BtPrax – Betreuungsrechtliche Praxis  Jahrgang 2013  BtPrax 1/2013 

Zeitschrift:
BtPrax - Betreuungsrechtliche Praxis
Autor:
Ulrich Engelfried
Beitragstyp:
Beitrag
Ausgabe:
1/2013 Seiten: 13 bis 16

Betreute Menschen mit minderjährigen Kindern

Ulrich Engelfried Betreuungs- und Familienrichter beim AG Hamburg-Barmbek

Seite: 13

Viele Berufsbetreuer und -betreuerinnen haben in den letzten Jahren vermehrt mit Klienten zu tun, die minderjährige Kinder haben. Betreuerinnen und Betreuer sehen sich immer wieder mit – wie zu zeigen sein wird – unrealistischen und unhaltbaren „Aufträgen“ konfrontiert, die die Angelegenheiten der Kinder ihrer Klienten betreffen. In Gesprächen, Anhörungen und Fortbildungen sind immer die Fragen „Was darf ich tun?“, „Was muss ich tun?“ oder „Was überschreitet meine Kompetenzen?“ von hoher Aktualität. Das Thema war Gegenstand einer Arbeitsgruppe auf dem 13. Betreuungsgerichtstag.

I. Einleitung

Was ist der Grund für die Zunahme dieser Fallkonstellationen und Fragestellungen? Zum einen gibt es eine erhebliche Zahl junger Menschen im „elternfähigen Alter“, die Betreuungsbedarf haben; zum anderen müssen andere Hilfesysteme Zeit, Geld und Ressourcen sparen, sodass sich die rechtliche Betreuung scheinbar – auch in diesem Kontext wieder einmal – als gern genommene „Aushilfe“ anbietet. Viele Entscheidungen, die im Helfersystem der Familie zu treffen sind, betreffen je nachdem auch mittelbar die Kinder der Betreuten – oder die des „Systems Familie“ insgesamt.

Die Abgrenzung im Detail bleibt schwierig, weil die Familie – jedenfalls i.d.R. – eine soziale und wirtschaftliche Einheit bildet, zumindest dann, wenn sie zusammenlebt.

Wichtig ist es, die rechtlichen Grenzen und die Rollen zu klären.

II. Kinder psychisch kranker Eltern – ein angstbesetztes Thema

Die Schwierigkeit in der Auseinandersetzung bei den Fragen „Wer darf was?“, „Wer muss was tun?“ speist sich auch daraus, dass der Umgang mit psychisch kranken Eltern mit Ängsten, Hilflosigkeit, Fehlinterpretationen, aber auch Vorurteilen und Vorbehalten behaftet ist, was nicht selten zu Fehlreaktionen, oft auch Überreaktionen, führt. Rechtliche Betreuer, insbesondere Berufsbetreuerinnen und -betreuer müssen davon ausgehen, dass in anderen Bereichen der Gesellschaft, bei Privatpersonen wie bei anderen Professionen im Spektrum der Sozialen Arbeit, das Wissen über psychische Erkrankungen und die Aufgaben des rechtlichen Betreuers sehr defizitär ausgeprägt sind.

Eine wichtige Forderung ist daher, dass z.B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter in der Thematik fortgebildet werden müssen. Hier sind sehr oft Defizite zu beklagen, die dazu führen, dass zu schnell, zu spät oder jedenfalls kontraproduktiv interveniert wird, weil Angst die Fachlichkeit überlagert.

Nicht selten wird von anderen Personen und Institutionen vorschnell die Gleichung „betreut = erziehungsunfähig“ aufgemacht.

Eine psychische Erkrankung als Anlasserkrankung für eine rechtliche Betreuung, wie in § 1896 Abs. 1 BGB aufgeführt, mag ein Indiz sein, dass die Erziehungskompetenz, und damit die Fähigkeit, die Angelegenheiten der eigenen Kinder zu regeln, nicht gegeben ist. Wie schon im Betreuungsrecht und der Frage nach den Fähigkeiten des Betreuten, so ist auch für die Beantwortung der Frage nach dessen Erziehungsfähigkeit bzw. der persönlichen Eignung, Kindeswohlgefährdungen abwenden bzw. abwehren zu können, eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Schließlich ist ein rechtlicher Eingriff in das Sorgerecht auch erst dann zulässig, wenn die Eltern bzw. der/die Sorgeberechtigte/n keine Hilfen annehmen oder andere Hilfen in der Familie insuffizient sind (§ 8a SGB VIII, § 1666 BGB).

