Bei dem nunmehr erstmalig im GWB-Vergaberecht ausdrücklich aufgeführten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit handelt es sich um ein sowohl europa- als auch verfassungsrechtlich determiniertes Gebot. Nach der Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei der Verhältnismäßigkeit um einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, wonach vergaberechtliche Maßnahmen nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist.1Vgl. EuGH, Urteil v. 23.12.2009 – Rs. C-376∕08 (Serrantoni) m.w.N. Dieser Formulierung entspricht die auch als Übermaßverbot aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete verfassungsrechtliche Vorgabe, wonach Grundrechtseingriffe – und um solche handelt es sich regelmäßig bei vergaberechtlichen Maßnahmen öffentlicher (staatlicher) Auftraggeber2Vgl. BVerfG, Beschluss v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160∕03; Dörr, DÖV 2001, 1014. – geeignet, erforderlich und angemessen zur Erreichung des angestrebten Zwecks sein müssen.3Vgl. etwa Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 149 ff. m.w.N.
Besondere Bedeutung dürfte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor allem im Hinblick auf die an die Unternehmen zu stellenden Anforderungen und den Ausschluss von Unternehmen aus dem Vergabeverfahren haben. Bei Letzterem handelt es sich um den massivsten Eingriff in die Rechte der beteiligten Unternehmen. Der Auftraggeber ist daher – zumindest bei fakultativen Ausschlussgründen im Sinne von § 124 GWB – stets gehalten, mögliche mildere Maßnahmen zu prüfen, bevor er einen Ausschluss aus dem Vergabeverfahren ausspricht. Bezüglich der an die Unternehmen zu stellenden Anforderungen konkretisiert § 122 Abs. 4 GWB den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dahin, dass Eignungskriterien in einem angemessenen Verhältnis zum Auftragsgegenstand stehen müssen. Die Forderung nach einem bisherigen Mindestumsatz im Milliardenbereich widerspräche bei einem niedrig siebenstelligen Auftragsvolumen mithin beispielsweise dieser Maßgabe (vgl. auch § 45 Abs. 2 S. 1 VgV).
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat allein die Interessen der beteiligten Unternehmen im Blick, die vor überzogenen Anforderungen der Auftraggeber geschützt werden sollen. Das Verhältnismäßigkeitsgebot ist daher ebenso wie seine konkreten Ausprägungen individualschützend im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB.