Fachbücher  Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsverfahren  Teil 1 Kommentar zum Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)  Buch 1 Allgemeiner Teil  Abschnitt 4 Einstweilige Anordnung  § 52 FamFG Einleitung des Hauptsacheverfahrens 

Werk:
Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsrecht
Herausgeber:
Rolf Jox/Tobias Fröschle
Autor:
Rolf Jox
Stand:
März 2020
Auflage:
4. Auflage

II. Einleitung des Hauptsacheverfahrens in Amtsverfahren (Abs. 1)

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Für die Einleitung von Amtsverfahren wie dem Betreuungs- oder Unterbringungsverfahren gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze (dazu näher § 24 FamFG Rn. 3 ff.). Das Gericht hat stets zu prüfen, ob die Einleitung des Hauptsacheverfahrens nicht unabhängig vom Antrag eines Beteiligten von Amts wegen erforderlich ist.1BT-Drucks. 16/6308 S. 199; Giers, FGPrax 2009, 51 Dieser Grundsatz wird durch § 52 Abs. 1 jedoch relativiert: Hält das Gericht die getroffene vorläufige Regelung für ausreichend, so ist es nicht gezwungen, zugleich mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung auch das Hauptsacheverfahren einzuleiten. Beantragt kein Beteiligter die Einleitung des Hauptsacheverfahrens, so kann es grundsätzlich sogar bei der vorläufig getroffenen Maßnahme als endgültiger Regelung verbleiben. Hierdurch wird der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG) eingeschränkt, denn das Gericht kann sich mit der nur summarischen Prüfung des Sachverhalts begnügen, statt diesen in jedem Fall vollständig aufzuklären.

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Zugleich räumt § 52 Abs. 1 Satz 1 den Beteiligten des einstweiligen Anordnungsverfahrens aber das Recht ein, durch Stellung eines Antrages die Einleitung des Hauptsacheverfahrens zu erzwingen. Es handelt sich dabei um einen echten Verfahrensantrag, nicht lediglich eine Anregung; zugleich hat der Antrag Rechtsbehelfscharakter.2Giers, FGPrax 2009, 50 f. Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass nach § 39 FamFG in der einstweiligen Anordnung über dieses Antragsrecht zu belehren ist,3BT-Drucks. 16/6308 S. 201 wobei sich dies aus dem Text des § 39 FamFG jedoch nicht ergibt, da dort nur Widerspruch, Einspruch und Erinnerung erwähnt werden. Antragsberechtigt ist nur, wer als Beteiligter zum einstweiligen Anordnungsverfahren hinzugezogen worden ist. Die Hinzuziehung kann jedoch auch noch nach Erlass der einstweiligen Anordnung durch deren Bekanntgabe erfolgen (siehe § 7 FamFG Rn. 18). Das Antragsrecht besteht unabhängig davon, ob der jeweilige Beteiligte durch die getroffene einstweilige Regelung in eigenen Rechten beeinträchtigt ist. Eine Höchstfrist, innerhalb derer der Antrag zu stellen ist, gibt es nicht.4Zimmermann, FamFG Rn. 233 Er ist aber nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr zulässig. Insbesondere kann er nicht mit dem alleinigen Ziel gestellt werden, entsprechend § 62 FamFG die Rechtswidrigkeit der einstweiligen Anordnung festzustellen (s. auch § 22 FamFG Rn. 14a).5BGH FGPrax 2011, 143

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§ 52 Abs. 1 Satz 2 gibt dem Gericht jedoch die Möglichkeit, eine Wartefrist zu bestimmen, vor deren Ablauf der Antrag unzulässig ist. Die Frist darf nach § 52 Abs. 1 Satz 3 bis zu drei Monaten betragen. Hierdurch soll, so die Gesetzesbegründung, verhindert werden, dass die Beteiligten „vorschnell in das Hauptsacheverfahren drängen“.6BT-Drucks. 16/6308 S. 201 Die Gesetzesbegründung lässt jedoch nicht näher erkennen, unter welchen Voraussetzungen eine Antragsstellung als „vorschnell“ anzusehen wäre. Möglicherweise hat sich der Gesetzgeber von der Erwartung leiten lassen, dass die Beteiligten eine Regelung, die sie bereits eine Zeitlang zwangsweise praktiziert haben, letztlich doch akzeptieren und auf die Einleitung des Hauptsacheverfahrens verzichten. Es erscheint jedoch problematisch, wenn das Gericht eine Regelung, die je nach Einzelfall einen erheblichen Eingriff in die Rechte eines Beteiligten darstellt, zugleich aber nur auf einer summarischen Tatsachenprüfung beruht, für einen längeren Zeitraum festschreiben kann.