Die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung kann und darf also nicht zu der Annahme verleiten, die elterliche Sorge müsse deshalb familiengerichtlich eingeschränkt werden.

Dabei soll nicht verkannt werden, dass psychisch kranke Eltern durchaus eine Belastung für ihre Kinder und deren Entwicklung darstellen können: Kinder können mitunter viel zu früh in die Rolle des Erwachsenen gedrängt werden, die Aufgaben des „ausgefallenen“ Elternteils übernehmen (Parentifizierung). Es kann auch sein, dass die Kinder nicht genügend Halt und Geborgenheit finden, weil der kranke Elternteil bzw. die kranken Eltern dies als Folge ihrer Okkupation durch die Erkrankung nicht geben können. Schließlich ist eine erhöhte Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass Kinder psychisch kranker Eltern selbst einmal an einer psychischen Erkrankung leiden.1Lenz, Psychisch kranke Eltern und ihre Kinder, 2012.

Diese Thematik wird hier nicht ausgeblendet, sondern leidglich zurückgestellt zugunsten der Erörterung grundsätzlicher, rechtlicher und praktischer Probleme.

Wie die Praxis zeigt, ist der Weg des „Systems Familie“ in diesen Konstellationen eine Gratwanderung, und eine sehr genaue und achtsame Betrachtung des Einzelfalls ist erforderlich.

Aufgabe der rechtlichen Betreuung2Zu den „Aufgaben bei der Betreuung von Menschen mit minderjährigen Kindern“ s.a. Hoffman, BtPrax 2007, 95 ff. ist es dann im Zweifelsfall, die legitimen Rechte der jeweiligen Betroffenen (Eltern) zu wahren. Hier zeigt die Praxis bisweilen bedauerliche „Vollzugsdefizite“.

III. Grundsätze und Grenzen

1. Keine Ausübung der elterlichen Sorge der Kinder des Betreuten durch den Betreuer/die Betreuerin

Die elterliche Sorge ist als ein höchstpersönliches Recht, das den Betroffenen selbst vorbehalten bleibt, so wie die Errichtung des Testaments oder die Eingehung einer Ehe, keine Materie für Betreuerhandeln.

Grundsätzlich ist die elterliche Sorge nach § 1626 BGB rechtsgeschäftlich – etwa im Wege der Vollmacht – nicht übertragbar; allerdings kann deren Ausübung übertragen werden.3Zur Sorgerechtsvollmacht, Hoffmann, FamRZ 2011, 1544 ff. Auf den eigenen Betreuer kann die

Seite: 14

Ausübung der elterlichen Sorge allerdings schon deswegen nicht übertragen werden, weil damit eine objektive Interessenkollision entstünde.

Es ist im betreuungsrechtlichen Verständnis Konsens, dass die Sorge, Erziehung und Vertretung der Kinder kein zulässiger Aufgabenkreis im Rahmen von § 1896 BGB sein kann.4Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, § 1896 BGB, Rdnr. 85.

Abgesehen von dem Grundsatz, dass höchstpersönliche Angelegenheiten den Betroffenen allein vorbehalten bleiben, ist das in Art. 6 GG festgelegte Recht und die Pflicht für die Kinder und das Kindeswohl zu sorgen „fremdnützig“, also eine Angelegenheit der Kinder, die die Eltern treuhänderisch wahrnehmen. Bei dem „Elternrecht“ handelt es sich also um eine Rechtsposition, die die Personensorgeberechtigten wahrnehmen und ausüben, die aber allein dem Kind zugutekommt. Es handelt sich somit nicht um eine „eigene Angelegenheit“, wie § 1896 BGB sie meint.

Überdies gibt es im Gesetz ein abschließendes, dem Betreuungsrecht in jedem Fall vorgehendes Regelungsgefüge bei Erziehungsdefiziten und tatsächlicher oder zu befürchtender Kindeswohlgefährdung:

Für den Fall, dass die Eltern ihre Verantwortung im Rahmen der elterlichen Sorge nicht mehr wahrnehmen können, sieht zunächst § 8a SGB VIII vor, dass die Kinder- und Jugendhilfe Unterstützung anzubieten hat und das Familiengericht einzuschalten ist, wenn die angebotene Hilfe nicht angenommen wird. Das Familiengericht hat nach § 1666 BGB die „erforderlichen Maßnahmen“ zu treffen. Neben Auflagen und Weisungen kann dies letztlich die Einschränkung oder Entziehung der elterlichen Sorge sein, die dann zur Folge hat, dass ein Pfleger bzw. Vormund für die Kinder bestellt wird.

