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Werk:
Einführung in die öffentliche Beschaffung
Autor:
Julie Wiehler
Thema:
Vergabe

Vergaberecht bei geförderten Projekten

Julie Wiehler

1. Überblick

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Jedes Jahr fließen viele Milliarden Euro an Fördergeldern aus EU-, Bundes- und Landesmitteln in öffentliche Infrastrukturmaßnahmen wie den Ausbau von Verkehrs- oder Kommunikationswegen, Ausbildungs- und Kulturprojekte oder Maßnahmen zum Klimaschutz. Aufgrund ihrer mehrheitlich klammen Haushalte können insbesondere die Kommunen derartige Vorhaben häufig nur noch mithilfe öffentlicher Fördergelder realisieren. Bei der Vergabe fördermittelfinanzierter Aufträge hat der Fördermittelempfänger regelmäßig die Vorschriften des Vergaberechts zu beachten und zwar auch dann, wenn er kein öffentlicher Aufraggeber ist. Dabei ist das Vergaberecht gleich in zweifacher Hinsicht von wesentlicher Bedeutung: Zunächst bestimmt es auf der Auftragsebene das Verhältnis zwischen Fördermittelempfänger als Auftraggeber und den Bewerbern um den fördermittelfinanzierten Auftrag. Darüber hinaus ist die Einhaltung des Vergaberechts wesentliches Kriterium für eine verwaltungsrechtskonforme Mittelverwendung auf der Zuwendungsebene. Das Vergaberecht ist damit auch maßgebend für das Verhältnis zwischen Fördermittelempfänger und Fördermittelgeber. Vergaberechtsverstöße des Auftraggebers können daher bei geförderten Projekten nicht nur zu rechtlichen Auseinandersetzungen mit Bewerbern um den Auftrag führen, sondern auch zu Rückforderungen von Fördermitteln durch den Fördermittelgeber.

2 Wege der Einbeziehung des Vergaberechts

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Das Vergaberecht kann bei geförderten Projekten sowohl über das GWB als auch über die Bewilligungsakte der Fördermittelgeber zur Anwendung kommen und den Fördermittelempfänger zur Ausschreibung seiner Beschaffungsvorhaben verpflichten.

2.1 Einbeziehung über das GWB

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Neben den Auftraggebern, die gemäß §§ 99 Nr. 1 bis 3, 100 und 101 GWB unabhängig von einer Förderung des Vorhabens zur Ausschreibung verpflichtet sind1§ 99 Nr. 1 bis 3 GWB: öffentliche Auftraggeber, § 100 GWB: Sektorenauftraggeber, § 101 GWB: Konzessionsgeber., können durch den Einsatz von Fördermitteln über § 99 Nr. 4 GWB auch grundsätzlich private Auftraggeber zu öffentlichen Auftraggebern und damit ausschreibungspflichtig werden. Dies ist der Fall, wenn bei in § 99 Nr. 4 GWB abschließend aufgeführten Bauvorhaben2Tiefbaumaßnahmen sowie Vorhaben zur Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäude. oder damit in Verbindung stehenden Dienstleistungen die öffentliche Fördermittelquote über 50 % liegt. Ziel der Anwendungserweiterung aus § 99 Nr. 4 GWB ist, dass auch mittelbar öffentlich finanzierte Projekte den wettbewerblichen Regelungen des Vergaberechts unterworfen werden sollen3Portz, VergabeR 2a/2014, S. 280.. Konzessionsgeber und Sektorenauftraggeber werden jedoch auch bei einer überwiegenden Fördermittelfinanzierung nicht zu öffentlichen Auftraggebern gemäß § 99 Nr. 4 GWB sondern bleiben lediglich den privilegierteren Vorschriften für Konzessionsgeber bzw. Sektorenauftraggeber unterworfen4Gesetzesbegründung des BT zum VergRModG 2016, BT-Drs.: 18/6281, a.A.: Ortlieb/Griesbach, EWeRK 5/2013, 256.. Da die Erweiterung im GWB verankert ist, gilt sie zudem nur für Ausschreibungen oberhalb des jeweils aktuellen EU-Schwellenwertes5§ 106 GWB bzw. für die Fälle, in denen das Landesvergaberecht auch unterhalb der Schwellenwerte für den Begriff des öffentlichen Auftraggebers auf die Regelung des § 99 Nr. 4 GWB verweist.6So z.B. § 2 Abs. 5 NTVergG. Ist der Fördermittelempfänger über § 99 Nr. 4 GWB öffentlicher Auftraggeber, gelten für ihn7Wie für die öffentlichen Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 1 bis 3 GWB. bereits aus diesem Grund - und ungeachtet weiterer Festlegungen durch den Fördermittelgeber - die Regelungen des Vergaberechts bei der Auftragsvergabe.

