszugehen, dass keine Schadstoffe vorkommen. Wenn es aber selbstverständlich ist, dass Boden unter Asphaltdecken schadstoffbelastet ist, muss das nicht gesondert in der LB erwähnt werden.

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Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung und der späteren Frage im Rahmen von Nachtragsstreitigkeiten, ob eine Bausoll-Bauist-Abweichung vorliegt oder die vermeintliche Zusatzleistung vom Leistungsumfang umfasst ist, ist zunächst durch Auslegung (§§ 133, 157, 242 BGB) aufzuklären. Hierbei sind die vorstehenden Hinweise (§ 7 VOB/A, 0-Abschnitte der VOB/C) heranzuziehen.

Beispiel

Beispiel: Der öffentliche Auftraggeber schreibt eine Straßenbaumaßnahme aus und spricht in der Leistungsbeschreibung in keiner Weise an, dass die geplante Straße durch ein Landschaftsschutzgebiet führt. Der Auftragnehmer hat in seiner Kalkulation und in seinem Angebot keine Kosten für Erschwernisse berücksichtigt, die sich aus der Lage der geplanten Straße in einem Landschaftsschutzgebiet ergeben. Nach der Beauftragung stellt sich heraus, dass die auszuführende Straße tatsächlich in einem Landschaftsschutzgebiet liegt. Der Auftragnehmer macht die ihm hierdurch entstehenden Mehrkosten als Nachtrag geltend. Der Auftraggeber hält den Nachtrag für unbegründet, da sich der Bauentwurf nicht geändert hat und er weder eine geänderte noch eine zusätzliche Leistung angeordnet habe, zudem müssten in der Leistungsbeschreibung keine besonderen Angaben zu Schutzgebieten gemacht werden, der Auftragnehmer hätte sich vorher selbst schlau machen können.

Beispiel

Beispiel: Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 7 VOB/A ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung in Abschnitt 0 der ATV der DIN 18299 ff. (VOB/C) zu beachten. Nach Abschnitt 0.1.13 der DIN 18299 sind in der Leistungsbeschreibung nach den Erfordernissen des Einzelfalls Schutzgebiete oder Schutzzeiten im Bereich der Baustelle, z.B. wegen Forderungen des Gewässer-, Boden-, Natur-, Landschafts- oder Immissionsschutzes, anzugeben. Wird in der Leistungsbeschreibung nichts Besonderes angegeben, existiert für das vertraglich geschuldete Bausoll kein Landschaftsschutzgebiet im Bereich der geplanten Straße und damit im Bereich der Baustelle! Der Auftragnehmer musste somit keine Erschwernisse einkalkulieren kalkulieren, eine Bausoll-Bauist-Abweichung liegt vor. Der Auftragnehmer hat Anspruch auf zusätzliche Vergütung (mit Anordnung aus § 2 Abs. 6 VOB/B, ohne Anordnung aus § 2 Abs. 8 Nr. 2 oder 3 VOB/B).

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Entsprechendes gilt für die sog. Nebenleistungen und Besondere Leistungen, die in den Abschnitten 4 der DIN 18299 ff. enthalten sind und durch Vereinbarung der VOB/C automatisch zum geschuldeten Leistungsumfang gehören können: Nebenleistungen gehören grundsätzlich auch ohne besondere Erwähnung in der Leistungsbeschreibung zum vertraglichen Bausoll – werden also nicht zusätzlich vergütet –, Besondere Leistungen nur, wenn sie in der Leistungsbeschreibung ausdrücklich benannt sind.

Beispiel

Beispiel: Der öffentliche Auftraggeber beauftragt den Auftragnehmer mit der Modernisierung und Sanierung eines Handelsspeichers. Die Dacharbeiten umfassen die Einlattung der Dachfläche und die Anbringung einer Unterspannbahn. Der Auftragnehmer rechnet nach Fertigstellung der Dachdeckerarbeiten zusätzlich (als Nachtrag) die Gerüstbaukosten ab; die Höhe der Gerüste beträgt 15m. Der Auftraggeber meint, ein Vergütungsanspruch bestehe nicht, weil es sich um eine Nebenleistung handle, die mit dem vereinbarten Werklohn abgegolten sei. Im Leistungsverzeichnis oder in der Leistungsbeschreibung ist hierzu nichts geregelt worden.

Beispiel

Beispiel: Für das beauftragte Gewerk ist die DIN 18338 („Dachdeckungs- und Dachabdichtungsarbeiten“) einschlägig. Nach Abschnitt 4.1.1 sind nur das Auf- und Abbauen sowie das Vorhalten der Gerüste mit einer Arbeitshöhe bis zu 2 m über Gelände oder Fußboden als nicht gesondert zu vergütende Nebenleistung anzusehen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Gerüste über 2 m Arbeitshöhe eine Besondere Leistung darstellen und damit hier zusatzvergütungsfähig sind.

Sollte es trotz fehlerfreier Ausführungsplanung und Leistungsbeschreibung gleichwohl zu Nachtragsstreitigkeiten kommen, z.B. aufgrund von unvorhergesehenen Bauablaufstörungen und Behinderungen, empfiehlt sich ein strukturiertes Nachtragsmanagement (dazu Rn.18).

2 Anspruchsgrundlagen und Voraussetzungen

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Wenn man davon ausgeht, dass Nachträge zunächst durch Mehrkosten wegen Veränderung des vereinbarten und bepreisten Bausolls definiert werden (Bausoll-Bauist-Abweichung), gehören hierzu sowohl die bauinhalts- als auch die bauumstandsbezogenen Maßnahmen, d.h. auf der einen Seite Mengenmehrungen und Mehraufwand wegen geänderter oder zusätzlicher Leistungen, auf der anderen Seite bauzeitabhängige Mehraufwendungen/-kosten wegen Baustillstand, Behinderung oder Bauzeitverlängerung. Abhängig von diesen Nachtragsgründen und abhängig von der gewählten Vertragsform bestehen in der VOB/B und im BGB unterschiedliche Anspruchsgrundlagen und Voraussetzungen. Dabei muss jeweils zwischen Anspruchsgrund und Anspruchshöhe differenziert werden bzw. geprüft werden, ob der Nachtrag dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist. Im Einzelnen:

§ 2 Abs. 3 VOB/B für reine Mehr- oder Mindermengen

1. Weicht die ausgeführte Menge der unter einem Einheitspreis erfassten Leistung oder Teilleistung um nicht mehr als 10 v. H. von dem im Vertrag vorgesehenen Umfang ab, so gilt der vertragliche Einheitspreis.