Das „Elternrecht“ hat aber eine zweite Dimension als Schutz – und ggf. Teilhaberecht der Eltern dem Staat gegenüber –, denn eine Hilfe zur Erziehung ist ein Recht der Eltern/des Elternteils gegenüber dem Staat zur Unterstützung bei der Aufgabe „Pflege und Erziehung von Kindern“.

2. Geltendmachung von Rechten der Betreuten

a. Jugendhilferecht

Kraft ihrer Elternschaft und der elterlichen Sorge haben die Eltern nämlich auch vielfältige eigene Rechte, die sie dem Staat oder gegenüber Dritten als selbstständige Ansprüche geltend machen können.5S.a. „Hilfen zur Erziehung und Betreuung“, Hoffmann, BtPrax 2002, 246 ff.

So heißt es z.B. in § 27 SGB VIII, dem Jugendhilferecht: „Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.“

Generell heißt es für das Jugendhilferecht in § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII, dass die Jugendhilfe Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen soll.

Eltern haben ein Recht auf Beratung und Anhörung bei der jugendhilferechtlichen Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII.

Bei der Geltendmachung dieser Rechte können Eltern durch ihre rechtlichen Betreuer vertreten werden, sofern diese – wie unter c. noch auszuführen sein wird, den entsprechenden Aufgabenkreis haben.

Unberechtigte Ablehnungen von Anträgen auf Bewilligung von Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen können durch den Betreuer/die Betreuerin vor dem VG angefochten werden.

b. Im familiengerichtlichen Verfahren

In Angelegenheiten, die ihre Kinder betreffen, haben Eltern ein Anhörungsrecht vor Gericht nach § 160 FamFG. Dabei können sie durch den Betreuer/die Betreuerin unterstützt werden.

Selbstverständlich gilt es auch für das Recht, als Beteiligte nach § 7 FamFG, Anträge zu stellen.

Im Übrigen gelten bei Zustellungen an Betreute die allgemeinen Regeln: An geschäftsunfähige Betreute kann nur wirksam an den Betreuer/die Betreuerin zugestellt werden. Bei entsprechendem Aufgabenkreis ist eine Zustellung zusätzlich an den Betreuer/die Betreuerin in allen übrigen Fällen nötig.

c. Im materiellen Familienrecht

aa. Unterhalt

Eine „eigene Angelegenheit“ i.S.d. § 1896 BGB ist die Auseinandersetzung mit Unterhaltsansprüchen der Kinder. Hier kann sich sehr wohl und sehr schnell Handlungsbedarf im Bereich der Vermögenssorge ergeben. Eine anwaltliche Vertretung wird hier oftmals nicht erforderlich sein.

Das wird in den Fällen, in denen Kinder bei ihren Eltern leben praktisch nicht relevant sein. Eltern genügen in diesem Falle ihrer Unterhaltspflicht durch Gewährung von „Naturalunterhalt“, d.h. Pflege, Erziehung und Unterkunft – gewissermaßen durch Sicherstellung von „Kost und Logis“.

Im Falle der Trennung von Eltern und Kind trifft die Eltern eine Barunterhaltsverpflichtung, die sich nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet. Werden die Eltern oder ein Eltern­teil in Anspruch genommen, so ist nicht allein maßgebend, was sie für Einkünfte haben, sondern welche Möglichkeiten sie haben, Einkünfte zu erzielen (Stichwort „Erwerbsobliegenheit“). Bei arbeitsfähigen Betroffenen ist dies ein relevanter „Merkposten“.