2.2 Einbeziehung über die Fördermittelbewilligung

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Darüber hinaus legen bei geförderten Projekten die bewilligenden Rechtsakte der Fördermittelgeber eine Anwendungspflicht des Vergaberechts fest. Der Weg der Einbeziehung ist dabei abhängig von der Rechtsform des Bewilligungsaktes.

2.2.1 Auflage im Zuwendungsbescheid

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Im Regelfall erfolgt die Fördermittelbewilligung über einen Verwaltungsakt in Form eines Zuwendungsbescheides8Rechtsgrundlagen hierfür sind die §§ 23, 44 BHO bzw. die entsprechenden Normen der Landeshaushaltsordnungen.. Diese enthalten teilweise selbst eine ausdrückliche Anordnung zur Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften bei der Auftragsvergabe9Diese Anordnungen fallen inhaltlich - abhängig vom Fördermittelgeber - sehr unterschiedlich aus.. In jedem Fall verweisen die Zuwendungsbescheide - sofern sie ordnungsgemäß erstellt wurden - ergänzend auf die jeweils einschlägigen Allgemeinen Nebenbestimmungen (ANBest)10Siehe VV Nr. 5.1 zu § 44 Abs. 1 BHO, bzw. die VV zu den entsprechenden Regelungen in den LHO der Bundesländer, die jeweils eine Einbindung der ANBest in Zuwendungsbescheide vorschreiben.. Praxisrelevant sind insbesondere die:

  • ANBest-P - bei Projektförderungen,

  • ANBest-Gk - für Projektförderung an Gebietskörperschaften,

  • ANBest EFRE/ESF - bei Projektförderungen aus EU-Mitteln.

Abhängig vom Fördermittelgeber sind die ANBest in ihrer Bundes- oder jeweiligen Landesfassung maßgeblich11Weitere ANBest: ANBest-I für Institutionelle Förderungen, ANBest-P-Kosten zur Projektförderung auf Kostenbasis auch diese jeweils vorhanden als Bundes- und Länderfassungen. Es können auch mehrere ANBest gleichzeitige einschlägig sein.. Inhaltlich sind die ANBest nicht immer einheitlich12Dies gilt sowohl innerhalb der verschiedenen ANBest-Gruppen als auch innerhalb derselben Gruppe auf Bundes- und Landesebene.. Sie enthalten jedoch alle in Ziffer 3 eine Bestimmung zur Einhaltung des Vergaberechts bei der Auftragsvergabe, wobei sie hierfür mehrheitlich auf die Regelungen der 1. Abschnitte der VOB/A bzw. VOL/A verweisen13Anders z.B. die ANBest-P (HH) die auf das jeweils bei Ausschreibungsbeginn maßgebliche Vergaberecht verweisen.. Teilweise wird in den ANBest ein Schwellenwert bestimmt, ab welchem die vergaberechtlichen Regelungen zu beachten sind14So z.B. ANBest-P (Bund): 100.000 EUR; ANBest-P (HH): 25.000 EUR bei Dienstleistungsaufträgen, 50.000 EUR bei Bauaufträgen; ANBest-EFRE/ESF (Nds.): 25.000 EUR bei Förderungsquote bis 50%; kein Schwellenwert bei Förderungsquote über 50%. Sowohl die ausdrückliche Anordnung zur Anwendung des Vergaberechts im Zuwendungsbescheid als auch die ergänzend einbezogenen ANBest sind Nebenbestimmungen in Form von Auflagen gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG15VG Köln, Urteil v. 03.09.2015, 16 K 2´3369/14, Ziffer 5.1 der VV-BHO.. In den Fällen, in denen die ANBest sowohl eine konkrete Anordnung in Ziffer 3.1 als auch einen Verweis auf die GWB und/oder die 2. Abschnitte von VOB/A und VOL/A in Ziffer 3.2. enthalten16Siehe z.B. ANBest-P (Bund), ausgegeben durch das BMWi Stand 01.01.2014 – BMWi-Vordr.0323a/02.15. ist allerdings streitig, ob neben der konkreten Anweisung aus Ziffer 3.1 auch der Hinweis aus Ziffer 3.2 als Auflage anzusehen ist17Bejahend: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.04.2012, 4 A 1055/09; a.A. und damit seine eigene bisherige Rechtsauffassung hierzu aufgebend: VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 17.10.2013, 9 S 123/12.. Ebenfalls noch nicht abschließend geklärt ist, welche Fassung der VOL/A bzw. VOB/A jeweils maßgeblich sein soll18Dynamisch auf den Zeitpunkt der jeweiligen Ausschreibung abstellend: VG Köln, Urteil v. 11.12.2001, 7 K 4333/98; a. A. Ortlieb/Griesbach, Fn.4, die den Erlasszeitpunkt des Zuwendungsbescheides für maßgeblich halten; offen gelassen: VG Düsseldorf, Urteil v. 11.02.2009, 20 K 2335/08..