2. Für die über 10 v. H. hinausgehende Überschreitung des Mengenansatzes ist auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren.

3. Bei einer über 10 v. H. hinausgehenden Unterschreitung des Mengenansatzes ist auf Verlangen der Einheitspreis für die tatsächlich ausgeführte Menge der Leistung oder Teilleistung zu erhöhen, soweit der Auftragnehmer nicht durch Erhöhung der Mengen bei anderen Ordnungszahlen (Positionen) oder in anderer Weise einen Ausgleich erhält. Die Erhöhung des Einheitspreises soll im Wesentlichen dem Mehrbetrag entsprechen, der sich durch Verteilung der Baustelleneinrichtungs- und Baustellengemeinkosten und der Allgemeinen Geschäftskosten auf die verringerte Menge ergibt. Die Umsatzsteuer wird entsprechend dem neuen Preis vergütet.

4. Sind von der unter einem Einheitspreis erfassten Leistung oder Teilleistung andere Leistungen abhängig, für die eine Pauschalsumme vereinbart ist, so kann mit der Änderung des Einheitspreises auch eine angemessene Änderung der Pauschalsumme gefordert werden.

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Die Anspruchsgrundlage des § 2 Abs. 3 VOB/B setzt zum einen voraus, dass ein Einheitspreisvertrag geschlossen wurde, bei dem die tatsächliche Menge abgerechnet wird (§ 2 Abs. 2 VOB/B). Haben die Parteien einen Pauschalpreisvertrag geschlossen, trifft das sog. Mengenermittlungsrisiko den Auftragnehmer, so dass er grundsätzlich keine Zusatzvergütung für Mengenmehrungen erhält, wenn diese auf einer falschen Kalkulation der im Leistungsverzeichnis vorgegebenen Mengen zurückgehen.2Beachte aber auch die Regelungen für Pauschalsummen in § 2 Abs. 3 Nr. 4 und Abs. 7 VOB/B, § 313 BGB. Zum anderen muss es zu einer tatsächlichen Mengenmehrung im Vergleich zum ursprünglichen Bausoll (Vordersatz-Menge der LV-Positionen) gekommen sein, wobei für die über 110 % hinausgehende Mengenüberschreitung (auf Verlangen) ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren ist; bei einer Mengenunterschreitung im Vergleich zur kalkulierten Menge gilt entsprechendes (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B).

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In Abgrenzung zu den Anspruchsgrundlagen der § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B basiert die Mengenmehrung nicht auf einer Änderungsanordnung des Auftraggebers (vgl. § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B), sondern auf einer fehlerhaften Mengenermittlung bei unveränderter Ausführungsplanung.3Kapellmann/Langen, Einführung in die VOB/B, Rdn. 37. Geht die Mengenmehrung hingegen auf eine Anordnung des Auftraggebers zurück, ist § 2 Abs. 3 VOB/B ausgeschlossen bzw. § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B ist einschlägig.

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In der Anspruchshöhe hat der Auftragnehmer die tatsächliche Mengenmehrung – in der Regel durch ein gemeinsames Aufmaß (vgl. § 14 VOB/B) – dem Auftraggeber nachzuweisen. Bis 110 % der im Leistungsverzeichnis angegebenen Menge bleibt es bei dem alten Einheitspreis, so dass bis dahin regelmäßig die Vorteile des für die überschreitenden 10 % beim Auftragnehmer verbleiben. Die Mengen über 110 % werden mit einem neuen, regelmäßig verringerten Preis berechnet. Die Zusammensetzung des neuen Einheitspreises geschieht unter Berücksichtigung von Mehr- oder Minderkosten (Einzelkosten der Teilleistung, Baustellengemeinkosten, Allgemeine Geschäftskosten). Dabei bleiben grundsätzlich die Direkten Kosten je Mengeneinheit konstant. Ausnahmsweise sinken diese Kosten, beispielsweise durch einen geringeren Einkaufspreis bei größeren Mengen des Materials; dagegen können sich die Kosten z.B. durch den Einsatz zusätzlicher, nicht ausgelasteter Geräte erhöhen.

Was die Baustellengemeinkosten angeht, so muss eine Mengenmehrung über 10 % nicht zwangsläufig auch eine (proportionale) Steigerung dieser Kosten bedeuten.4Siehe den Exkurs zur Zusammensetzung des Einheitspreises (Kostenarten) unter Ziffer 8.8.3.

Beispiel

Beispiel: Ob 1.000 cbm oder 1.500 cbm Beton ausgeführt werden, ändert in der Regel nichts daran, dass nur ein Baustellencontainer benötigt wird, so dass die Baustellengemeinkosten insoweit unverändert bleiben. Anders kann dies jedoch bei längerer zeitlicher Inanspruchnahme sein, wenn also die Ausführung der Mehrmenge zu einer verlängerten Bauzeit führt und hierdurch der Baustellencontainer für den verlängerten Zeitraum in Anspruch genommen wird (Zuschlag in Höhe der zusätzlich angefallenen Baustellengemeinkosten).

Wenn, wie häufig, keine Mehrkosten auftreten, dann können bei Mengenmehrungen über 110 % die Direkten Kosten auch nicht mit den Baustellengemeinkosten beaufschlagt werden, folglich muss der neue Einheitspreis insoweit niedriger sein als der Einheitspreis bis 110 %. Für die Allgemeinen Geschäftskosten gilt, dass die Beaufschlagung aller Herstellkosten mit Allgemeinen Geschäftskosten abstrakt und nicht „baustellenbezogen-konkret“ erfolgt. Daher sind bei der Berechnung des Einheitspreises für Mengenmehrungen über 110 % die Allgemeinen Geschäftskosten mit dem kalkulatorisch vorgesehenen Prozentaufschlag zu berücksichtigen. Schließlich werden die Selbstkosten der Mehrmenge mit dem kalkulatorisch vorgesehenen Prozentsatz für Wagnis und Gewinn beaufschlagt.5Vgl. Kapellmann, Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, § 2 VOB/B Rdn. 146 ff.; Kapellmann/Schiffers, Band 1, Rdn. 505 ff. m.w.N.

§ 2 Abs. 5 VOB/B für geänderte Leistungen (§ 1 Abs. 3 VOB/B)

Werden durch Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung geändert, so ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren. Die Vereinbarung soll vor der Ausführung getroffen werden.

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§ 2 Abs. 5 VOB/B setzt dem Grunde nach eine Bausoll-Bauist-Abweichung und eine (bauinhaltliche) Anordnung des Auftraggebers gemäß § 1 Abs. 3 VOB/B voraus. Zwar soll nach der Vorschrift der neue Preis vereinbart werden, was aber nicht als Anspruchsvoraussetzung zählt.6Kapellmann/Langen, a.a.O., Rdn. 65. Änderungsanordnungen gemäß § 1 Abs. 3 VOB/B sind einseitig, d.h. sie müssen vom Auftragnehmer ausgeführt werden, einer Zustimmung bedarf es nicht. § 1 Abs. 3 VOB/B lautet:

Änderungen des Bauentwurfs anzuordnen, bleibt dem Auftraggeber vorbehalten.

Das einseitige Anordnungsrecht gibt dem Auftragnehmer automatisch den hiermit verbundenen Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 Alt. 1 VOB/B („Änderung des Bauentwurfs“). Andere, ggf. auch rechtswidrige Anordnungen, die der Auftragnehmer gleichwohl (freiwillig) befolgt, und die Mehrkosten verursachen, lösen einen Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 Alt. 2 VOB/B („andere Anordnungen“) aus.

Durch die vom Auftraggeber geänderte Ausführungsplanung bzw. Leistung können sich die Mengen der von der Änderung betroffenen Leistungspositionen verändern. Der neue Preis ist aus der Urkalkulation des Auftragnehmers fortzuschreiben und unter Berücksichtigung von Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren.

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Löst eine derartige Anordnung zugleich zusätzlichen Zeitbedarf aus, handelt es sich (auch) um eine Behinderung (§ 6 VOB/B). Wenn der Auftragnehmer wegen dieser Behinderung Mehrkosten geltend machen will, bedarf es hierzu einer Darstellung der mittelbaren oder unmittelbaren Auswirkungen auf die Bauzeit und die hierdurch verursachten (bauzeitrelevanten) Mehrkosten auf Basis der Urkalkulation. Auch die Anordnung geänderter Leistungen kann also einen Behinderungstatbestand darstellen, der zur Bauzeitverlängerung führen und hierdurch Mehrkosten als sog. Bauzeitnachtrag auslösen kann. Die finanziellen Folgen dieser (bauinhaltlichen) Anordnung kann der Auftragnehmer nach § 2 Abs. 5 VOB/B, also durch die Fortschreibung seiner Urkalkulation, durchsetzen.7Vgl. ausführlich Motzke, Dreher/Motzke, Beck´scher Vergaberechtskommentar, § 4 VOB/A Rdn. 89-102 m.w.N. (auch zur Gegenansicht).

§ 2 Abs. 6 VOB/B für zusätzliche Leistungen (§ 1 Abs. 4 VOB/B)

1. Wird eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung gefordert, so hat der Auftragnehmer Anspruch auf besondere Vergütung. Er muss jedoch den Anspruch dem Auftraggeber ankündigen, bevor er mit der Ausführung der Leistung beginnt.

2. Die Vergütung bestimmt sich nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung. Sie ist möglichst vor Beginn der Ausführung zu vereinbaren.

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Wie der Anspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B setzt auch § 2 Abs. 6 VOB/B lediglich eine Bausoll-Bauist-Abweichung und eine Anordnung des Auftraggebers voraus, wobei für die Zusatzleistungen § 1 Abs. 4 VOB/B maßgeblich ist.8Die Abgrenzung zu § 2 Abs. 5 VOB/B bzw. der Unterschied zwischen geänderten und zusätzlichen Leistungen ist in der Praxis nicht immer einfach. Siehe dazu Kapellmann/Langen, a.a.O., Rdn. 58 f. Zu beachten ist, dass die einseitige Anordnung des Auftraggebers nur durchgreift, wenn es sich um für die gesamte Vertragsleistung notwendige Zusatzleistungen handelt, die der Betrieb des Auftragnehmers überhaupt erbringen kann:

Nicht vereinbarte Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, hat der Auftragnehmer auf Verlangen des Auftraggebers mit auszuführen, außer wenn sein Betrieb auf derartige Leistungen nicht eingerichtet ist. Andere Leistungen können dem Auftragnehmer nur mit seiner Zustimmung übertragen werden.

Auch hier hindert eine fehlende Preisvereinbarung vor Ausführung der angeordneten Zusatzleistung den Mehrvergütungsanspruch nicht. Abweichend von § 2 Abs. 5 verlangt § 2 Abs. 6 VOB/B aber, dass die Mehrkosten vor der Ausführung angekündigt werden. Allerdings hat die Rechtsprechung zu diesem grundsätzlichen Ankündigungserfordernis zahlreiche Ausnahmen entwickelt.9Kapellmann/Langen, a.a.O., Rdn. 61. Der sicherste Weg ist für den Auftragnehmer jedoch, die Mehrkosten anzukündigen, wobei die Ankündigung, dass Mehrkosten für die angeordneten Zusatzleistungen anfallen, ausreicht (die Höhe muss also nicht genannt werden).

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Der Höhe nach ist der Mehrvergütungsanspruch wiederum auf Basis der Urkalkulation zu entwickeln, wenn es dort mit der zusätzlichen (neuen) Leistung vergleichbare LV-Positionen gibt. Gibt es solche vergleichbaren Positionen nicht, müssten sich zwar die direkten Kosten nach den tatsächlichen Einkaufs- bzw. Marktpreisen richten, jedoch bleiben die Deckungsbeiträge aus der Urkalkulation erhalten.

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Bei im Haupt-Leistungsverzeichnis vorgegebenen Vorhaltepositionen und Bedarfs- bzw. Eventualpositionen, die vom Auftraggeber abgerufen werden, ist bei Abruf § 1 Abs. 4 bzw. für die etwaige Zusatzvergütung § 2 Abs. 6 VOB/B anwendbar, weil nämlich der Abruf eine „Anordnung“ darstellt. Denn diese LV-Positionen gehören im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht zum Vertragssoll, so dass z.B. im Ausbleiben ihrer Anforderung keine Kündigung liegt; erreicht werden soll vielmehr ein bindendes Preisangebot für den Fall der Erforderlichkeit der Leistung und ggf. der Anordnung durch den Auftraggeber. Vertragsrechtlich handelt es sich um eine nicht vereinbarte Leistung, die der Auftragnehmer auf Verlangen des Auftraggebers auszuführen hat.

§ 2 Abs. 8 VOB/B und §§ 677 ff. BGB für Zusatzleistungen ohne Auftrag

1. Leistungen, die der Auftragnehmer ohne Auftrag oder unter eigenmächtiger Abweichung vom Auftrag ausführt, werden nicht vergütet. Der Auftragnehmer hat sie auf Verlangen innerhalb einer angemessenen Frist zu beseitigen; sonst kann es auf seine Kosten geschehen. Er haftet außerdem für andere Schäden, die dem Auftraggeber hieraus entstehen.

2. Eine Vergütung steht dem Auftragnehmer jedoch zu, wenn der Auftraggeber solche Leistungen nachträglich anerkennt. Eine Vergütung steht ihm auch zu, wenn die Leistungen für die Erfüllung des Vertrags notwendig waren, dem mutmaßlichen Willen des Auftraggebers entsprachen und ihm unverzüglich angezeigt wurden. Soweit dem Auftragnehmer eine Vergütung zusteht, gelten die Berechnungsgrundlagen für geänderte oder zusätzliche Leistungen der Absätze 5 oder 6 entsprechend.

3. Die Vorschriften des BGB über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) bleiben unberührt.

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Für die Fälle, in denen der Auftragnehmer ohne (rechtswirksame) Nachtragsanordnung Zusatzleistungen für den Auftraggeber erbracht hat und somit die Absätze 5 und 6 des § 2 VOB/B keine Anwendung finden, sieht § 2 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B (sowie die §§ 677 ff. BGB) gleichwohl unter bestimmten Voraussetzungen einen Mehrvergütungsanspruch vor.

Unproblematisch entsteht der Anspruch durch nachträgliche Anerkennung des Auftraggebers. Problematisch wird es, wenn der Auftraggeber den Nachtrag zurückweist; dann muss der Auftragnehmer darlegen und beweisen, dass die Zusatzleistungen (technisch) notwendig waren, dem Auftraggeber unverzüglich angezeigt wurden und dem mutmaßlichen Auftraggeber-Willen entsprachen. Weil diese strengen Voraussetzungen schwer beizubringen sind, spielt die Nummer 2 des § 2 Abs. 8 VOB/B praktisch keine Rolle mehr, vielmehr wird der Auftragnehmer auf Nummer 3 bzw. die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677 ff. BGB zurückgreifen. Denn hier ist weder eine Anzeige der Leistungen Anspruchsvoraussetzung noch müssen die Leistungen notwendig sein – sie müssen nur „interessengemäß“ sein.10§ 812 BGB kommt ggf. als letzte Alternative in Betracht.

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Der Höhe nach richtet sich die Vergütungsberechnung nach § 2 Abs. 5 bzw. 6 VOB/B.

§ 2 Abs. 9 VOB/B für besondere Zusatzleistungen

1. Verlangt der Auftraggeber Zeichnungen, Berechnungen oder andere Unterlagen, die der Auftragnehmer nach dem Vertrag, besonders den Technischen Vertragsbedingungen oder der gewerblichen Verkehrssitte, nicht zu beschaffen hat, so hat er sie zu vergüten.

2. Lässt er vom Auftragnehmer nicht aufgestellte technische Berechnungen durch den Auftragnehmer nachprüfen, so hat er die Kosten zu tragen.

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Der Absatz 9 des § 2 VOB/B beinhaltet einen Vergütungsanspruch für „Planungsleistungen“ des Auftragnehmers, die er grundsätzlich nicht schuldet.11Vgl. 3 Abs. 1, 4, § 4 Abs. 1 VOB/B. Hiermit sind nicht die Werkstattzeichnungen gemeint. Ausnahmen können sich aus den VOB/C-DIN-Normen (ATV), aus Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen (ZTV) oder der gewerblichen Verkehrssitte ergeben. Der Auftragnehmer ist also beispielsweise nur dann zur Vorlage von Standsicherheitsnachweisen oder Beschaffung von Genehmigungsunterlagen verpflichtet, wenn es im Bauvertrag ausdrücklich vereinbart ist. Ohne eine solche Vereinbarung vom Auftraggeber verlangte Zeichnungen, Berechnungen oder Unterlagen sind gemäß § 2 Abs. 9 VOB/B zusätzlich zu vergüten.12Kaiser/Leesmeister, Einführung in die VOB/C, Rdn. 398.

Allerdings findet sich in der Vorschrift keine Regelung zur Höhe der Vergütung. Gibt es im Vertrag keine Regelung, richtet sich die Vergütungshöhe nicht nach der HOAI, vielmehr dürfte eine analoge Anwendung der §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B in Betracht kommen.13Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B, § 2 Abs. 9 VOB/B Rdn. 10.

§ 6 Abs. 6 VOB/B und § 642 BGB für Schadens- und Aufwendungsersatz

Sind die hindernden Umstände von einem Vertragsteil zu vertreten, so hat der andere Teil Anspruch auf Ersatz des nachweislich entstandenen Schadens, des entgangenen Gewinns aber nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Im Übrigen bleibt der Anspruch des Auftragnehmers auf angemessene Entschädigung nach § 642 BGB unberührt, sofern die Anzeige nach Absatz 1 Satz 1 erfolgt oder wenn Offenkundigkeit nach Absatz 1 Satz 2 gegeben ist.

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Mehrkosten bzw. Schäden oder Aufwendungen, die dem Auftragnehmer in Folge einer vom Auftraggeber zu vertretenen Behinderung (§ 6 VOB/B) entstanden sind, kann er wahlweise nach § 6 Abs. 6 VOB/B (Schadensersatz) oder nach § 642 BGB (Aufwendungsersatz) geltend machen. Für seinen Mehrvergütungsanspruch muss der Auftragnehmer darlegen, dass er in der Ausführung seiner Leistung behindert war, er die Behinderung gegenüber dem Auftraggeber angezeigt hat oder die hindernden Umstände für den Auftraggeber offenkundig waren, die Behinderung in den Risikobereich des Auftraggebers fällt und von diesem schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) zu vertreten ist,14Das Vertretenmüssen des Auftraggebers wird vermutet (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB), er muss sich entlasten. Der Anspruch nach § 642 BGB ist verschuldensunabhängig, das Vertretenmüssen ist also hier keine Anspruchsvoraussetzung, weshalb diese Anspruchsgrundlage bevorzugt wird. und welcher Schaden ihm aufgrund der Behinderung konkret entstanden ist. Kommt es aufgrund der Behinderung zum Baustillstand und macht der Auftragnehmer infolgedessen Stillstands- und Bauzeitverlängerungskosten geltend, sind Darlegung und Beweis im Einzelnen äußerst schwierig und oftmals nur mithilfe einer sog. bauablaufbezogenen Darstellung („gerichtsfeste Bauablaufdokumentation“) möglich.15Siehe u.a. BGH, BauR 2005, 857 mit Anmerkung von Schulze-Hagen, IBR 2005, 246.

Ist die Bauzeitverlängerung Folge von vom Auftraggeber angeordneten Änderungs- oder Zusatzleistungen, sind für den Mehrvergütungsanspruch (Nachtrag) die §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B einschlägig.

3 Prüfung von Nachtragsangeboten/-rechnungen

Nachträge sollten vom Auftraggeber idealiter vor der Beauftragung des Nachtragsangebots, zumindest aber vor Zahlung der in Rechnung gestellten Mehrvergütungsforderung, ordnungsgemäß im Hinblick auf deren Berechtigung dem Grunde und der Höhe nach – und in angemessener Zeit – geprüft werden. Je nach Größe und Komplexität des Bauvorhabens bzw. je nach Anzahl und Umfang (Höhe) der Nachträge empfiehlt sich ein Nachtragsmanagement, das z.B. in Form einer strukturierten Arbeitsgruppe – bestehend aus technischen, baubetrieblichen und juristischen Sachbearbeitern – die eingegangenen Nachträge prüft. Hierzu ein Vorschlag mit fünf Prüfungsschritten:

Schritt 1: Prüfung der Nachtragsunterlagen

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Wenn der Nachtrag beim Auftraggeber eingegangen ist, sollte dieser zunächst auf Vollständigkeit bzw. Prüffähigkeit überprüft werden, das heißt: Liegen dem Auftraggeber alle Informationen, Unterlagen, Belege etc. zur ordentlichen Nachtragsprüfung vor? Beispielsweise muss der Auftragnehmer den Grund für den Nachtrag, die Bausoll-Bauist-Abweichung, in nachvollziehbarer Art und Weise vortragen. Zudem bedarf es regelmäßig eines Nachtrag-Leistungsverzeichnisses nebst Kalkulation sowie der Vorlage der Urkalkulation, um die korrekte Preisfortschreibung des Bauvertrags ermitteln/überprüfen zu können.

Häufig vereinbaren die Parteien, dass die Urkalkulation bei Vertragsschluss in einem verschlossenen Umschlag dem Auftraggeber übergeben wird und diese für die Nachtragsprüfung – in Anwesenheit des Auftragnehmers – geöffnet werden darf. Das Oberlandesgericht München hat in seiner Entscheidung vom 16.01.2007 das „Einsichtsrecht“ des Auftraggebers erweitert; er ist zur Prüfung von Nachträgen grundsätzlich dazu berechtigt, die Urkalkulation vollständig – und nicht nur auszugsweise – einzusehen und sich für die Prüfung Kopien hiervon anzufertigen.16OLG München, BauR 2008, 2092. Welche Bedeutung die Urkalkulation im Rahmen der Nachtragsprüfung spielt, hat auch das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 21.11.2014 verdeutlicht, wonach der Auftraggeber den Nachtrag zurückweisen darf, wenn ihm die zur Nachtragsprüfung erforderliche Auftrags-/Urkalkulation nicht vorgelegt wird; für einen Rückgriff auf den ortsüblichen Preis (§ 632 Abs. 2 BGB) ist bei Nachträgen aus § 2 Abs. 5 bzw. 6 VOB/B kein Raum.17OLG Düsseldorf, NJOZ 2015, 1481; IBRRS 2015, 0203.

Schritt 2: Prüfung des Sachverhalts – Bausoll-Bauist-Abweichung

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Liegen dem Auftraggeber sämtliche Unterlagen zur Prüfung vor, ist die Nachtragsbegründung des Auftragnehmers dahingehend zu prüfen, ob tatsächlich eine Bausoll-Bauist-Abweichung vorliegt. Hierzu muss das komplette Vertragswerk, dort insbesondere die Leistungsbeschreibung, das Leistungsverzeichnis, die Allgemeinen und ggf. Zusätzlichen (Technischen) Vertragsbedingungen, die Nebenleistungen der VOB/C usw., dahingehend geprüft werden, ob die dem Nachtrag zugrunde liegenden „Zusatzleistungen“ nicht doch vom Leistungsumfang umfasst sind.

Schritt 3: Prüfung von Anspruchsgrundlage und -voraussetzungen

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Wenn die zentrale Anspruchsvoraussetzung der Bausoll-Bauist-Abweichung (für jede einzelne Nachtragsposition!) bejaht wurde, müssen die einzelnen Mehrleistungen der richtigen Anspruchsgrundlage zugeordnet werden, um so die jeweiligen (unterschiedlichen!) Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach prüfen zu können. Insofern kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zu Rn. 6 verwiesen werden. Gibt es eine (wirksame) Anordnung des Auftraggebers für Änderungs- und/oder Zusatzleistungen? Hat der Auftragnehmer die Mehrkosten rechtzeitig gegenüber dem Auftraggeber angezeigt? Liegt eine Behinderungsanzeige vor oder war die Behinderung offenkundig und wer hat sie zu vertreten? Und so weiter. Erst wenn alle Anspruchsvoraussetzungen der jeweils einschlägigen Anspruchsgrundlage vorliegen, ist der Nachtrag bzw. die Nachtragsposition dem Grunde nach berechtigt.

Wie wichtig die nachtragspositionsweise Zuordnung zur richtigen Anspruchsgrundlage ist, verdeutlicht der nachfolgende Fall:18Beispiel von Kapellmann/Langen, a.a.O., Rdn. 40.

Beispiel

Beispiel: Im Leistungsverzeichnis ist ausgeschrieben: Pos. 1: 250 m² Klinkersteine 10 cm à 100,00 €. Pos. 2: Eventualposition Klinkersteine 15 cm je m² 150,00 €. Pos. 3: 150 m³ Betondecken à 200,00 €. Während des Bauablaufs stellt sich heraus, dass die tatsächlich ausgeführte Menge der 10 cm-Klinker 280 m² beträgt. Auf Wunsch des Auftraggebers wird außerdem noch ein zusätzlicher, ursprünglich nicht vorgesehener Raum errichtet, wodurch weitere 60 m² Klinker anfallen, so dass insgesamt 340 m² gebraucht wurden. Auch die Eventualposition 2 wurde abgerufen, insgesamt 30 m² Klinker 15 cm. Schließlich stimmt auch die Menge der Betondecke nicht. Die richtige Menge beträgt nur 140 m³. Aber auch hier hatte der Auftraggeber einen Änderungswunsch der Raumhöhe, wodurch weitere 40 m³ Decke entfielen. Insgesamt wurden also nur 100 m³ Betondecken hergestellt.

Beispiel

Beispiel: Abrechnung: Pos. 1 gemäß § 2 Abs. 3 VOB/B als schlichte Mengenmehrung von 250 m² auf 280 m², d.h. bis 275 m² (10 %) gilt der alte Einheitspreis, darüber ein neuer Preis, der grds. etwas niedriger sein müsste. Und § 2 Abs. 6 VOB/B für weitere 60 m² als angeordnete Zusatzleistung mit der Folge, dass es beim alten Einheitspreis gemäß Urkalkulation verbleibt (Preisfortschreibung). Pos. 2 ist eine Eventualposition, auf die § 2 Abs. 3 VOB/B nicht anwendbar ist, d.h. hier wird die volle Menge zum vollen EP abgerechnet. Pos. 3 erfährt eine Mengenminderung nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B (140 m³ statt 150 m³), die jedoch unter 10% liegt, d.h. der EP bleibt unverändert. Soweit weitere 40 m³ herausgenommen werden, liegt eine Teilkündigung gem. § 8 Abs. 1 VOB/B vor mit der Rechtsfolge der vollen Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen.

Schritt 4: Prüfung der Preisfortschreibung einschließlich Zuschlägen

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Oftmals „spielt die Musik“ in der ordnungsgemäßen Prüfung des Nachtrags der Höhe nach. Hiermit ist nicht die korrekte einheitspreisbezogene Mengenermittlung nach Aufmaß gemeint, sondern zum einen die Preisfortschreibung gemäß der Auftragskalkulation, zum anderen die Angemessenheit der Zuschläge, was in der Regel einer baubetrieblichen Prüfung bedarf. Hierzu ein kleiner Exkurs dazu, wie sich die Leistungspositionen und Einheitspreise aus dem Leistungsverzeichnis regelmäßig zusammensetzen bzw. innerhalb der Urkalkulation dargestellt (aufgeschlüsselt) werden:

Einheitspreis = Einzelkosten der Teilleistungen + Zuschläge

Einzelkosten der Teilleistungen (EKdT) = Lohnkosten, Gerätekosten, Stoffkosten, NU-Kosten, Sonstige Kosten

Zuschläge = auf alle verwendeten Kostenarten (s.o.) prozentual: AGK, BGK, WuG, GU-Zuschlag

Allgemeine Geschäftskosten (AGK) = Kosten außerhalb der Baustelle, z.B. Bürokosten, Verwaltungskosten, etc.

Baustellengemeinkosten (BGK) = z.B. Bauleitung, Wasser und Strom, Gerätemiete (Kran, Bagger, usw.)

Wagnis und Gewinn (WuG) = Ertrag/Gewinn prozentual

GU-Zuschlag = prozentualer Aufschlag des Generalunternehmers für seinen Nachunternehmereinsatz

Herstellkosten = EkdT + BGK

Selbstkosten = Herstellkosten + AGK

Angebotssumme netto = Selbstkosten + WuG (entspricht EKdT + Zuschläge = Einheitspreis, s.o.)

Die Preiskalkulation aus der Urkalkulation muss also mit der Preiskalkulation aus der Nachtragskalkulation verglichen werden, ob das Preisniveau beibehalten bzw. die Preise von vergleichbaren Positionen aus dem Haupt-LV fortgeschrieben wurden.19Ausführlich Kattenbusch/Kuhne, Nachtragsbearbeitung in Bauunternehmen, Baumarkt + Bauwirtschaft, Heft 4/2002, S. 42-43.

Schritt 5: Prüfung der weiteren Vorgehensweise

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Ist die Prüfung des Nachtrags abgeschlossen, sollte sich der Auftraggeber noch folgende Gedanken machen:

Sollte das Prüfergebnis den Nachtrag nicht oder nicht in voller Höhe bestätigen, ist regelmäßig eine streitige Auseinandersetzung mit dem Auftragnehmer vorprogrammiert. Je nach Bedeutung und Streitpotential sollte ein gemeinsames Aufklärungs- und Einigungsgespräch (z.B. Preisverhandlungen mit Nachtragsvereinbarung, (siehe dazu Rn. 24) vorgesehen werden. Können sich die Parteien während des Bauablaufs nicht (über die Höhe) einigen, könnte der Auftraggeber unter dem Vorbehalt der weiteren Prüfung den Nachtrag nur dem Grunde nach beauftragen oder einen Teilbetrag unter dem Vorbehalt der Rückforderung auszahlen, um hierdurch eine vom Auftragnehmer angedrohte Arbeitseinstellung zu vermeiden (siehe dazu Rn. 27). Schließlich sollte nach Ursache und Verantwortung für den Nachtrag gefragt und Regressmöglichkeiten bei Dritten geprüft werden; unter Umständen beruhen die Änderungs- oder Zusatzleistungen oder die Bauzeitverlängerung usw. auf einer mangelhaften Planung des Architekten oder auf anderen, von den weiteren Baubeteiligten verursachten Umständen (Mängel, Fehler, etc.).

4 Preisverhandlungen mit öffentlichen Auftraggebern (Vergaberecht)

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Wenn – wie in der Praxis so häufig – die den Nachträgen zugrunde liegenden Änderungs- und Zusatzleistungen vom Auftraggeber angeordnet und vom Auftragnehmer bereits ausgeführt wurden, bedarf es für einen Zusatzvergütungsanspruch keiner (nochmaligen) „Beauftragung“ der Nachtragsangebote mehr, sofern schon die Voraussetzungen der § 1 Abs. 3, 4 bzw. § 2 Abs. 5, 6, 8 VOB/B vorliegen; dann wird es letztlich allein darauf ankommen, ob der jeweilige Nachtrag tatsächlich dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist.20Oppler, Zur Bindungswirkung von Nachtragsvereinbarungen, Festgabe Kraus, 2003, 169, 172.