Bei Gewährung von Transferleistungen, z.B. nach UVG, gehen Ansprüche auf den Leistungsträger über, der sie dann gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten geltend macht.

ab. Umgang mit dem Kind

Der Umgang zwischen Eltern und Kindern ist zwar seit 1998 in § 1684 BGB als ein Recht des Kindes ausgestaltet. Jeder Elternteil hat aber über Art. 6 GG ein Recht auf Umgang mit dem Kind, soweit es nicht dem Kindeswohl schadet. Dies gilt unabhängig davon, ob der Elternteil das Sorgerecht hat. Dies betrifft alle Eltern, deren Kinder bei dem anderen Elternteil oder bei Dritten (Pflegeeltern, Einrichtung) leben. Sich bei der Durchführung des Umgangs für die Belange der betreuten Person einzusetzen, kann Gegenstand der Betreuungsarbeit sein. Nicht selten sind Betreute zu schwach, um sich gegen ein womöglich willkürliches Aussetzen oder Hintertreiben des eigenen Umgangsrechts mit den Kindern zur Wehr zu setzen.

Die Regelung des Umgangs hingegen ist entweder höchstpersönliche Sache der Eltern oder eines Vormunds, Pflegers, ggf. auch eines speziell mit dieser Thematik betrauten Umgangspflegers. Dies kann also nie Gegenstand eines Aufgabenkreises der Betreuung sein.

ac. Vertretung in Statusverfahren

Eine Vertretung in Statusverfahren ist mitunter möglich, sogar geboten:

Statusverfahren sind die Verfahren, die die Abstammung eines Kindes betreffen, also vorwiegend Vaterschaftsfeststellung oder -anfechtung.

Die Vaterschaftsanerkennung ist zwar eine „höchstpersönliche Angelegenheit“ i.S.d. Betreuungsrechts. Dennoch ist auch hier eine Mitwirkung der Person, die die rechtliche Betreuung führt, denkbar und ggf. gefordert. Dazu heißt es in § 1596 BGB:

„(1) Wer in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, kann nur selbst anerkennen. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ist erforderlich. Für einen Geschäftsunfähigen kann der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts anerkennen; ist der gesetzliche Vertreter ein Betreuer, ist die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich. Für die Zustimmung der Mutter gelten die Sätze 1 bis 3 entsprechend.

(2)…

(3) Ein geschäftsfähiger Betreuter kann nur selbst anerkennen oder zustimmen; § 1903 bleibt unberührt.

(4) Anerkennung und Zustimmung können nicht durch einen Bevollmächtigten erklärt werden.“

Die Vorschrift hat folgende Konsequenz: Die Entscheidung, ob eine Vaterschaft anerkannt werden soll, bleibt eine höchstpersönliche. Wird aber anerkannt, dann muss zusätzlich der Betreuer/die Betreuerin die Zustimmung erteilen, damit die Anerkennung wirksam wird.

Seite: 15

Das Korrektiv ist nötig, um unüberlegte, für den Betroffenen jedenfalls wirtschaftlich nachteilige Anerkennungen zu verhindern.

Weiterer Handlungsbedarf kann sich im Rahmen der Wohnungszuweisung bei Trennung und Scheidung ergeben, z.B., wenn es darum geht, einem Klienten/einer Klientin, der/die Kinder betreut, die Wohnung zu erhalten.

c. Notwendiger Aufgabenkreis

Um die vorbeschriebenen Aufgaben im Rahmen der rechtlichen Vertretung wahrnehmen zu können, sind die Aufgabenkreise

notwendig und zielführend.

Der Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden und Sozialleistungsträgern reicht gegenüber dem Jugendamt aus. Die Erweiterung auf die o.g. Aufgabenkreise sollte aber klarstellend beantragt bzw. angeregt werden, um deutliche Signale an alle Beteiligten zu senden. Für den Rechtsverkehr muss deutlich werden, ob die Betreuung „zuständig ist“ oder nicht.

Die Vermögenssorge mag ausreichend sein, um rein finanzielle Leistungen zu beantragen (z.B. nach SGB II). Bei Jugendhilfeangelegenheiten reicht dies nicht, da es dabei nicht um eine vorrangig finanzielle Hilfsleistung geht.

Betreuer haben das Recht und die Verpflichtung, Rechte ihrer Betreuten geltend zu machen.

Auch bei der Geltendmachung von Rechten ist § 1901 BGB und damit Wunsch und Wille des/der Betreuten zu beachten. Die Annahme von Hilfe bzw. deren Beantragung gegen den Willen der betreuten Eltern sind sinnlos, weil diese Hilfen dann ins Leere laufen und die Maßnahmen dann familienrechtlich und jugendhilferechtlich ihren Lauf nehmen müssen. Es gehört dann zu den Aufgaben der rechtlichen Betreuung, auf die möglichen Folgen hinzuweisen und diese mit der betreuten Person zu erörtern.