2.2.2 Wirksamkeit der Auflage

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Die Frage der Wirksamkeit der Auflage richtet sich nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts. Danach muss die Auflage insbesondere auch dem verwaltungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz aus § 37 Abs. 1 VwVfG genügen. Hierfür muss die Auflage für den Adressaten des Zuwendungsbescheides so vollständig, klar und unzweideutig verständlich sein, dass er sein Verhalten danach richten kann19BVerwG, Urteil v. 03.12.2003, 6 C 20.02, Kopp/Ramsauer, 15. Aufl. 2014, § 37, Rn. 5 m.w.N.. Dies wird unter anderem dann verneint, wenn der Zuwendungsbescheid selbst bestimmte Auflagen zur Geltung des Vergaberechts enthält, die mit den ebenfalls einbezogenen ANBest im Widerspruch stehen20VG Köln, Urteil v.03.09.2015, 16 K 3369/14.. Auflagen, die nicht eindeutig verständlich bzw. in sich widersprüchlich sind, leiden unter einem schwerwiegenden Fehler und sind gemäß § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig21VG Köln a.a.O.. Der Fördermittelempfänger ist dann auf der Zuwendungsebene nicht zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet22Ist der Auftraggeber jedoch öffentlicher Auftraggeber nach GWB, ist er auf der Auftragsebene gleichwohl zur Einhaltung des Vergaberechts verpflichtet., mit der Folge, dass der Zuwendungsgeber einen Verstoß auch nicht sanktionieren kann23Zu den Sanktionen siehe Ziffer 3.. Dies gilt auch dann, wenn der Fördermittelempfänger das Vergaberecht als öffentlicher Auftraggeber über GWB ohnehin zu beachten hat24Schustereit in Vergabeblog.de, Beitrag v. 12.11.2015..

2.2.3 AGB im Vertrag

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In selteneren Fällen kann die Bewilligung der Fördermittel auch im Wege privatvertraglicher Ausgestaltung erfolgen25BVerWG, Urteil vom 30.05.2006, NJW 2006, 2568., insbesondere bei der Mittelgewährung in Form eines Darlehens. In diesen Fällen erfolgt die Verpflichtung zur Einhaltung des Vergaberechts über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zum Vertrag, welche wiederum die jeweils einschlägigen ANBest zum wesentlichen Bestandteil des Vertrags machen. Die rechtliche Wirksamkeit der Auflage als AGB bemisst sich nach den entsprechenden zivilrechtlichen Regelungen26Ortlieb/Griesbach, Fn. 4 §§ 133, 159 sowie §§ 305 ff BGB..