Zwar sind einfache Nachtragsbeauftragungen, Anordnungen oder Nachtragszahlungen dann nicht verbindlich, wenn der Nachtrag in Wirklichkeit nicht berechtigt ist, denn solche Handlungen stellen kein Anerkenntnis im Sinne von § 781 BGB dar, d.h. der Auftraggeber kann eine gezahlte Nachtragsvergütung zurückverlangen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die „Nachtragsleistung“ in Wirklichkeit vom ursprünglichen Bausoll schon umfasst, also der Nachtrag gar nicht berechtigt war.21OLG Dresden, IBR 2000, 63; vgl. Kapellmann, Kapellmann/Messerschmidt, § 2 VOB/B Rdn. 191; siehe aber OLG Düsseldorf, IBR 2015, 241. Hat jedoch der Auftraggeber nach Prüfung der Nachtragsrechnung eine Erklärung abgegeben, mit der er beispielsweise Meinungsverschiedenheiten bewusst und willentlich auf die für ihn unklaren (Nachtrags-)Positionen beschränken will, stellt das ein kausales Schuldanerkenntnis dar, das dem Grunde und der unbestrittenen Positionen nach bekannte Einwendungen ausschließt. Haben sich die Vertragsparteien nach kontroverser Diskussion über eine Nachtragsforderung oder über einzelne Nachtragspositionen im Wege gegenseitigen Nachgebens sogar geeinigt, so ist das ein Vergleich.22Kapellmann, a.a.O. Rdn. 227.

Zur Verbindlichkeit einer Nachtragsvereinbarung hat auch der Bundesgerichtshof klargestellt, dass zwar eine Vereinbarung im Hinblick auf die Nachtragsvergütung in der Regel nicht bindend ist, wenn die Nachtragsleistung schon vom Bausoll, also von der im Hauptauftrag vereinbarten Vergütung, umfasst war, jedoch eine Nachtragsvereinbarung für den Auftraggeber dann verbindlich ist, wenn er in der Vereinbarung eine gesonderte Vergütungspflicht selbständig anerkannt hat oder die Vertragsparteien sich gerade in Ansehung dieser Frage geeinigt haben.23BGH, IBR 2005, 358 und IBR 2011, 126. Das heißt, eine Zahlungspflicht für (angeordnete oder technisch notwendige und ausgeführte) Nachträge besteht dann, wenn über die Nachtragsfähigkeit der Leistung Uneinigkeit bestand, daraufhin verhandelt und dabei eine Einigung erzielt worden ist – eine solche Verhandlung/Einigung bindet beide Vertragsparteien, selbst wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass die Nachtragsleistung vom Bausoll umfasst war.24Ebenso OLG Celle, IBR 2004, 671. Diese Rechtsfolge wird erst recht gelten, wenn bereits im Vorfeld eine Einigung bzgl. der Nachtragsberechtigung dem Grunde nach bestand und im Rahmen anschließender Preisverhandlungen „nur noch“ über streitige Positionen der Höhe nach diskutiert wurde.25Vgl. auch Kimmich/Bach, VOB für Bauleiter, Rdn. 677 f.

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Ob und in welchem Umfang Nachtragsvereinbarungen für öffentliche Auftraggeber bindend sind, ist teilweise umstritten. Zunächst gelten jedenfalls auch hier die vorstehenden Grundsätze. Letztlich wird es auf den Inhalt der konkreten Verhandlung und Vereinbarung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ankommen. Zudem ist zwischen einer verbindlichen Einigung über den Nachtragsanspruch dem Grunde nach und einer verbindlichen Preisvereinbarung der Höhe nach zu unterscheiden. Bei öffentlichen Bauaufträgen hat die Preisverhandlung, respektive eine Nachtragsvereinbarung,26Ggf. nach VHB Formblatt 523 oder vergleichbaren Mustern. regelmäßig den Sinn, eine für beide Seiten grundsätzlich verbindliche Regelung über die Höhe der Nachtragsvergütung bzw. einzelne Nachtragspositionen (der Höhe nach) zu treffen, was insbesondere daran liegt, dass vielfach eine „erhebliche Brandbreite“ für eine technisch und juristisch vertretbare Ermittlung neuer Preise und insoweit rechtliche Unsicherheiten und Beurteilungsspielräume bestehen.27Zutreffend Althaus/Bartsch, Althaus/Heindl, Der öffentliche Bauauftrag, Rdn. 251 m.w.N.. Gerade dies ist doch Sinn und Zweck einer Preisverhandlung sein, solche Unsicherheiten und Diskussionspunkte abschließend zu beseitigen.28Althaus/Heindl, a.a.O., Rdn. 252. Durch die Nachtragsvereinbarung wird eine Vertragsänderung bzw. -ergänzung in Bezug auf den Hauptauftrag geschlossen, die beide Vertragsparteien bindet.29Vgl. auch BGH, NJW 1998, 1492; a.A.: Oppler, a.a.O., S. 169, 175; Roquette/Schweiger, BauR 2008, 734 ff.; Rothfuchs, BauR 2007, 469 ff. Vor diesem Hintergrund sind rechtliche, technische oder baubetriebliche Fehler bei der Berechnung der Vergütungshöhe, auch bzgl. etwaiger bauzeitlicher Auswirkungen der Nachtragsleistungen, unbeachtlich und berühren die Verbindlichkeit der Vereinbarung nicht.30OLG Düsseldorf, IBR 1996, 52; Werner, Werner/Pastor, Rdn. 1828; OLG Karlsruhe, IBR 2000, 155 mit zustimmender Anm. Schulze/Hagen.

Zwar unterliegen Preisverhandlungen/Nachtragsvereinbarungen der öffentlichen Rechnungsprüfung. Dieses Prüfungsrecht bedeutet aber nicht zugleich ein Recht auf Rückforderung für den Fall, dass die Preisvereinbarung auf der Basis fehlerhafter Grundlagen abgeschlossen wurde. Insoweit ist das Außenverhältnis, also die mit dem Auftragnehmer getroffene Vereinbarung, von dem Innenverhältnis des öffentlichen Auftraggebers (Ämter) strikt zu trennen.