IV. Ethische und professionelle Konfliktlagen

1. Haftungsfragen und „Anzeigepflicht“

Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Aufgaben steht fest, dass rechtliche Betreuer nicht als Wahrer des Kindeswohls agieren sollen und können. Dennoch gibt es natürlich Grenzen, die durch ethische und professionelle Konfliktlagen bedingt sind. Das professionelle Selbstverständnis einer Interessenwahrnehmung zugunsten der Eltern bzw. des Elternteils als Klient/in im Rahmen einer rechtlichen Betreuung gebietet es nicht, eine mögliche oder gar sichere Kindeswohlgefährdung zu ignorieren.

Die häufig gestellte Frage nach einer Haftung rechtlicher Betreuer bei Kindeswohlgefährdung ist relativ leicht zu beantworten: Es gibt keine Verpflichtung zur „Meldung“ durch den Betreuer, keine unmittelbare Haftung.

Die Mitteilungspflicht an Familien- und Betreuungsgerichte aus § 22a FamFG betrifft nur das Gericht.

§ 1901 Abs. 5 BGB, die Pflicht zur Anzeige weiteren Betreuungsbedarfs, betrifft nur das Betreuungsrecht, namentlich das Verhältnis Betreuer/Betreuungsgericht.

§ 138 StGB betrifft nur die Nichtanzeige geplanter schwerster Straftaten, hat mithin keinen allgemein haftungsbegründenden Charakter.

§ 323c StGB, die unterlassene Hilfeleistung, greift nur bei Unglücksfällen ein; diese Vorschrift passt hier ebenfalls nicht.

Eine generelle Verpflichtung einer Meldung der Betreuung an das Familiengericht kann mangels gesetzlicher Grundlage nicht angenommen werden.

Eine strafrechtlich relevante Garantenstellung ist zu verneinen. Das heißt: Ein rechtlicher Betreuer eines Elternteils kann nicht über § 13 StGB wegen Körperverletzung durch Unterlassen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Eine Garantenstellung des Betreuers für Angelegenheiten des Kindes kann ebenfalls nicht angenommen werden.

Es gibt schließlich auch keine „Beaufsichtigungspflicht“ in § 832 BGB, die schon bei bloßem Bestehen der Betreuung eingreift. Es gibt schlicht keine rechtliche Verbindung zwischen rechtlicher Betreuung und Kindern der Betreuten.

2. Innere ethische Konflikte bei auftretender Kindeswohlgefährdung

Im Gespräch mit Klientin bzw. Klient ist eine drohende oder bestehende Kindeswohlgefährdung ein Thema und im Einzelfall ist es sehr wohl professionell, wegen eines unüberbrückbaren ethischen Konflikts die Betreuung aufzugeben und eine Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt oder beim Familiengericht anzuzeigen. Dies durchbricht das Loyalitätsgebot gegenüber den Klienten jedenfalls in schwerwiegenden Konfliktfällen. Ein Betreuer als „Hilfsorgan“ des Jugendamtes erscheint aber undenkbar.

Dabei ist es durchaus möglich und angemessen, eine wie oben beschriebene Konfliktlage vorab dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

V. Abgrenzungsprobleme aus der Praxis

1. Die Bedarfsgemeinschaft nach SGB II

Ein Großteil der betreuten Eltern bezieht Leistungen nach dem SGB II. Nach § 7 Abs. 2 SGB II bilden Eltern und minderjährige Kinder eine Bedarfsgemeinschaft, d.h. für die Familie wird – wirtschaftlich betrachtet – ein einheitlicher Anspruch auf Grundsicherung ermittelt. Bedarf es in diesem Fall der Vertretung des Elternteils, der betreut wird und der Kinder, so ergibt sich eine Interessengemengelage. Jedenfalls wird man aber sagen müssen, dass ein Elternteil, der Unterstützung bei der Geltendmachung von SGB II oder anderen Sozialleitungsansprüchen benötigt, die Ansprüche seiner Kinder auch nicht ohne Unterstützung geltend machen kann. Dies wird in der Praxis mitunter so gelöst, dass der Betreuer/die Betreuerin zum Ergänzungspfleger für die Geltendmachung dieser Ansprüche bestellt wird. Grundsätzlich ist in einem solchen Fall eine Interessenkollision nicht auszuschließen. Wegen der engen Verflechtung und der unwahrscheinlichen Chance von „internen Verteilungskämpfen“ erscheint dieser Weg als geeignet, wenn die Vertretung der Kinder gerade nicht beim rechtlichen Betreuer eines Elternteils liegt.