Rechtsebenen bei geförderten Projekten

3. Folgen eines Vergaberechtsverstoßes

3.1 Auf Auftragsebene

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Für die Auftragsebene gelten auch im Falle geförderter Projekte die allgemeinen vergaberechtlichen Regelungen zu Rechtsfolgen und Rechtsschutz bei Vergabeverstößen. Das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern gemäß §§ 155 ff GWB steht Bietern nur offen, wenn das GWB auf das konkrete Vergabeverfahren anwendbar ist. Dafür ist - neben dem Überschreiten des EU-Schwellenwertes - erforderlich, dass es sich bei dem Fördermittelempfänger um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des GWB handelt. Gegen einen privaten Fördermittelempfänger steht der Rechtsweg vor den Vergabekammern damit nicht zur Verfügung, es sei denn, er wird durch die Fördermittelzuwendung über § 99 Nr. 4 GWB öffentlicher Auftraggeber27Zum Bieterrechtsschutz bei Vergabeverstößen außerhalb des GWB siehe Kapitel XY..

3.2 Auf Zuwendungsebene

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Vergaberechtsverstöße stellen verwaltungsrechtlich einen Auflagenverstoß dar und berechtigten den Fördermittelgeber gemäß § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwVfG zum Widerruf der Bewilligung und gemäß § 49a Abs. 3, 4 zur Rückforderung von Fördermitteln. Gemäß § 49a Abs. 3 VwVfG ist die Rückforderungssumme überdies in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Die Entscheidung, ob und wenn ja, in welchem Umfang die Zuwendung zu widerrufen ist, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Bewilligungsbehörde. Bei schweren Vergaberechtsverstößen hat die Bewilligungsbehörde jedoch im Regelfall die Zuwendung zu widerrufen28BVerwG, Beschluss v. 13.02.2013, 3 B 58.12.. Ein zusätzlicher Verstoß gegen das Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung durch die Vergaberechtsverletzung ist dabei nicht erforderlich29BVerwG, a.a.O., kritisch hierzu: Portz a.a.O... Zur Frage, wann ein schwerer Vergaberechtsverstoß vorliegt, haben die Finanzministerien der Länder per Runderlass detaillierte Fallkategorien aufgestellt30Als Beispiel: Runderlass des Finanzministeriums NRW vom 08.12.2003 – I 1-0044-3/8 mit Stand vom 01.07.2013, Nr. 2.; siehe auch: Ermessensleitlinie der NBank, abrufbar unter: www.nbank.de/Die-NBank/Rechtliches/Vergaberecht/.. Danach liegen schwere Vergabeverstöße u.a. vorbei:

  • Wahl einer unstatthaften Vergabeart,

  • Fehlen einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung,

  • Bevorzugung eines regionalen Anbieters,

  • Fehlende oder mangelhafte Wertung von Nebenangeboten.

Die von den Bewilligungsbehörden gesetzten strengen Maßstäbe an die Einhaltung des Vergaberechts wurden durch die Verwaltungsgerichte in ihrer jüngeren Rechtsprechung überwiegend bestätigt31Zur falschen Vergabeart: BGH, Urteil v. 17.11.2011 - Az III ZR 234/10. und um den Fall der vergaberechtswidrigen Unterlassung einer Losbildung erweitert32VG Augsburg, Urteil v. 23.02.2016, 3 K 15.1070.. Eine Rückforderung von 25 % der ausgezahlten Fördermittel ist gemäß Rechtsprechung bei schweren Vergaberechtsverstößen ohne Bedenken verhältnismäßig33Siehe: Ermessensleitline NBank a.a.O.. Erfolgt der Verstoß vorsätzlich, kann dies die Rückforderung der gesamten Förderung zur Folge haben34Siehe Ermessensleitlinie der NBank, a.a.O.. Sofern der Fördermittelempfänger für die Durchführung der Auftragsvergaben einen Projektsteuerer beauftragt hat, können ihm diesem gegenüber Regressansprüche zustehen35OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.06.2014, 17 U 5/14.