Archiv  GWB-Kommentar - 1. Auflage  Kommentar zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)  Teil 4 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen  §§ 97–154 Kapitel 1 Vergabeverfahren  §§ 115–135 Abschnitt 2 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber  §§ 119–135 Unterabschnitt 2 Vergabeverfahren und Auftragsausführung  § 132 Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit 

Zeitschrift:
GWB-Kommentar
Herausgeber:
Malte Müller-Wrede
Autoren:
Benjamin Baron von Engelhardt/Hendrik Kaelble
Thema:
Vergabe

D. Bagatelländerungen (Abs. 3)

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§ 132 Abs. 3 GWB soll dem Auftraggeber bei der Durchführung des Auftrags eine gewisse Flexibilität und Adaptionsfähigkeit hinsichtlich der Leistungen des Auftrags ermöglichen. Kleinere Erweiterungen des Auftrags sollen daher im Rahmen von § 132 Abs. 3 GWB zulässig sein. Damit soll der Auftraggeber den bürokratischen Aufwand eines Vergabeverfahrens vermeiden können.

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§ 132 Abs. 3 GWB regelt eine kumulative Wert-Obergrenze („und“): Das heißt, sowohl § 132 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 als auch Nr. 2 GWB müssen vorliegen. Nur weil etwa eine Änderung den Schwellenwert des § 106 GWB nicht erreicht, wird die Neuvergabe nicht entbehrlich, wenn sie nicht auch anteilsmäßig geringfügig im Sinne von § 132 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB ist. Auch eine anteilsmäßig geringfügige Änderung muss schließlich ausgeschrieben werden, wenn sie die Schwellenwerte erreicht oder überschreitet.

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Als Ausnahmen vom Grundsatz der Neuvergabe sind die Tatbestände eng auszulegen. Die Darlegungspflicht trifft denjenigen, der sich auf sie beruft. Das Umgehungsverbot ist zu beachten. Auch darf sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändern, ein Begriff, der sich auch in § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB findet1Siehe daher Rn. 34..

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Nicht zu prüfen sind hingegen die Tatbestände des § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 bis 4 GWB. In der korrespondierenden europarechtlichen Regelung des Art. 72 Abs. 2 RL 2014∕24 ist dies ausdrücklich geregelt. Aufträge, die den Tatbestand des § 132 Abs. 3 GWB erfüllen und zugleich wesentlich im Sinne des § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 bis 4 GWB sind, müssen also dennoch nicht neu vergeben werden. Dies gilt in europarechtskonformer Auslegung auch für den Auftragnehmerwechsel. Zwar regelt § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GWB, dass dieser stets vergabepflichtig ist, wenn nicht die Ausnahme des § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 GWB vorliegt. Art. 72 Abs. 2 RL 2014∕24∕EU sieht hiervon indes ausdrücklich eine weitere Ausnahme vor. In diesem Sinne ist § 132 Abs. 3 GWB zu verstehen.

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Für die Berechnung der Schwellen in § 132 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GWB ist dabei der Wert der Änderung zugrunde zu legen. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 132 Abs. 3 GWB („Wert der Änderung“). Bei Erweiterungen ist dies der Wert der zusätzlichen Leistungen, bei Änderungen die Differenz zwischen dem ungeänderten (nebst der noch nicht erbrachten aber geschuldeten Leistungen) und dem geänderten Auftrag, beim Auftragnehmerwechsel der vom neuen Auftragnehmer zu erbringende Teil des Auftrags. Bei mehreren aufeinanderfolgenden Änderungen wird der maßgebliche Wert der Änderungen anhand des Gesamtwertes der Änderungen nach § 132 Abs. 3 S. 2 GWB berechnet. Dies gilt in europarechtskonformer Auslegung für beide Tatbestände des § 132 Abs. 3 S. 1 GWB. Anders als in § 132 Abs. 3 GWB ist die entsprechende Regelung in Art. 72 Abs. 2 RL 2014∕24∕EU nicht § 132 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB allein, sondern § 132 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB gemeinsam zugeordnet.

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Aus Art. 72 Abs. 2 RL 2014∕24∕EU ergibt sich zudem, dass der Nettowert der Änderungen zugrunde zu legen ist. Im Übrigen können die Vorgaben zur Auftragswertberechnung angewandt werden.