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Ob das Gericht von der Möglichkeit, eine Wartefrist zu bestimmen, Gebrauch macht, ist in sein pflichtgemäßes Ermessen gestellt. Gleiches gilt für die Bemessung der Frist bis zur Höchstdauer von drei Monaten. Je schwerwiegender die vorläufige Maßnahme in die Rechte eines Beteiligten eingreift, umso weniger ist es zu rechtfertigen, die abschließende Klärung im Hauptsacheverfahren hinauszuzögern.7Vgl. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 201

Auch die Möglichkeit, die Folgen der vorläufigen Regelung rückgängig zu machen oder auszugleichen, wenn in der Hauptsache später eine abweichende Entscheidung getroffen wird, ist bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen.

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Die Bestimmung der Frist erfolgt mit der einstweiligen Anordnung, eine nachträgliche Bestimmung ist nicht möglich. Damit die Frist gegenüber allen Beteiligten einheitlich läuft, ist für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Anordnung abzustellen. Als Teil der durch die einstweilige Anordnung getroffenen Regelung ist auch die Festsetzung der Wartefrist mit der Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar.

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Die Bestellung eines Betreuers, die vorläufige Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder die geschlossene Unterbringung stellen weitreichende Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen dar.8BVerfG NJW 1998, 1774; FamRZ 2002, 312 In aller Regel hat das Betreuungsgericht daher nach Erlass der einstweiligen Anordnung – wie auch schon nach bisheriger Rechtslage9Vgl. Bassenge/Roth, 11. Aufl., § 69f FGG Rn. 1 und § 70h FGG Rn. 1; Jurgeleit/Bučić, 1. Aufl., § 69f FGG Rn. 2 – das Hauptsacheverfahren unverzüglich einzuleiten und weiterzubetreiben.10A.A. wohl Zimmermann FamFG Rn. 739: Ist vorauszusehen, dass die Betreuungsbedürftigkeit nicht länger als sechs Monate andauern wird, muss das Gericht kein Hauptsacheverfahren einleiten. Erst recht ist in Betreuungs- und Unterbringungssachen kein Anwendungsbereich für eine Wartefrist nach § 51 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu erkennen. Vielmehr ist es im Hinblick auf die befristete Geltung der vorläufigen Betreuerbestellung (§ 302 FamFG) bzw. Unterbringungsmaßnahme (§ 333 FamFG) geboten, das Hauptsacheverfahren zügig voranzutreiben.

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Ausnahmsweise wird das Betreuungsgericht von der Einleitung des Hauptsacheverfahrens absehen können, wenn der Betroffene mit der Betreuerbestellung einverstanden ist oder sie sogar ausdrücklich beantragt und absehbar ist, dass der Betreuungsbedarf den Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreiten wird.

Allerdings wird in diesem Fall häufig auch gleich eine Hauptsacheentscheidung getroffen werden können, da es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedarf (§ 281 Abs. 1 Nr. 1 FamFG). Ein Absehen von der Einleitung des Hauptsacheverfahrens wird auch dann in Betracht zu ziehen sein, wenn lediglich ein punktueller, zeitlich eng eingegrenzter Handlungsbedarf besteht.

Beispiel

Die Betroffene hat privatschriftlich ihrer Tochter Vollmachten erteilt, die das bestehende Fürsorgebedürfnis grundsätzlich abdecken. Nach Umzug in ein Pflegeheim und Überleitung der Rente soll das nicht mehr benötigte Girokonto aufgelöst werden, was aber durch die erteilte Bankvollmacht nicht gedeckt ist.