2. Probleme bei angeordnetem Einwilligungsvorbehalt

Eine logische Verknüpfung zwischen den Interessen der Kinder und der Eltern besteht bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB.

Ein Betreuter, der wegen einer Vermögensgefährdung in Handlungsfähigkeit im Vermögensbereich beschränkt wurde, wird kaum in der Lage sein, als Vertreter seines Kindes dessen Vermögenssorge zu vertreten.

Hier gilt ausnahmsweise der Automatismus, dass die Beschränkung der eigenen Handlungsfähigkeit sich auch auf die elterliche Sorge auswirkt und diese dann nach § 1673 Abs. 2 BGB ruht.

Auch hier kann ausnahmsweise die „Doppelfunktion“ des Betreuers als Ergänzungspfleger für die Kinder angemessen sein, wenn die Familie lediglich Leistungen nach SGB II erhält.

3. Gutachtenherausgabe

Auch im Familienrecht stellt sich die Frage, ob Gutachten aus dem Betreuungsverfahren beigezogen werden können oder gar sollen. Der Datenschutz gilt auch gegenüber Familiengericht und Jugendhilfe. Hier gilt § 13 FamFG. Jugendhilfe und Familiengericht sind am Betreuungsverfahren nicht beteiligt und die Einsicht kann nur gestattet werden, soweit sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und schutzwürdige Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten nicht entgegenstehen. Dies haben Betreuungsgericht und mittelbar auch die Betreuer zwingend zu berücksichtigen.

VI. Fazit

Entscheidend ist also: Geht es um Rechte des Betroffenen, höchstpersönliche Angelegenheiten oder Rechte des Kindes/der Kinder?

Seite: 16

Die so vorgenommene Differenzierung ist keineswegs künstlich, denn Art. 6 GG weist den Eltern eine elementare eigene Rolle zu. Außerdem ist das liberale Demokratiemodell, das unserem Verfassungsverständnis zugrunde liegt, so ausgerichtet, dass es davon ausgeht, dass dem angestrebten Zweck (also hier der Wahrung des Kindeswohls) am besten gedient wird, wenn die unterschiedlichen Interessen formuliert werden und sich in offenem Diskurs zu einer Gesamtlösung fügen.

Im Bereich Jugendhilfe/Familienrecht/Kinderschutz wird der gute Ansatz „Alle an einen Tisch – alle ziehen an einem Strang“, der an vielen „Runden Tischen“ und Kooperationsmodellen zum Ausdruck kommt, häufig zum Selbstzweck. Aus der Wahrnehmung der Praxis wird daraus allzu häufig ein jakobinisch anmutendes „Wir sind die Guten, wir machen alles richtig, zwei Meinungen kann es dabei nicht geben“.

Daher müssen Eltern ggf. als Menschen und als Rechtsträger kompetente, im gewissen Rahmen sogar parteiliche Unterstützung erfahren.

Die Entscheidung über einen Konflikt (und damit aber auch die Verantwortung) liegt in diesen Fällen nicht beim Betreuer/der Betreuerin, sondern (letztlich) beim Familiengericht.

Ist die Rollenklärung vollzogen, sollte es möglich und sogar die Regel sein, dass die unterschiedlichen Belange diskutiert und ­moderiert werden. Soweit man Soziale Arbeit als „Case Management“ begreift, muss ein gemeinsames Handeln und Aushandeln der Hilfen im „System Familie“ möglich sein, statt eines Nebeneinander-Herwurstelns und Gegeneinander-Arbeitens. Die Politik wird diesen Gedanken nicht unterstützen; es könnte theoretisch Geld kosten und wahlkampfkompatibel ist es auch nicht.

Die Protagonisten in Betreuungswesen und Jugendhilfe müssen sich diese ablehnende Gleichgültigkeit aber nicht zu eigen machen.