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Geht man also davon aus, dass es sich bei den Preisverhandlungen und Nachtragsvereinbarungen um vergleichsweise geschlossene, bindende Vertragsergänzungen handelt, schließt sich die Frage an, ob sich der öffentliche Auftraggeber von diesen verbindlichen Vereinbarungen wieder lösen kann: In Fällen fehlerhafter Herleitung und Bewertung der Nachtragsvergütung kommt eine Anfechtung wegen Irrtums in der Regel nicht in Betracht, denn Preisvereinbarungen stellen grundsätzlich abschließende Regelungen dar.31Vgl. OLG Düsseldorf, IBR 1996, 52. Auch eine Nichtigkeit der Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit würde nur dann nicht ausscheiden, wenn die Vertragsparteien wissen und billigen, dass die Vertragsleistung nur unter grober Verletzung der im Interesse der Allgemeinheit gegebenen Haushaltsvorschriften erbracht werden kann.32Dazu OLG Jena, IBR 2008, 500. Stellt die Preisverhandlung über die Höhe der Nachtragsvergütung insgesamt einen Vergleich dar,33Siehe OLG Karlsruhe, IBR 2000, 155. war jedoch die Frage des Anspruchsgrundes nicht Inhalt der Verhandlungen, stellt damit der Anspruchsgrund eine Geschäftsgrundlage des Vergleichs dar; dies wiederum hätte zur Folge, dass der Vergleich gemäß § 779 BGB unwirksam ist, wenn der Auftraggeber bei Kenntnis von einem etwaig fehlenden Anspruchsgrund den Vergleich über die Höhe der Vergütungsanpassung nicht abgeschlossen hätte.34Althaus/Bartsch, a.a.O., Rdn. 250.

5 Auswirkungen auf sonstige Rechte und Pflichten – Umgang mit Nachtragsstreitigkeiten

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Schließlich sollten die Vertragsparteien auch die Auswirkungen von Nachtragsforderungen auf sonstige Rechte und Pflichten stets im Blick haben und sich insbesondere (frühzeitig) Gedanken zum Umgang mit Nachtragsstreitigkeiten machen.

Streiten sich die Vertragsparteien über die Berechtigung eines Nachtrags und zahlt der Auftraggeber den Nachtrag nicht (in voller Höhe) aus, könnte der Auftragnehmer mit einer generellen Arbeitseinstellung drohen (wenn die Nachtragsleistungen schon erbracht wurden) und damit von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen; ob der Auftragnehmer ein solches Leistungsverweigerungsrecht hat, ist dann von der Berechtigung des Nachtrags abhängig. In jedem Fall ist dem Auftraggeber eine angemessene Prüffrist einzuräumen.

Beispiel

Beispiel: Der öffentliche Auftraggeber macht gegenüber dem mit Abbrucharbeiten beauftragten Auftragnehmer Restfertigstellungsmehrkosten über 90.000,00 € geltend, die ihm durch die Beauftragung eines Drittunternehmens in Folge der Kündigung des Auftrags mit dem Auftragnehmer entstanden sind. Grund der Kündigung war, dass es während der Arbeiten zu Meinungsverschiedenheiten über ein Nachtragsangebot kam: Der Auftraggeber sagte noch am gleichen Tag dessen Prüfung zu und forderte den Auftragnehmer auf, den Bauschutt bis zum Ende der Woche zu entsorgen. Der Auftragnehmer wollte dagegen den Schutt erst dann abtransportieren, wenn eine schriftliche Zusage erteilt werde, nach der der Auftraggeber mindestens 70 % des Nachtrags vor der Verhandlung garantiere. Nachdem der Auftraggeber mehrfach fruchtlos zur Wiederaufnahme der Arbeiten aufgefordert hatte, kündigte er den Vertrag. Nun streiten die Parteien über die Mehrkosten bzw. die Berechtigung der Kündigung aus wichtigem Grund.

Beispiel

Beispiel: Der Auftraggeber kann aus wichtigem Grund kündigen, wenn der Auftragnehmer unberechtigt seine Arbeiten einstellt, z.B. wenn die Nachtragsforderung dem Grunde nach unberechtigt ist, der Auftragnehmer die Nachtragsforderung dem Auftraggeber nicht prüfbar dargelegt hat, oder die dem Auftraggeber zuzugestehende angemessene Prüfungsfrist noch nicht verstrichen ist. Zumindest letzteres wurde hier vom Auftragnehmer missachtet.

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Im Übrigen spielt hier die sog. Kooperationspflicht der Bauvertragsparteien eine entscheidende Rolle: Die Leistungsverweigerung setzt stets voraus, dass zuvor der Versuch einer gütlichen Lösung unternommen wurde. Erst wenn die andere Partei dies ernsthaft und endgültig ablehnt oder eine Einigung scheitert, besteht das Leistungsverweigerungsrecht (und ein wichtiger Kündigungsgrund).35BGH, IBR 2000, 110.

Nach der herrschenden Meinung in der baurechtlichen Rechtsprechung und Literatur hat der Auftragnehmer vor Ausführung der angeordneten Nachtragsleistung kein Leistungsverweigerungsrecht in Bezug auf diese Nachtragsleistungen – er muss sie zunächst ausführen, auch wenn der Auftraggeber nicht auf das Nachtragsangebot eingeht. Nur wenn der Auftraggeber die wirksame Anordnung unterlässt, darf der Auftragnehmer die Ausführung der Nachtragsleistung verweigern.

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Weil Nachtragsstreitigkeiten in der Praxis häufig für beide Parteien nachteilige (finanzielle) Folgen haben (Baustillstand und -verzögerung, Überzahlung, Zahlungsverzug) und der Ausgang einer gerichtlichen Auseinandersetzung oftmals ungewiss ist, empfiehlt sich eine außergerichtliche Klärung, zumindest aber eine Regelung, wie die Parteien eine Zwischenlösung während des Bauablaufs finden und die streitige Diskussion auf die Zeit nach Fertigstellung verlegen.36Formulierungsbeispiele von Kimmich, BauR 2010, 1494, 1504 ff. Alternative außergerichtliche Streitschlichtungsmodelle wie beispielsweise die Adjudikation37Ausführlich Aldinger/Mahnken, Roquette/Otto, Vertragsbuch Privates Baurecht, Teil IV. erlangen gerade am Bau immer mehr an Bedeutung.